, ,

Wüst zu Anschlägen in der Keupstraße: NSU-Opfer wurden nicht geschützt

köln keupstraße

20 Jahre ist es her, dass in der Kölner Keupstraße mehrere Menschen von einer Nagelbombe verletzt wurden. Der NRW-Ministerpräsident bat die Opfer um Entschuldigung.

Köln (KNA). NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat die Betroffenen des NSU-Anschlags in der Kölner Keupstraße um Entschuldigung gebeten. 

„Der Staat, dessen vorderste Aufgabe es ist, die Menschen zu schützen, muss eingestehen, dass er in der Keupstraße an diesem Anspruch gescheitert ist. Er hat die Menschen nicht geschützt. Er hat sie weder vor körperlichen und seelischen Schäden noch vor falschen Verdächtigungen bewahrt“, schrieb der Politiker in einem Gastbeitrag für den Kölner „Stadt-Anzeiger“ (Samstag) und die türkische Zeitung „Hürriyet“.

Er bitte „alle, denen so lange nicht geglaubt wurde und die fälschlicherweise selbst ins Visier der Ermittlungen gerieten, obwohl sie Opfer waren, um Entschuldigung“.

Bei dem Anschlag am 9. Juni 2004 waren 22 Menschen von einer Nagelbombe in der Keupstraße verletzt worden, vier von ihnen schwer. Zu der Tat bekannte sich der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Am Sonntag wurde im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an das Attentat erinnert.

Wüst beklagte, die Anwohner der Keupstraße hätten „nicht nur den Schock des Anschlags und die Angst um das eigene Leben erfahren müssen, sondern auch Vorverurteilung und Diffamierung“. Teilweise sei sogar gegen die Betroffenen und ihre Angehörigen ermittelt worden.

Auch die Gesellschaft und die Medien hätten Fehler gemacht, was die Einführung des „unsäglichen Begriffs der ‘Dönermorde’“ zeige. Das „engstirnige Denken in geistigen Schubladen“ sei die Quelle der Fehler gewesen. „Gerade jetzt, wo rechtsradikale Parteien mit Vorurteilen und Ausgrenzung wieder erfolgreich Politik machen, muss die demokratische Mitte gemeinsam gegen ein solches Denken einstehen“, fordert der CDU-Politiker.

NRW habe aus Fehlern gelernt. Polizei und Justiz spiegelten „heute selbst die gesellschaftliche Vielfalt unseres Landes stärker wider“.

Debatte: Was sind unsere Gefahren oder stimmen deutsche Sicherheitsdiskurse noch?

Der folgende Debattenbeitrag ist keine Relativierung des real existierenden Extremismus unter einigen Muslimen oder gar von Terrorakten, die in den letzten 20 Jahren verübt wurden. Es ist genauso im Interesse muslimischer BürgerInnen, dass Staat und Gesellschaft ein scharfes Auge auf Terror und gewaltbereite Ideologien oder Personenkreise haben. Muslime stimmen selbstverständlich zu, dass der Staat und seine Organe ein scharfes Auge auf entsprechende Entwicklungen und „Gefährder“ haben.

(iz). Spätestens mit dem 11. September 2001 fokussierte sich die öffentlich wahrnehmbare Debatte in Politik, Experten und Allgemeinheit im Themenkomplex „Sicherheit“ (aus durchaus nachvollziehbaren Gründen) – neben gelegentlichen Schüben beim Umgang mit dem Rechtsterrorismus der letzten Jahren – vor allem und hauptsächlich auf Muslime und ihre Religion.

Sukzessive und konsequent wurden in den Folgejahren die meisten Teile der stark angewachsenen „Islamdebatten“ einer „Securitisation“ oder „Versicherheitlichung“ unterzogen. Vom Kopftuch, über ein angeblich „konfrontatives“ Gebet Berliner SchülerInnen bis zum leisen, unverstärkten Gebetsruf – vieles wurde und wird durch die Linse nationaler oder gesellschaftlicher „Sicherheit“ betrachtet und entsprechend geframt. Das setzte sich dann fort bei – eigentlich rational zu diskutierenden – Vorhaben wie der fachlichen Ausbildung von Imamen, der Entwicklung einer islamischen Lehre in Deutschland sowie dem ordentlichen Religionsunterricht für muslimische SchülerInnen an allgemeinbildenden Schulen. Deutschsprachige Gelehrte (siehe S. 14) oder Islamunterricht für Grundschüler wurden und werden durch einflussreiche Diskursteilnehmer (wie der Union) als verlängerter Arm von Sicherheitspolitik und Gewaltprävention behandelt.

