Spionage ohne Grenzen

Für den US-Geheimdienst CIA scheint auch das Ausforschen von Freunden kein Tabu zu sein. Die Affäre um einen angeblichen US-Spion beim BND droht weiteres Vertrauen zwischen den USA und Deutschland zu zerstören.

Berlin (dpa). Von einem 007 der CIA kann keine Rede sein. Und Kanzleramtsspion Günter Guillaume hätte wohl auch nur ein müdes Lächeln übrig gehabt. Der Spion beim Bundesnachrichtendienst, der 218 Dokumente auf einen USB-Stick gespeichert und für 25 000 Euro an die CIA verkauft haben soll, war eine Hilfskraft in der BND-Zentrale im bayerischen Pullach.

Zu seinen Aufgaben in der Abteilung «Einsatzgebiete Ausland» zählten das Entgegennehmen und Einscannen von Dokumenten und die Ausgabe von Funkgeräten. Technische Unterstützung nennt man das beim BND. Für seinen eigentlichen Arbeitgeber spionierte er nicht. Deshalb kann man ihn auch kaum als Doppelagenten bezeichnen.

Die Arbeit für US-Geheimdienste hat er nach dpa-Informationen selbst gestanden. Für Spekulationen, er habe vielleicht doch an den Dienst eines anderen Landes geliefert, gibt es bisher keine Grundlage.

So oder so: Der BND geht davon aus, dass der 31-Jährige keine besonders brisanten Daten abgeschöpft hat. Und den NSA-Untersuchungsausschuss hat er auch nicht ausspioniert, wie zunächst vermutet worden war. Der BND hält den Schaden daher für überschaubar. «Es ist nach der ersten Bewertung nicht etwas, was der GAU (größte anzunehmende Unfall) wäre», heißt es.

Trotzdem bleibt die Spionage-Affäre ein handfester Skandal, der die deutsch-amerikanischen Beziehungen weiter erschüttern könnte. Dass sich die CIA auf illegalem Weg Informationen eines befreundeten Dienstes besorgt, löst im politischen Berlin Fassungslosigkeit aus – auch wenn der Wert der Informationen nicht besonders hoch ist.

«Wenn die Berichte zutreffen, dann reden wir hier nicht über Kleinigkeiten», sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier am Sonntag. Drastischer formulierte es der CSU-Außenpolitiker Hans-Peter Uhl in der «Welt am Sonntag»: Die Amerikaner führten sich auf wie eine «digitale Besatzungsmacht». Und Bundespräsident Joachim Gauck meinte im ZDF, wenn sich der Verdacht bestätige, dann müsse man wirklich mal sagen: «Jetzt reicht’s auch einmal.»

Zwei Jahre lang blieb der Maulwurf unentdeckt. Der Spionageabwehr kann man trotzdem kaum einen Vorwurf machen. Die US-Geheimdienste hatte sie bisher nicht auf ihrem Radar, weil das politisch so gewollt war. Seit Bekanntwerden des Spähangriffs auf das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird diskutiert, ob das so richtig ist. Trotzdem gilt vorerst weiter: Spionageabwehr gegen Freunde gibt es nicht.

Der US-Spion in Pullach flog deshalb auch erst auf, als er sich eine neue Einnahmequelle suchte. Am 28. Mai schrieb er eine E-Mail an das russische Generalkonsulat in München mit drei geheimen BND-Dokumenten, die dem russischen Geheimdienst eine Zusammenarbeit schmackhaft machen sollten. Der Verfassungsschutz fing die Mail ab, sie war der entscheidende Hinweis auf den Maulwurf, der wenige Wochen später festgenommen wurde und jetzt in Untersuchungshaft sitzt.

Welche Konsequenzen der Fall für die Zusammenarbeit der Geheimdienste haben wird, ist noch offen. Zunächst müssten die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft abgewartet und die Aussagen des Verdächtigen überprüft werden, heißt es beim BND. Es dürfe jetzt keine Schnellschüsse geben. Die Kooperation mit den US-Diensten ist vor allem für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus von entscheidender Bedeutung. Die Folgen einer Beeinträchtigung können gravierend sein.

Die Amerikaner schweigen bislang zu den Enthüllungen. Aus dem Weißen Haus und dem US-Außenministerium in Washington gibt es keinen Kommentar. Der US-Botschafter in Berlin, John B. Emerson, feierte am Freitagabend am früheren Flughafen Tempelhof mit mehreren hundert Gästen den Nationalfeiertag der USA. Es gab Burger, Donuts, kalifornischen Wein und ein großes Feuerwerk zum «Independence Day». Aber es gab kein Wort zu den angespannten deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Immerhin die frühere Außenministerin Hillary Clinton, die am Wochenende in Berlin war, um ihr Buch «Entscheidungen» vorzustellen, äußerte sich und sprach von einem «ernsten Thema». Auf einer Podiumsdiskussion des «Zeit-Magazins» berichtete sie, als sie am Freitag in London von der Nachricht überrascht worden sei, habe sie nur gedacht: «Wie bitte?» Sie warnte vor negativen Folgen für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich: «Sie sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden.»

Solche Äußerungen hat die Bundesregierung in den vergangenen Monaten schon oft aus den USA gehört. Passiert ist aber kaum etwas. Merkel wollte sich am Wochenende während ihrer China-Reise zunächst nicht öffentlich zu der Affäre äußern. In ihrem letzten Telefonat mit US-Präsident Barack Obama am Donnerstag war die Affäre noch kein Thema. Beim nächsten Gespräch wird sie es sicher sein.