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Muslime in Deutschland: Immer noch wird viel zu oft in auswärtigen Kategorien gedacht

Ausgabe 221

(Mediendienst Integration). Fast die Hälfte der Muslime, die hier leben, sind Deutsche. Dennoch werden sie vom Staat, von der Wissenschaft und Politik immer wieder mit Einwanderern und Ausländern gleichgesetzt. Das zeigt unter anderem die gängige Praxis der Behörden, die offenbar sämtliche muslimischen Vereine auffordern, sich im Ausländervereinsregister anzumelden.

So haben sich die jungen Gründer ihren Start ins Vereinsleben nicht vorgestellt: Das „Forum muslimischer Stipen­diatinnen und Stipendiaten“ will sich für soziale Gerechtigkeit engagieren und Menschen zusammenbringen. Doch zwei Tage nach der Vereinsgründung im September 2012 erhält der Vorsitzende Zakariya Ali Post vom Berliner Landeskriminalamt.

Darin schreibt ein Mitarbeiter des LKA: „Nach den mir vorliegenden Unterlagen könnte es sich hierbei um einen Ausländerverein im Sinne des 14 Vereinsgesetz handeln.“ Wenn der Vorstand nicht fristgemäß Auskunft über die Staatsangehörigkeit aller Mitglieder gebe, drohe ein Bußgeld von 1.000 Euro.

Die Mitglieder des jungen Vereins sind empört und beschreiben den Vorgang in einer Pressemitteilung, die bislang nicht aufgegriffen wurde. Sie betonen: Es handelt sich hierbei nicht um einen Einzelfall. Sämtliche den Mitgliedern bekannten Vereine hätten ­einen solchen Brief erhalten, wenn sie das Wort „muslimisch“ oder „Islam“ im Namen führen. „An diesem Fall sieht man deutlich, dass Muslime in Deutschland mit Ausländern gleichgesetzt werden“, schreibt Zakariya Ali.

Die Erfassung diene der Gefahrenabwehr
Das in Köln angesiedelte Bundesver­waltungsamt (BVA) bestätigt die Praxis und erklärt auf Anfrage des Medi­endienstes, das „Register für Drittstaaten-Ausländer“ diene auf der Grundlage des Vereinsgesetzes unter anderem „zur Datenübermittlung an Sicherheits­behörden über Ausländervereine und ausländische Vereinigungen, um gegebenenfalls erste Ermittlungsansätze zu potentiell gefährlichen Vereinen und Vereinigungen gewinnen zu können“.

Das Register bestehe als Aktenhaltung in Papierform und verfüge über Unterlagen von etwa 12.000 aktiven und 5.000 aufgelösten Ausländervereinen. Als Ausländerverein gelte ein Verein, dessen Mitglieder „überwiegend Ausländer“ seien. Genau genommen müsste es „Drittstaatenausländer“ heißen: Seit 2002 sind Organisationen, deren Mitglieder oder Leiter überwiegend Staatsangehörige eines EU-Landes sind, von der Regelung ausgenommen. Das Bundesverwaltungsamt unterstreicht in seiner Antwort: Der Begriff Ausländer beziehe sich auf die Staatsangehörigkeit – nicht auf die Konfession. In Widerspruch zu dieser ­Aussage stehen jedoch die Erfahrungen des Vereins „Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime und Freunde des Islam Berlin“. „Auch wir haben ein derartiges Schreiben vom LKA bekommen“, sagt Amir Mohammed Herzog. Er gehe davon aus, dass sich in Deutschland schätzungsweise 100.000 Deutsche ohne Migrationshintergrund zum Islam bekennen. Herzog beruft sich dabei auf Zahlen des Islam-Archivs in Soest. Andere Schätzungen kommen lediglich auf 10.000 Konvertiten und herkunftsdeutsche Muslime. Verlässliche Aussagen gibt es dazu nicht, statistisch werden beide Gruppen bislang nicht erfasst.