Als Folge der Angriffe vom 11. September in den USA sowie der Anschläge in Madrid und London bauten Strukturen der inneren und internationalen Sicherheit massiv ihre Expertisen in Bezug auf MuslimInnen personell und materielle Ressourcen aus. Dieser Schwerpunkt führte dazu, dass nicht nur andere ideologische Phänomene im Inland erheblich übersehen wurden (was sich bei den Taten des NSU-Komplexes, der Entwicklung rechter Strukturen in eigenen Reihen und einem stochastischen Rechtsterrorismus als fatal erweisen sollte). Die drastische Änderung der globalen und geopolitischen Gemengelage wurde – vor dem Hintergrund billiger Energie aus Russland und stabiler Absatzmärkte in Ostasien – nicht ausreichend mit einbezogen.

Während ein Großteil der sicherheitspolitischen Aufmerksamkeit MuslimInnen gewidmet wurde, haben Deutschland (und die EU) in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches dramatischere Bedrohungen unterschätzt. So wurde die deutsche Kernkompetenz – eine funktionierende Exportindustrie sowie relativ hoher Wohlstand – fundamental von zwei Staaten abhängig gemacht. Bei Energieträgern und mineralischen Rohstoffen war das Russland, bei Absatzmärkten, Investitionen, Produktion und Entwicklung China.

Der Russland-Komplex ist der deutschen Politik und Wirtschaft (die beispielsweise mit ihrem Ostausschuss kaum in den Fokus von Kritik rückt) spätestens seit dem 24.2.2022 vor die Füße gefallen. Seit Jahren schon steht auch Deutschland im Visier des Kreml, was auf einer sehr randständigen Ebene viele Russlandfahnen auf rechten Demos andeuten. Einzelne Beispiele von Hackerangriffen auf öffentliche Einrichtungen deuten an, was passieren kann. In diesem Moment erweist sich die dramatische Änderung unserer Energieversorgung nicht nur als Bedrohung für „Wirtschaft“ und „Wohlstand“, sondern für die innere Sicherheit selbst.

Dabei ist die Exportausrichtung auf und die Produktion der bundesdeutschen Wirtschaft in China gar nicht einbezogen. Dass sich Peking seit Jahren in relevante Industrien sowie rohstoffreichen Regionen des globalen Südens einkauft und sich mit großzügigen „Hilfen“ durchsetzt, war bekannt. Dass in Teilen des eigenen Landes auch Waren deutscher Produzenten mithilfe von Zwangsarbeit hergestellt werden, ebenso. Erst mit dem Streit um den Verkauf von Anteilen der Hamburger Hafengesellschaft HHLA an den chinesischen Staatskonzern Cosco (dessen Europazentrale in der Hansestadt liegt) wurde den Deutschen in breiterem Maße bewusst, welchen Einfluss Peking anstrebt und schon hat.

Momentan befindet sich ein neo-imperiales Russland in einem blutigen Krieg gegen die Ukraine. Die Supermacht China macht nicht nur ihren direkten Nachbarn Sorgen. Nationalistisch-religiöse Regime wie im Iran oder Indien (das bis 2050 das bevölkerungsreichste Land der Welt sein wird) lassen die Muskeln spielen und der Populismus sowie Nationalismus starker „Führer“ ist erfolgreich in Staaten von Brasilien bis zu den Philippinen. Selbst nahe und als gefestigt geltende Rechtsstaaten wie die USA, Großbritannien, Italien oder Schweden (jenseits des ökonomisch schwer gebeutelten Osteuropa) erleben systemische Krisen ihrer Politik, deren Ausgang ungewiss ist.

Die fortgesetzte Erzeugung künstlicher „Bedrohungslagen“ durch Kopftücher von Lehrerinnen, Gebetsrufen, Halal-Fleisch oder einer ominösen „Moscheefinanzierung“ angesichts echter Gefahren ist politisch und verantwortungsethisch unangebracht. Sie erscheint auch grotesk, wenn spätestens seit Ausbruch der Pandemie in bestimmten Regionen unseres Landes montäglich tausende/zehntausende BürgerInnen gegen „Diktatur“ und „Volksverräter“ demonstrieren und dabei Gefängnis für und Gewalt gegen gewählte Parlamentarier fordern oder vor ihren Wohnungen aufmarschieren.

Wie würde die Republik reagieren, wenn das berüchtigte Neuköllner „Kopftuchmädchen“ täten?

,

4 Jahre danach: Ataman sieht Versagen im Umgang mit Hanau

ataman deutschland

Am 19.02.2020 erschoss ein Deutscher in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven. 4 Jahre danach liegt weiter vieles im Argen, findet die Antidiskriminierungsbeauftragte. Berlin (KNA). Zum vierten Jahrestag des rechtsterroristischen […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

,

Gedenken an Opfer des rassistischen Attentats in Hanau

Opfer Terror Rassismus Hanau Kurtović

Vor vier Jahren mussten im hessischen Hanau neun Menschen sterben, als ein Attentäter aus rassistischen Motiven tötete.

