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Lebenspraxis: Lokale Zakat-Verteilung als soziale Annäherung

Ausgabe 335

Zakat
Hands of old woman giving money to her grandson during arabia eid

Jahrhundertelang wurzelte die finanzielle Überlebensfähigkeit von Muslimen in zwei simplen Prinzipien: das Wucherverbot sowie die lokale Praxis der Zakat.

(iz). Obwohl Großbritannien selbst ein relativ wohlhabendes Land ist, lebt hier die Hälfte der muslimischen Bevölkerung in relativer Armut. Als wirtschaftlich am stärksten benachteiligte religiöse Gruppe wurden sie während der Pandemie – medizinisch wie ökonomisch – einem ungleich höheren Risiko ausgesetzt. Von Khalil Brandt

Foto: IZ Medien

Zakat als Teil der finanziellen Überlebensfähigkeit

Jahrhundertelang wurzelte die finanzielle Überlebensfähigkeit von Muslimen in zwei simplen Prinzipien: das Wucherverbot sowie die lokalen Einnahme und Verteilung der Zakat. So erfolgreich waren diese Grundlagen in der Zeit von Orhan Bey (der als Vater des osmanischen Reiches galt), dass kaum jemand empfangsberechtigt für sie war.

Ramadan ist für viele Menschen der Monat zur Zahlung der verpflichtenden Wohlstandsabgabe.

Und die Pandemie brachte enorme Veränderungen des Alltags mit sich. Daher halte ich es für unerlässlich, dass wir daraus bewusst die Konsequenzen ziehen und gemeinsam die Mittel aktivieren, die Allah, der Erhabene, uns zur Verfügung gestellt hat, um aufeinander aufzupassen. Es beginnt mit der Wiederherstellung der lokalisierten, dezentralisierten Zakat.

Foto: WEFA

Heute dominieren Wohltätigkeitsorganisationen

Heute wird die absolute Mehrheit der Zakat von Wohltätigkeitsorganisationen gesammelt. Füllen Sie ein Formular im Internet aus, ein paar Klicks, eine mögliche Steuerbescheinigung und man ist fertig. Das allerdings ähnelt nur wenig der Art und Weise, wie es der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, und seine Gefährten taten, möge Allah mit allen zufrieden sein.

Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Die Gläubigen sind wie ein einziger Körper. Wenn ein Glied leidet, antwortet der ganze Körper darauf“.

Überall auf der Welt gibt es Muslime, die mit Krieg, Verfolgung und Armut konfrontiert sind, und zweifellos haben wir die Pflicht, unseren Brüdern und Schwestern im Ausland zu helfen. Indem wir eine bedeutende Sunna wiederbeleben und die Abgabe vor Ort einführen, würden wir sie nicht vernachlässigen.

Foto: islamic-relief.org

Unterschied von Zakat und Sadaqa

Stattdessen können wir den wichtigen Unterschied zwischen Zakat (der obligatorischen Vermögenssteuer) und Sadaqa (freiwillige Wohltätigkeit) schätzen. Muslime gehören zu den großzügigsten Wohltätern unter allen Glaubensgruppen in Westeuropa. Neben einer lokal verwalteten Zakat können wir durch die zweistelligen Millionenbeträge, die wir jedes Jahr in Form von Sadaqa spenden, weiterhin eine enorme, sinnvolle Wirkung in Übersee erzielen.

Als der Prophet, Heil und Segen auf ihm, Mu’adh ibn Dschabal in den Jemen entsandte, wies er ihn an: „Unterrichte sie, dass die fünf täglichen Gebete für sie verpflichtend sind sowie die Zakat. Sie soll von ihren Wohlhabenden genommen und ihren Bedürftigen gegeben werden.“

Diese prophetische Aussage (arab. hadith) beleuchtet nicht nur die Verpflichtung zum Geben der Zakat. Sie verweist darüber hinaus auf die lokalisierte Art und Weise, auf welcher diese Pflicht ausgeführt wurde. In der Lebenszeit des Gesandten Allahs, möge Er ihn segnen und ihm Frieden geben, wurde sie von Menschen durchgeführt und nicht von entfernten, komplexen Organisationen und wohltätigen Strukturen.