Die Politikwissenschaftlerin Meltem Kulaçatan hält eine Erfassungspraxis, die Muslime mit Ausländern gleichsetzt, für problematisch: „Es stellt sich die Frage, weshalb eine gesellschaftliche Partizipation von Muslimen in unserer Gesellschaft zunächst mit einem latenten Misstrauen quittiert werden muss“, sagt Kula­çatan, die am Erlanger Zentrum für Islam und Recht an der Friedrich-Alexander-Universität tätig ist. „Formal mag die juristische Prüfung auf der Grundlage des Vereinsrechtes richtig sein. Doch herrscht hier der mit einer pluralistischen Zivilgesellschaft in einem demokratischen Land nicht zu vereinbarende Grundgedanke, wonach ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft eine vollwertige Partizipation überhaupt erst ermöglicht. Überdies wird die deutsche Staatsbürgerschaft mit der christlichen Religionszugehörigkeit gleich gesetzt, was in der Realität natürlich nicht haltbar ist.“

Muslime gleich Einwanderer?
Auch in wissenschaftlichen Untersuchungen werden Muslime noch primär als Ausländer oder Einwanderer betrachtet. Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus hat für den Mediendienst die Datenlage zu Muslimen in Deutschland in einem Gutachten analysiert und kommt zu dem Schluss, dass sich Wissenschaftler in allen Untersuchungen bis heute lediglich auf Muslime aus Einwandererfamilien konzentriert haben. Die offiziellen Angaben zu Muslimen stützen sich dabei auf die 2009 entstandene Studie zum „Muslimischen Leben in Deutschland“, wonach vier Millionen Muslime in Deutschland leben. Die größten Herkunftsregionen sind dabei die Türkei (2,5 Millionen), Südosteuropa (550 000) und der Nahe Osten (330 000). Doch die Untersuchung zeigt auch auf, dass 45 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime deutsche Staatsangehörige sind – das entspricht rund 1,8 Millionen.

Auch bei den ausländischen Muslimen handelt es sich in vielen Fällen nicht mehr um Einwanderer oder Neuzugezogene: Viele leben mit ihren Nachkommen oft schon seit Jahrzehnten in Deutschland, wie etwa die Mehrzahl der Südosteuropäer, die in den 1990er Jahren im Zuge der Balkankriege nach Deutschland kamen. Darunter sind auch viele Bosnier, die sich etwa im „Bundesdachverband der muslimischen Bosniaken organisiert haben“.

Spielhaus kritisiert, dass Muslime mit anderen europäischen Staatsangehörigkeiten oder aus nicht muslimisch geprägten Herkunftsländern bislang ausgeklammert wurden – obwohl die Forschung darauf hinweise, dass die innereuropäische Migration von Muslimen relevant sein könnte. Außerdem bemängelt die Islamwissenschaftlerin, dass zum Islam Konvertierte und deren Nachkommen nicht in die bisherigen Hochrechnungen einbezogen werden. Das wiederum bedeute, dass Muslime in Deutschland automatisch mit einem Migrationshintergrund gleichgesetzt würden. Eine ähnliche Kritik übte auch das Forum islamischer Stipendiaten – im Vorfeld des Integrationsgipfels vom Mai: Der Gipfel nehme in Deutschland geborene Muslime als Einwanderer wahr. Die Ausübung des Islam werde so zur Integrationsbarriere stigmatisiert.

Nur jeder Fünfte
Einen Gegensatz zwischen Muslimen und Einheimischen, Muslimen und Europäern sowie Muslimen und Integration stellten auch die Wissenschaftler im aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung her: „Die durch Migrantenströme in die europäischen Länder gebrachten nicht-christlichen Religionen werfen Probleme der sozialen Integration der Zugewanderten […] auf“, heißt es hier etwa auf Seite 32. „Deutschland ist ein Land, das historisch betrachtet durch vielfältige Migrationsformen und Migrationswellen geprägt ist“, sagt die Politikwissenschaftlerin Kulaçatan. „Gegenwärtig werden Muslime mit deutscher Staatsbürgerschaft immer wieder ethnisiert und damit innerhalb der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert.“

Dass die Gleichung „Einwanderer gleich Muslim“ nicht immer zutreffend ist, zeigt eine Umfrage zu Religionszugehörigkeit und Religiosität, die das hessische Integrationsministerium im August veröffentlich hat. 29 Prozent der Teilnehmer mit Migrationshintergrund bekannten sich darin zum katholischen, 21 Prozent zum evangelischen Glauben. 20 Prozent gaben an, Muslime zu sein, 16 Prozent bezeichneten sich als konfessionslos. Auf die Frage, ob ihnen ein andersgläubiger Nachbar „angenehm“ sei, gaben 85 Prozent an, die Religion spiele für sie keine Rolle. Für 13 Prozent ist dieser Nachbar „sehr“ oder „eher angenehm“.

Der Beitrag erschient zuerst auf der Webseite des “Mediendienst Integration” am 03.10.2013.