Hanau (KNA) Mit einer Kranzniederlegung und einem stillen Gedenken ist am Montag auf dem Hauptfriedhof in Hanau sowie an weiteren Orten an die neun Opfer des rassischen Amoklaufs vom 19. Februar 2020 erinnert worden. „Die Mahnung, die aus dem rassistischen Terror vor vier Jahren in Hanau folgt, könnte nicht aktueller sein. Von Matthias Jöran Berntsen

Denn die Wegbereiter rechtsextremer Gewalt, die selbst aus unseren Parlamenten heraus ihre menschenverachtende Hetze verbreiten, sind in den letzten vier Jahren lauter und stärker geworden“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) anschließend.

Hanau: Offizielle Kranzniederlegung

Sie nahm am Vormittag gemeinsam mit dem stellvertretenden hessischen Ministerpräsidenten Kaweh Mansoori und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (beide SPD) an der offiziellen Kranzniederlegung teil. Auch der Bundesopferbeauftragte Pascal Kober (FDP) und Hessens Landtagspräsidentin Astrid Wallmann (CDU) waren vor Ort.

Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) sagte im Vorfeld: „Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov: Die Namen der Opfer und das Leid der Hinterbliebenen mahnen uns, Rassismus und Menschenfeindlichkeit endlich zu überwinden und jederzeit aktiv dagegen anzugehen.“

Ein digitales Denkmal

Hanau pflegt im Internet die Seite Hanau-steht-zusammen.de. „Mit dieser Website wollen wir ein digitales Denkmal setzen, das immer wieder aktualisiert wird und so die Erinnerung an das Geschehen lebendig halten und Wege in die Zukunft weisen soll“, wie Oberbürgermeister Kaminsky dort schreibt.

Die Anteilnahme war auch bei den Religionsgemeinschaften groß. So betete Imam Macit Bozkurt (Islamischer Verein Hanau) an den Gräbern der auf dem Hauptfriedhof Bestatteten und zitierte aus dem Koran. Der Zentralrat der Juden in Deutschland schrieb auf X: „Wir erinnern an die Opfer und sind mit unseren Gedanken bei den Angehörigen.“

Und in der Wallonisch-Niederländischen Kirche sollte am Montagabend ein ökumenischer Gedenkgottesdienst stattfinden. Der Fuldaer katholische Bischof Michael Gerber sagte: „Unsere Gedanken und Gebete sind vor allem bei den Angehörigen der Opfer, die ein Leben lang unter dem Verlust ihrer Lieben leiden müssen. Der Tod der jungen Menschen mahnt uns gerade jetzt, als Zivilgesellschaft im Einsatz für die unbedingte Würde eines jeden Menschen – unabhängig von seiner Herkunft oder Weltanschauung – einzutreten.“

Terror: Hanau gedenkt der Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020

hanau

Mit einer Kranzniederlegung und einem gemeinsamen Gebet wird am Montag in Hanau der Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020 gedacht.

Hanau (KNA). Mit einer Kranzniederlegung und einem gemeinsamen Gebet wird am Montag in Hanau der Opfer des Anschlags vom 19. Februar 2020 gedacht. „Das Miteinander in Hanau ist seit dem 19. Februar 2020 sensibler geworden. Schon in den ersten Stunden und Tagen haben die Hanauerinnen und Hanauer in tiefer Betroffenheit und großer Solidarität der Opfer dieses rassistischen Anschlags gedacht und ihr Mitgefühl gezeigt, auch den Angehörigen gegenüber. Dieses Gedenken wird niemals enden in Hanau“, erklärte Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) am Donnerstag.

Opfer Terror Rassismus Hanau

Hanau: Verschiedene Formen von Trauerarbeit und Engagement

Kaminsky wies auf eine Vielzahl von Gedenkveranstaltungen hin, die rund um den vierten Jahrestag stattfinden. Demnach bieten Vereine, Schulen, Kirchen und Organisationen zahlreiche „Formen der Diskussion, Teilhabe, Trauerarbeit und zukunftsgerichtetem Engagement für ein friedliches Leben“ an. „Das erfüllt mich mit Stolz und ist gerade heute wichtiger denn je“, sagte Kaminsky.

Am 19. Februar 2020 wurden Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili-Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov von einem rassistischen Attentäter in Hanau ermordet.

Das zentrale Gedenken von Stadt und Land findet am Montag auf dem Hauptfriedhof statt. Um 11.00 Uhr werden dort der stellvertretende hessische Ministerpräsident, Kaweh Mansoori, und Kaminsky an die Opfer erinnern. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die aus Hessen stammt, hat ihre Teilnahme zugesagt.

Foto: Islamrat, Twitter

Stilles Gedenken ohne Reden

An der Trauerhalle auf dem Hauptfriedhof wird es eine Kranzniederlegung geben. Das stille Gedenken, bei dem es auf ausdrücklichen Wunsch der Opferangehörigen keine politischen Reden auf dem Friedhof geben wird, ist öffentlich.

Bereits für 10.00 Uhr ist ein Gebet von Imam Macit Bozkurt (Islamischer Verein Hanau) an den Gräbern der auf dem Hauptfriedhof Bestatteten und den Erinnerungstafeln für die Opfer des 19. Februar geplant. Um 10.45 Uhr wird Bozkurt im Eingangsbereich des Hauptfriedhofs aus dem Koran rezitieren.