Er, Allahs Heil und Segen auf ihm, ernannte Zakatsammler für jede Ecke der arabischen Halbinsel. Das waren Menschen, die persönlich dafür verantwortlich waren, von den Reichen die Zakat zu nehmen, Bedürftige ausfindig zu machen und den Erlös innerhalb ihres Wohnortes physisch an diese auszuzahlen. Es ist Zeit für uns, dasselbe zu tun.

Erfahrung der lokalen Praxis

Ich habe den Unterschied erlebt, den eine lokalisierte Zakatnahme und -verteilung im Vergleich mit anderen anderen Modellen machen kann. Vor einigen Jahren sprach ich mit dem verstorbenen Leiter der muslimischen Gemeinschaft in Norwich, Abdal Hakim Akanmu.

Er sammelte und verteilte die Abgabe vor Ort. Und erzählte viele Geschichten darüber, wie die Herzen der Menschen von ihm bewegt wurden, als er aus heiterem Himmel auftauchte, um Zakat in ihre Hände zu legen: „Mir sagten einige, dass sie ‘nur noch zehn Pfund haben … das Timing war perfekt’.“

Ich fühle mich privilegiert, aus erster Hand die Abgabe an einen lokalen Sammler gezahlt zu haben. Es ist ein Geschenk, für das ich für immer dankbar bin und das mir verweigert worden wäre, wenn ich stattdessen eine Überweisung an eine Wohltätigkeitsorganisation vorgenommen hätte. Ich ziehe die persönliche Verbindung der Bequemlichkeit vor.

Foto: Rawpixel, Shutterstock

Das menschliche Element

Ich habe erkannt, dass das menschliche Element alles ist. Es gibt feine Aspekte dieses oft in Vergessenheit geratenen Pfeilers des Islam, bei denen es um mehr als nur Geben und Nehmen geht. Es handelt sich zusätzlich um die Schaffung von Gemeinschaft sowie ein Gefühl des Umsorgtwerdens und der gegenseitigen Erinnerung.

Gemeinsam können wir die Bindungen in den Gemeinschaften stärken. Wir können sie zu besseren, gerechteren Orten machen und den nichtmuslimischen Nachbarn die transformierende Wirkung des Islam vor Ort zeigen.

Die Einschränkungen durch den Coronavirus haben uns – mehr als alles andere – die Bedeutung des Nächsten und des zwischenmenschlichen Kontakts gezeigt. Nutzen wir diesen Weckruf! Machen wir unsere Zakat zu einem Mittel der sozialen Annäherung.

Unsere Nachbarn haben klare Rechte gegenüber uns. Das Beispiel, das der Prophet uns gegeben hat, ist eine tiefe Fürsorge und Sorge für unsere Nachbarn. Aisha berichtete: Der Gesandte Allahs, Friede und Segen seien mit ihm, sagte: „Derjenige ist kein Gläubiger, der die Nacht gesättigt verbringt, während der Nachbar an seiner Seite hungrig ist.“ Es ist klar, dass wir zum Teil für das Wohlergehen unserer Nachbarn verantwortlich sind.

Als Al-Hasan gefragt wurde, wer unsere Nachbarn sind, sagte er: „Der Begriff ‘Nachbar’ umfasst die vierzig Häuser vor einem Menschen, die vierzig Häuser hinter ihm, die vierzig Häuser zu seiner Rechten und die vierzig Häuser zu seiner Linken.“

Sie sind die Gemeinschaft. Die Einführung von lokaler Zakat – ihre Zahlung an einen Sammler, der sie vor Ort verteilt – ist ein wichtiger Weg, wie wir dieser Verpflichtung gegenüber unseren Nachbarn nachkommen können.