Senkrechtstart in den Elysée-Palast

Ausgabe 264

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(KNA). Emmanuel Macron (39), der sein Programm für Frankreich wie auch für die EU als „Revolution“ bezeichnet, folgte am 14. Mai auf den Sozialisten François Hollande. Um seine ambitionierten Ziele – vor allem auch zugunsten der Benachteiligten – umsetzten zu können, benötigt er eine stabile Mehrheit in der Nationalversammlung. Die muss seine erst vor einem Jahr gegründete Bewegung „En Marche!“ bei der Parlamentswahl im Juli erreichen.
Jetzt tritt der studierte Philosoph und Ex-Finanzminister Macron als jüngster Amtsinhaber mit 66,1 Prozent der Stimmen an die Spitze der Republik. Doch ihm ist bewusst, dass er die zerrissene Bevölkerung versöhnen und für seine Reformen erst noch gewinnen muss. Denn etwa zwei Drittel derer, die Macron ihre Stimme gaben, haben sich nicht aus Überzeugung für ihn entschieden, sondern weil sie Marine Le Pen und ihren nationalistisch-rechtsextremen Front National (FN) verhindern wollten.
Von den gut 47 Millionen Wahlberechtigten gingen bei der Wahl knapp 75 Prozent an die Urnen. In der ersten Runde am 23. April waren es noch fast 79 Prozent gewesen. Wie schwer den Franzosen die Entscheidung nach der für die Demokratie „übelsten Kampagne“, so Kardinal Philippe Barbarin, fiel, ist daran ablesbar, dass 4,2 Millionen Bürger leere Umschläge oder ungültige Stimmzettel abgaben – so viele wie noch nie. Entgegen einiger Umfragen votierten die praktizierenden Katholiken zu 71 Prozent für Macron. Mehr Zustimmung fand dieser nur bei den Muslimen (92 Prozent). Die Katholiken, die bis zu 50 Prozent der Wahlberechtigten stellen, entsprachen damit wenigstens zum Teil der Hoffnung der Bischöfe, die das „Urteilsvermögen“ der Gläubigen beschworen hatten.
Die unterlegene Le Pen holte allerdings mit knapp 34 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis seit Bestehen des FN. Sie will ihre Partei jetzt umbauen und umbenennen, um bis zur nächsten Präsidentenwahl in fünf Jahren noch mehr Menschen zu erreichen. Ihren Erfolg verdankt Le Pen, der rund 10,6 Millionen Bürger ihre Stimme gaben, allerdings zu einem guten Teil eben auch den Katholiken, die sich zu 80 Prozent an der Wahl beteiligten. So machten 29 Prozent der praktizierenden und 46 Prozent der gelegentlich oder nicht praktizierenden Katholiken ihr Kreuz hinter dem Namen der Rechtspopulistin.
Ein Umstand, der den Bischöfen zu denken geben dürfte. Im ersten Wahlgang am 23. April hatten die meisten ­Katholiken noch auf den Kandidaten des bürgerlich-konservativen Lagers, den Katholiken François Fillon, gesetzt. Anders als 2002, als der Parteigründer Jean-Marie Le Pen antrat, wollten sich die Bischöfe jetzt nicht zu einer klaren Absage gegen den Front National entschließen.
Die Französische Bischofskonferenz betonte zuvor noch einmal, dass sie nicht Partei für einen Kandidaten ergreife. Die Bischöfe befänden sich in einer „schwierigen“ Situation, räumte der Vorsitzende, Erzbischof Georges Pontier, angesichts der heftigen Kritik an dieser Entscheidung ein. Einzelne Bischöfe positionierten sich persönlich gegen den FN und für den links-liberalen Macron.
Spitzenvertreter von Protestanten, Judentum und Islam hatten sich indes klar für Macron ausgesprochen. Nur dieser könne für ein Frankreich stehen, das seine Stärke aus der Geschichte schöpfe und mit Vertrauen in die Zukunft blicke, hieß es in ihrem Appell. Die Religionsvertreter betonten unter Verweis auf ihre Verpflichtung zu politischer Neutralität, dass ihnen als „verantwortungsvollen Bürgern“ daran liege, dass in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen ein „großherziges, tolerantes und weltoffenes Frankreich“ den Sieg davontrage. Unterzeichnet war diese bislang beispiellose Erklärung, so „La Croix“, vom Vorsitzenden der Protestantischen Föderation, François Claviaroly, von Oberrabbiner Haim Korsia und vom Vorsitzenden des Islamrats, Anouar Kbibech.