Auf dem Friedhof in Dietzenbach findet um 14.00 Uhr das Gedenken für Sedat Gürbüz statt, an dem städtische Vertreterinnen und Vertreter teilnehmen. Auch an den weiteren Grabstätten in Deutschland und anderen Ländern finden Blumen- beziehungsweise Kranzniederlegungen statt.

Debattenklima gesellschaft Deportationsszenarien

Foto: r.classen, Shutterstock

Bischof sieht Gesellschaft gefordert

Fuldas katholischer Bischof Michael Gerber fordert, die Gesellschaft solle sich gemeinsam für die Menschenwürde und das Miteinander einsetzen.

„Unsere Gedanken und Gebete sind vor allem bei den Angehörigen der Opfer, die ein Leben lang unter dem Verlust ihrer Lieben leiden müssen. Der Tod der jungen Menschen mahnt uns gerade jetzt, als Zivilgesellschaft im Einsatz für die unbedingte Würde eines jeden Menschen einzutreten – unabhängig von seiner Herkunft oder Weltanschauung“, sagte Gerber auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

„Wir müssen weiter an der Vernetzung all jener Initiativen und Kräfte arbeiten, die sich für Menschenwürde und das Miteinander in unserem Land einsetzen.“

Nigeria: Überfälle, Entführungen, Landkonflikte

Nigeria Afrika Karte

Eine neue Gewaltwelle hält Nigeria in Atem. Die Ursachen sind vielfältig: Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen, Streit um Land und Ressourcen

Abuja (KNA). Mittlerweile ist die Gewalt selbst in Nigerias Hauptstadt Abuja angekommen. Ignatius Kaigama, Erzbischof von Abuja, findet deutliche Worte.

Ende Januar kritisierte er in einer Predigt, dass selbst die Straßen der Hauptstadt unsicher werden, von anderen Regionen ganz zu schweigen. Täglich würden Dörfer angegriffen, Eigentum zerstört sowie Menschen entführt und ermordet.

Foto: AK Rockefeller, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Nigeria erlebt seit Wochen eine neue Welle der Gewalt

An Weihnachten wurden im Bundesstaat Plateau im Zentrum des Landes mehr als 150 Menschen getötet, Dutzende Häuser zerstört. Seitdem kommt die Region nicht zur Ruhe: Vier Wochen später ermordeten Bewaffnete erneut 30 Personen, dieses Mal im Landkreis Mangu.

Seit Jahrzehnten kommt es in dem Bundesstaat mit fruchtbaren Böden und einem angenehmen Klima zu Gewaltausbrüchen. Die Interpretationen sind unterschiedlich.

Nach Einschätzung von Timothy Daluk, lokaler Vorsitzender der Christlichen Vereinigung Nigerias, handelt es sich um einen Angriff auf Christen. Muslime würde gezielt versuchen, Christen, die stets in der Region gelebt hätten, zu vertreiben, sagte er lokalen Medien.

Foto: Sani Ahmad Usman, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Konflikte um fruchtbares Land

Es geht allerdings auch um den Zugang zu wertvollem Land. Vor allem durch den Middle Belt, das Zentrum des Landes, ziehen bis heute Hirten mit ihrem Vieh. Sie gehören der Ethnie der Fulani an und sind fast ausschließlich Muslime. Häufig werden sie für Überfälle verantwortlich gemacht und als Terroristen bezeichnet. Zu einer Untersuchung von Überfällen bis hin zu Gerichtsprozessen kommt es allerdings so gut wie nie.

Auch verstärkt der Klimawandel die Spannungen. Da der Staat oft abwesend ist und weder ausreichend in Infrastruktur investiert, noch für Sicherheit sorgt, identifizieren sich Menschen weitaus mehr über ihre ethnische Zugehörigkeit und Religion und grenzen sich bewusst von anderen ab.

Foto: EC/ECHO/Wim Fransen

Nicht auf eine Region beschränkt

Die Entwicklung in Plateau ist extrem. Gewalt ist aber längst nicht mehr nur auf eine Region beschränkt, betont die nigerianische Denkfabrik, Centre for Democracy and Development, in einer Ende Januar veröffentlichten Untersuchung.

Konflikte haben sich mittlerweile in den bisher als einigermaßen friedlich geltenden Südwesten ausgebreitet. Vor allem ein Risiko gibt es überall: Entführungen. Verschiedene nichtstaatliche Organisationen wie die Sicherheitsfirma SBM Intelligence zählen jährlich mehr als 4.000. Da viele nicht angezeigt werden, wird die Dunkelziffer deutlich höher geschätzt.

