
Kolumne: Der Mensch hat täglich zwischen 50.000 und 80.000 Gedanken, viele davon wiederkehrend.
(iz). Allein die Tatsache, dass ich mich nicht mehr daran erinnere, wann die letzte Ausgabe dieser Kolumne rauskam, zeugt doch davon, wie versunken ich in meinen eigenen immer wiederkehrenden Gedanken bin. Natürlich hatte ich’s auf’m Schirm und überlegte fleißig, wie ich Mut aussprechen und formulieren kann.
Doch ja: Mir war nicht danach. Ich hatte sogar den Eindruck, alles gesagt zu haben, was ich im Hinblick auf’s Mut machen sagen wollte. Mir fiel schlichtweg nichts ein.
Der Mensch hat täglich zwischen 50.000 und 80.000 Gedanken, viele davon wiederkehrend.
Eine gute Freundin von mir hatte mal als WhatsApp-Profilbild den Spruch „Don’t believe everything you think.“ – Glaube nicht alles, was du denkst.
Als professionelle Grüblerin fiel es mir bisher schwer, diesen Ratschlag zu beherzigen. Doch mit dem Start ins Dolmetschen eröffnete sich mir eine neue Perspektive, die ich bisher nur aus den Ausführungen von E. kannte, verstand, jedoch bis dato nie so wirklich verinnerlichen konnte: Menschen können so viel unnötiges Zeug reden, dass du dir vieles davon gar nicht ausdenken kannst.
Dolmetschen erfordert nicht nur einen gewissen Wortschatz in zwei Sprachen, sondern auch die Fähigkeit, die Absicht und den Sinn des Gesagten zu verstehen und entsprechend in die andere Sprache zu übersetzen. Es verlangt einem ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, Geduld und Konzentration ab.
Und was soll ich sagen: Du merkst schneller, wenn Menschen sich gerne selbst reden hören, sich ständig und gerne wiederholen, du sprachlich alles erfassen kannst, dir jedoch der Inhalt durch die Lappen geht, inklusive der dir entgleitenden Gesichtszüge, die repräsentativ für das zermatschte Gehirn nach einem Marathon von Zuhören, Verstehen, Erklären, Übersetzen, Besprechen, Abwarten, Klären, Stehen, vermischt mit Müdigkeit.
Foto: Kübra Böler
Irgendwann habe ich festgestellt, dass ich zwar immer noch gerne/leider viel rede, es jedoch immer mehr Phasen gibt, in denen ich die Ruhe, Stille und das Schweigen der Redseligkeit und dem Austausch vorziehe. Nicht, weil ich genervt und erschöpft bin, sondern weil ich schlichtweg nichts zu sagen habe beziehungsweise den Wert und die Wichtigkeit des richtigen Wortes zur richtigen Zeit und im richtigen Moment besser erkennen konnte.
Doch ich würde lügen, wenn ich sage, dass es mir durchweg gelingt. Es gibt noch sehr viele Situationen, in denen es mir nicht gelinkt und die Konsequenzen sind spürbar und auch durchaus unangenehm.
Auch hier gilt es immer wieder aufs Neue das Gleichgewicht zu halten und wiederzufinden.
„In der Wut sagt der Mensch die Wahrheit.“ sagte H. einmal zu mir. „Wenn jemand das Feuer ist, dann sei du das Wasser.“ „Wir haben einen Mund und zwei Ohren, weil wir doppelt so viel (zu)hören sollen, als dass wir reden.“ Heute verstehe ich diese Aussagen besser als je zuvor.
Denn mal ehrlich: Wie viele unserer „dringenden“ Anliegen sind so wichtig, dass sie jetzt hier sofort in diesem Augenblick ausgesprochen und geklärt werden müssen? Mama sagt immer „Entspann dich. Die Dinge lösen sich von selbst.“ So merke ich mit jedem vergehenden Tag auf dieser Erde, dass die Zeit für jedes Wort kommt und es viele Möglichkeiten gibt, das eigene Anliegen zum Ausdruck zu bringen. #selbstgespräche #staffmeeting
In diesem Sinne: Von Herzen danke und sorry an alle, die mir bis heute zugehört haben. Es war nicht immer erheiternd oder zielführend, manchmal ein riesiger Kraftakt. Möget ihr Menschen begegnen, die euch genauso zuhören, wie ihr mir. An jene, die solche Menschen in ihrem Leben haben: Bedankt euch bei ihnen. Sie tragen Herzen aus Gold.