,

Notstand in Idlib

Ausgabe 296

Foto: Islamic Relief Deutschland, Facebook

„Wenn ich das Geräusch von Flugzeugen höre, zittere ich am ganzen Körper und habe Angst“

(Islamic Relief Deutschland). Mehr als 300.000 Menschen in der syrischen Provinz Idlib sind seit Dezember 2019 vor Luftangriffen und Bombardements aus ihren Häusern geflohen. Trotz der kürzlich für Idlib ausgehandelten Waffenruhe zwischen der Türkei und Russland, sind hunderttausende Vertriebene unterversorgt und suchen Zuflucht im Norden Idlibs. Das humanitäre Hilfsnetzwerk „Islamic Relief“ hilft den Menschen vor Ort mit Decken, Essen und Transporten.

Verschärfte Feindseligkeiten zwischen Regierungstruppen und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen im nordwestlichen Regierungsbezirk Idlib haben seit Dezember 2019 die Vertreibung von mehr als 312.000 Menschen verursacht. Ergänzend zu den 400.000 Menschen, die bereits zwischen Mai und ­August 2019 vertrieben wurden, sind nun mehr als 700.000 Menschen auf der Flucht. Die Vertriebenen bewegen sich weiter nach Norden an die türkische Grenze oder Richtung Aleppo.

Eine der Vertriebenen ist die 35-jährige ­Mariam*, die aus einem Dorf bei Maarrat al-Numan südlich von Idlib geflohen ist. „Mein Dorf wurde belagert und bombardiert. Alle haben versucht, ihre Häuser schnell zu verlassen und der Belagerung und den Bombardements zu entkommen“, erzählt die mehrfache Mutter. „Die Straße, auf der wir mit dem Auto flohen, wurde bombardiert und die Kampfflugzeuge verfolgten uns. Wenn ich das Geräusch von Flugzeugen höre, zittere ich am ganzen Körper und habe Angst. Ich erstarre vor Angst.“

Als die Bombardements anfingen, verließen Mariam und ihre Familie ihr Haus, ohne etwas mitnehmen zu können. Sie haben keine Wechselkleidung, keine Decken und kein Geld, alles wurde von den Bomben vernichtet. Mariam und ihre Familie leben aktuell in ­einem verlassenen Haus ohne Wände, ohne Fenster und ohne Schutz. „Wir frieren, wir schlafen ohne Decke. Es regnet auf uns und der eisige Wind fegt durch das Haus. Wir haben nichts! Ich trauere um unseren Zustand, aber auch um meine toten Nachbarn und Freunde. Ich habe sie sterben sehen“, schildert Mariam gefasst.

Wie auch in Mariams Dorf wurden im letzten Monat zahlreiche Lager, Schulen und Märkte im Süden der Provinz Idlibs beschossen und zivile Opfer gemeldet. Kälte und Regen verschärfen zudem den humanitären Bedarf in Nordwest-Syrien. Zelte werden überflutet und die Vertriebenen sind niedrigen Temperaturen ausgesetzt, während sie in unsicheren Notunterkünften oder unter freiem Himmel schlafen. Hohe Kraftstoffpreise und Treibstoffknappheit behindern zudem die Flucht und den Transport von Zivilisten, aber auch den von Hilfslieferungen.

Während sich bereits im Sommer die ­Situ­ation für medizinische Versorgung durch humanitäre Helfer zuspitzte und ihre Hilfe unmöglich machte, können die Hilfso­rganisationen im Süden Idlibs unter den schlechten Bedingungen weiterhin keine ausreichende Hilfe leisten. Auch Ahmed Mahmoud, Missionsleiter von Islamic Relief ­Syrien berichtet: „Mehrere Hilfsorganisationen wurden gezwungen, die Operationen im Süden von Idlib auszusetzen. Wenn die derzeitige Unsicherheit anhält oder sich weiter verschlechtert, werden weitere Organisationen diese Option erwägen. Dies wird die gemeinsame Unterstützung, die wir für Hunderttausende von Vertriebenen leisten können, nur weiter einschränken.” Das internationale Hilfsnetzwerk von Islamic Relief konnte mit seinem Notfallfonds bereits 312.000 Euro für eine sofortige Nothilfe in Idlib bereitstellen.

Weitere Zugangsschwierigkeiten sind auf die unbeständige Sicherheitslage und die schlammigen Straßen zurückzuführen. Schutz, Nahrung, Unterkünfte und Non-Food-Items sowie die gesundheitliche Versorgung der Binnenvertriebenen sind zentrale Leistungen der humanitären Hilfe vor Ort. Die jüngste Vertreibungswelle verschärft die bereits katas­trophale Situation in Idlib. Der dicht besiedelte Regierungsbezirk im nordwestlichen ­Syrien beherbergt bereits Vertriebene aus ganz Syrien.  Mehr als drei Millionen Zivilisten harren im Kriegsgebiet aus, wobei die überwiegende Mehrheit von ihnen Frauen und Kinder sind.

Eine Feuerpause zwischen der Türkei und Russland galt seit dem 9. Januar, teilte die russische Armee mit. Sie sei mit einer entsprechenden russisch-türkischen Vereinbarung in Kraft getreten. Zudem endet am 10. Januar das Mandat für eine UN-Hilfsmission in Syrien, von der bisher drei Millionen notleidende Menschen profitieren. Der Weltsicherheitsrat konnte sich bislang nicht auf eine Verlängerung der Resolution einigen. Das Mandat garantierte der UN bisher, wichtige Hilfsgüter nach Syrien zu bringen.