Foto: Staff Sgt. Edward Braly, USAF, via Wikimedia Commons | Lizenz: Public Domain

Banden gefährlich wie Terroristen – Wirtschaft schwächet

Damit, so die Lesart verschiedener Beobachter, überschattet die Gewalt durch bewaffnete Banden mittlerweile auch die von terroristischen Gruppierungen wie Boko Haram und vor allem dem „Islamischen Staat in der Westafrikanischen Provinz“. Beide sind weiterhin vor allem im Nordosten aktiv.

Mit der anhaltenden Gewalt geht die desolate wirtschaftliche Entwicklung einher. Die Inflationsrate steigt seit Jahren und liegt mittlerweile bei fast 30 Prozent, während es vor einem Jahr noch knapp 22 Prozent waren.

Nach Informationen der Zentralbank ist auch der Naira schwach wie nie zuvor. Der Wechselkurs lag Ende Januar bei 1 Euro zu 1.475 Naira. Dabei ist das Land stark von Wareneinfuhren abhängig. Neben Autos und Baumaterialien gehören auch Nahrungsmittel dazu.

Als besonderer Einschnitt galt vergangenes Jahr die Abschaffung der Treibstoffsubventionen. Vor der seit Jahren diskutierten Umsetzung Mitte 2023 kostete der Liter offiziell 370 Naira. Nach Angaben des Welternährungsprogramms lag er in den Bundesstaaten Borno und Yobe im Nordosten im Dezember bei 1.300 bis 1.700 Naira, wodurch sich auch Lebensmittelpreise verteuern.

Anfang der Woche warnte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International im Kurznachrichtendienst X: „Millionen Menschen in Nigeria sind immer weniger in der Lage, die Kosten für Bildung, Ernährung und Gesundheitsversorgung zu decken.“ 

Fast zeitgleich gab der Internationale Währungsfonds bekannt, die Wachstumsprognosen für Nigeria für dieses Jahr von 3,1 auf 3 Prozent nach unten zu korrigieren.

,

Staatstrauer im Iran nach Explosionen

Staatstrauer Iran Explosionen Anschläge Uran

Nach den verheerenden Explosionen am Todestag des iranischen Generals Ghassem Soleimani sind viele Fragen noch ungeklärt. Die Regierung ruft Staatstrauer aus und lässt nach den Verantwortlichen fahnden. 

Teheran (dpa/IZ) Nach den verheerenden Explosionen im Iran mit über achtzig Toten steht nun die Suche nach den Hintergründen und Verantwortlichen für den Anschlag im Fokus. Die iranische Regierung sprach von einer Terrorattacke. Die Bundesregierung und der Europäische Auswärtige Dienst verurteilten den Anschlag ebenfalls als Terrorakt. Zunächst reklamierte allerdings keine Gruppe die Tat für sich, mittlerweile hat der Islamische Staat (IS) die Verantwortung für die Taten übernommen.

Es war der Anschlag mit den meisten Opfern in der rund 45-jährigen Geschichte der Islamischen Republik. Am Todestag des mächtigen iranischen Generals Ghassem Soleimani waren am Mittwoch in dessen Heimatstadt Kerman bei zwei Explosionen über achtzig Menschen in den Tod gerissen und mehr als 280 verletzt worden. Der Zustand von rund 30 Verletzten war in der Nacht noch kritisch und die Sorge groß, dass die Zahl der Opfer noch weiter steigen könnte. Derweil ließ Irans Regierung eine landesweite Staatstrauer ausrufen. Irans Präsident Ebrahim Raisi hat aufgrund der Anschläge seinen ersten Staatsbesuch in der Türkei abgesagt. Die eigentlich für Donnerstag geplante Reise nach Ankara werde verschoben, berichtete die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna am Mittwoch auf Telegram.

Foto: english.khamenei.ir, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 4.0

Irans Staatsführung verurteilte die Attacke aufs Schärfste. Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei und Präsident Ebrahim Raisi kündigten eine entschiedene Reaktion an. „Mit Gottes Erlaubnis wird die Hand der göttlichen Rache zur rechten Zeit und am rechten Ort erscheinen“, schrieb Raisi auf X. Innenminister Ahmad Wahidi veröffentlichte Erkenntnisse der ersten Ermittlungen, nachdem er die Anschlagsorte besucht hatte. Unter anderem seien die Überreste der beiden Sprengsätze untersucht worden, die im Abstand von nur wenigen Minuten detoniert waren. 

Kerman ist die Heimat von Soleimani, dem früheren Kommandeur der Auslandseinheiten der iranischen Revolutionswächter (IRGC). Die USA hatten ihn am 3. Januar 2020 im Irak durch einen Drohnenangriff getötet. Von systemtreuen Regierungsanhängern wird er als Märtyrer verehrt. Die Explosionen ereigneten sich, als Menschenmassen durch die Straßen der Provinzhauptstadt zu Soleimanis Grabstätte pilgerten. 

US-Regierung zu Explosionen im Iran: „In keiner Weise beteiligt“ 

Der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, sagte am Mittwoch in Washington, die Vereinigten Staaten seien in keiner Weise beteiligt an den Explosionen beteiligt gewesen. Angesichts der angespannten Lage im Nahen Osten wächst die Sorge vor einer Ausweitung des Gaza-Kriegs, in den auch der Iran und die USA mit hineingezogen werden könnten. 

Miller sagte, man habe außerdem keinen Grund zu der Annahme, dass Israel an den Explosionen beteiligt gewesen sei. „Zumindest für uns ist es noch zu früh, um sagen zu können, was die Ursache sein könnte“, sagte Miller.

„Die Bombenanschläge sind verabscheuungswürdig, unabhängig davon, wer sie verübt hat. (…) Das (iranische) Regime könnte versucht sein, Israel und die USA, seine üblichen Verdächtigen, dafür verantwortlich zu machen. Aber solche Explosionen liegen nicht im Interesse der beiden Länder. Die USA und Israel haben iranische Ziele bislang auch nicht auf diese Art verfolgt, wenn sie dies wollten. Die israelische Methode sieht aus wie die Explosion am Dienstag in Beirut, bei der Saleh al-Aruri, ein hochrangiger Hamas-Führer, getötet wurde.“

Wall Street Journal

Einflussreiche Hardliner im Iran haben indes nach dem Anschlag Israel für die Explosionen verantwortlich gemacht. Es gebe viele Gründe anzunehmen, „dass die Zionisten (Israel) in die terroristischen Explosionen verwickelt waren“, hieß es in einem am Donnerstag publizierten Leitartikel der erzkonservativen Zeitung „Keyhan“. Die Autoren forderten schnelle Rache für die Attacke. Andernfalls könnte sich ein Anschlag in der Hauptstadt Teheran wiederholen, lautete eine Warnung in dem Artikel.

Die Zahl der Todesopfer wurde mittlerweile von der iranischen Regierung nach unten korrigiert. Es hiess zunächst, es seien über einhundert Menschen bei den Anschlägen ums Leben gekommen, die offiziellen Stellen sprechen nun von 84 Getöteten.

Auch am Ölmarkt ist die Sorge vor einer Eskalation der Lage im Nahen Osten derzeit das beherrschende Thema und sorgt für steigende Preise. Die Explosionen im Iran und die Tötung eines Anführers der Hamas im Libanon hat die Spannungen in der ölreichen Region weiter erhöht. Am Mittwoch waren die Ölpreise jeweils um etwa drei Dollar je Barrel nach oben gesprungen. Zuvor hatten bereits Angriffe auf Handelsschiffe im Roten Meer mehrmals für steigende Ölpreise gesorgt.

Unser Debattenklima: Vorwärts zurück ins Gestern?

Debattenklima gesellschaft Deportationsszenarien solingen gemeinschaft

Das derzeitige Debattenklima erinnert viele Menschen schmerzhaft an die Monate und Jahre nach 9/11. Ein Kommentar

(IZ/KNA). Der Hamas-Terror vom 7. Oktober gegen Zivilisten in Israel und der anschließende Krieg der israelischen Armee gegen sie im dicht besiedelten Gazastreifen haben hier zu Veränderungen geführt. Manche fühlen sich an die Zeit nach dem 11. September erinnert.

Debattenklima: Terror und Krieg ziehen das Gespräch in Mitleidenschaft

Öffentliche Sympathiebekundungen für den Terror, die Hamas und andere militante Gruppen sowie Demonstrationen aus dem Umfeld der Hizb ut-Tahrir führen zu öffentlicher Empörung in der Bundesrepublik.

Staatliche Stellen und NGOs berichten von einem massiven Anstieg antisemitischer Straftaten. Am 17. November meldete das BKA, es habe seit dem Angriff rund 3.300 Straftaten mit Nahostbezug erfasst. Dabei handelte es sich vor allem um Fälle von Sachbeschädigung, Volksverhetzung und Widerstandsdelikten.

Polizeischutz vor einer Synagoge in Berlin. (Foto: Tobias Arhelger, Shutterstock)

Innenministerin Faeser zog erste Konsequenzen. Sie sprach am 2. November ein Betätigungsverbot der zuvor in Deutschland und der EU untersagten Hamas aus. Darüber hinaus sprach das BMI ein Verbot des Netzwerkes „Samidoun“ aus.

Seine Sympathisanten hatten am 7. Oktober für Aufsehen gesorgt, als sie Süßigkeiten an Passanten als Reaktion auf den Terror gegen israelische Zivilisten verteilten.

Unterscheidungsloser, öffentlicher Druck auf AraberInnen und MuslimInnen

Parallel dazu häufen sich immer neue Distanzierungsforderungen an MuslimInnen und AraberInnen – von Habeck bis Steinmeier. Derzeit lässt sich eine politisch und wirtschaftlich angeschlagene Ampel durch die verbale Radikalisierung von Union und AfD-Erfolgen treiben. Unabhängige Stimmen – von deutsch-jüdischen Intellektuellen bis zu Juristen – halten dagegen und mahnen zu Differenzierung.

In einem Interview wandte sich die bekannte jüdische Kinderbuchautorin Eva Lezzi gegen die momentane Rhetorik aus der Politik. Zweifelsohne müsse ein von Muslimen ausgehender Antisemitismus strafrechtlich verfolgt werden. Aber es gebe „auch einen politischen Diskurs, der etwas daraus schlägt, wogegen ich mich heftig wehre – nämlich ein gegeneinander Ausspielen von jüdischen und muslimischen Minderheiten und Positionen“, sagte die Autorin weiter.

Dass es unter deutschen MuslimInnen Stimmen gibt, die Antijudaismus in eigenen Reihen zurückweisen, geht im jetzigen Klima unter. Am 9. November, dieses Jahr der 85. Jahrestag der „Reichspogromnacht“, solidarisierte sich Mazyek mit JüdInnen. „Heute zum 9. November gedenken auch wir deutschen Muslime der getöteten Juden. Der barbarische Völkermord und Holocaust erwuchs aus Antisemitismus und Judenhass heraus.“ Er mahnte hiesige Muslime dazu, nicht die Augen vor Ressentiments zu verschließen.

Screenshot: ZMD, Facebook

Muslime sehen Spaltung

Zwei Tage zuvor meldete sich der KRM mit einer Stellungnahme zum bundesdeutschen Debattenklima zu Wort. Der derzeit „herrschende Diskurs in Deutschland“ spalte die Gesellschaft. Medien würden den Eindruck erzeugen, es gäbe jetzt nur ein pro-israelisches und pro-palästinensisches Lager. „Wer genau hinschaut, sieht: Die allermeisten Menschen fordern das Ende der Gewalt und Frieden – auf beiden Seiten.“

Aus diesem Grund fordert er eine „Versachlichung der Debatte“ und erklärt die Notwendigkeit für ein differenzierteres Denken. Momentan würden Vorurteile und verbale Angriffe auf JüdInnen und MuslimInnen in Deutschland geschürt. „Jüdinnen, Juden und jüdische Einrichtungen sind antisemitischen verbalen und tätlichen Angriffen ausgesetzt.

Seit der Gewalteskalation in Nahost leben sie in großer Sorge vor Übergriffen.“ Von dieser Gewalt seien hiesige MuslimInnen und Moscheen ebenfalls betroffen. So habe man seit dem 7. Oktober „Dutzende Angriffe auf Muslime und Moscheen“ verzeichnet.

Widerspruch gegen Generalverdacht

Insbesondere unter arabischstämmigen Deutschen kommt Widerspruch gegen undifferenzierte Distanzierungsforderungen auf. Während die Politik extreme Zirkel nicht erreiche, so die Kritik, würde ein personalisierter Generalverdacht andere Segmente treffen: erfolgreiche Unternehmer, IT-Spezialisten, Designer, Publizisten, Künstler oder Entertainer. Sie fragen sich in den sozialen Netzen, warum sie sich angesprochen fühlen sollten.

Die Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung, Yasemin El-Menouar, sieht eine Rückkehr von Diskursen, wie man sie nach 9/11 erlebt habe. „Auch damals hat man Druck aufgebaut und von Musliminnen und Muslimen in Deutschland gefordert, sich zu positionieren“, zitierte sie ein Hintergrundtext der dpa. Gesamtgesellschaftlich würden Muslime erneut mitverantwortlich gemacht. Sie erlebe da „eine große Frustration“. 

, ,

Über Terror sprechen: Bruch von Werten und Normen

terror

Über Terror sprechen: „IZ-Begegnung“ mit Dr. Muhammad Sameer Murtaza über die Hamas, ihre Ideologie und seine Hoffnung auf Frieden. (iz). Muhammad Sameer Murtaza ist Islam- und Politikwissenschaftler, islamischer Philosoph und […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

, , ,

Gibt es einen Generalverdacht gegen Muslime?

berlin CLAIM

Generalverdacht: Seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel und Angriffen auf Gaza sehen sich viele Muslime in Deutschland einem allgemeinen Verdacht ausgesetzt.

Köln/Berlin (dpa, iz). Amira ist auf dem Weg zur Kita, um ihre Tochter abzuholen, als ein Mann sie als „Terroristenschlampe“ beschimpft, den Kinderwagen umwirft. „Mehrere Personen haben das aus nächster Nähe mitbekommen, sind aber nicht eingeschritten“, schildert die 30-Jährige aus Köln. Von Yuriko Wahl-Immel

„Die Attacke war beängstigend, ebenso die Tatsache, dass es keine Zivilcourage gab.“ Amira ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist Rassismusforscherin, selbstbewusst, trägt Kopftuch.

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sei das Klima rau und feindselig für viele „muslimisch markierte“ Menschen geworden, die wegen ihres Äußeren als muslimisch gedeutet und deshalb angefeindet würden. Eine in Berlin aufgewachsene Juristin (29) sagt ähnlich, sie werde beleidigt, angepöbelt, fühle sich nicht mehr sicher.

Foto: , via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-2.0

Vom Generalverdacht zu Angriffen?

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) oder die DITIB sprechen von einem Generalverdacht, beklagen Angriffe auf Muslime und Moscheen. Amira und viele ihrer Bekannten spüren das im Alltag deutlich. „Es ist eine rassistisch aufgeladene Veränderung in der Gesellschaft spürbar“, beschreibt sie.

Sieist eloquent, schreibt ihre Doktorarbeit – und hört in den vergangenen Wochen immer wieder von Wildfremden, sie solle „erst mal Deutsch lernen“ oder sich an „deutsche Regeln“ halten. Sie weiß von mehreren „muslimisch markierten“ Menschen, die in den letzten Wochen ihre Jobs verloren haben, „weil sie sich irgendwie mitfühlend propalästinensisch geäußert haben“.

Kommunikationsprobleme

Foto: Palestinian News & Information Agency (Wafa) in contract with APAimages, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Was hat sich nach dem 7. Oktober für Muslime verändert?

Viele Muslime haben das Gefühl, dass sich die Situation nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nun für sie wiederhole, sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Auch damals hat man Druck aufgebaut und von Musliminnen und Muslimen in Deutschland gefordert, sich zu positionieren.“

In der Gesamtbevölkerung gehe der Blick auf die Muslime erneut reflexartig auf ihre vermeintlichen Herkunftsländer, als seien sie deren Stellvertreter und quasi mitverantwortlich für dortige Ereignisse und Taten. „Ich erlebe da eine große Frustration.“ Im aktuellen Nahost-Konflikt sehe sie unter den Muslimen hierzulande viel Mitgefühl und tiefe Verbundenheit mit der Bevölkerung auf beiden Seiten.

ZMD-Chef Aiman Mazyek berichtet, Kinder und Jugendliche aus den muslimischen Communities fühlten sich in den Schulen mitunter stigmatisiert. In Einzelfällen habe es „Gesinnungstests“ in Schulen gegeben. Darin sei die Haltung von Schülern mit muslimischem Hintergrund zum Nahostkonflikt und zur Hamas abgefragt worden.

Es werde versucht, auch die Einstellung der Eltern auszuhorchen – das sei inakzeptabel. Und er stellt klar: „Antisemitismus ist eine Sünde im Islam.“ In Deutschland leben 5,5 Millionen Muslime, unter den Bundesländern besonders viele in Nordrhein-Westfalen.

Woher kommen solche pauschale Unterstellungen?

El-Menouar zufolge besteht schon seit langem eine große Skepsis gegenüber Muslimen und ihrer Religion. „Der Islam wird weniger als Religion gesehen, sondern in der Nähe von Islamismus und Terror verortet. Muslimen wird unterstellt, dass sie religiös begründeten Extremismus und Terror akzeptieren.“

Muslimische Dachverbände hätten den Hamas-Terror mehrfach verurteilt, seien vehement für ein sicheres jüdisches Leben eingetreten und würden doch immer wieder an den Pranger gestellt, kritisiert Islamwissenschaftler Jörn Thielmann. „Viele Muslime sind deutsche Staatsbürger, sind hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und sollen sich jetzt rechtfertigen für etwas, wofür sie genauso wenig können wie der katholische Herr Müller oder die evangelische Frau Meyer.“

Muslime KRM

Foto: Koordinationsrat der Muslime

Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Vor allem bei jüngeren Muslimen sei zu befürchten, dass es längerfristige Folgen haben werde, wenn sie sich stigmatisiert und gekränkt fühlten, sie zu Unrecht als „Terroristen-Versteher oder Terroristen-Sympathisanten gelabelt“ würden, glaubt Thielmann.

Von einer gesellschaftlichen Spaltung spricht Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien. Diese komme „in einem immer unverhohlener grassierendem Antisemitismus, aber auch in Muslimfeindlichkeit zum Ausdruck“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte jüngst für ein friedliches Zusammenleben ohne Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu einem Runden Tisch geladen.

Mazyek warnt, gerade bei den Jüngeren könne der Generalverdacht zu einer besorgniserregenden Entfremdung führen. Einige könnten in die Fänge von Extremisten geraten. Amira schildert, es komme gegen sie und viele ihrer Bekannten zu „Mikro-Aggressionen“ – ausgrenzende, abwertende Äußerungen oder Rempeleien.

„Wir arbeiten hier, ziehen unsere Kinder groß, gestalten die Gesellschaft mit – und doch wird jetzt vermehrt unsere Zugehörigkeit in Frage gestellt.“ Und die Berlinerin sagt: „Ich habe das Gefühl, einen großen Teil dessen, was meine Identität ausmacht, nämlich palästinensisch zu sein, verbergen zu müssen, aus Angst vor negativen Reaktionen und Konsequenzen.“

Foto: Montecruz Foto, via flickr | Lizenz: CC BY 2.0

Ein differenzierter Blick wird gefordert

Auch unter Muslimen gibt es radikale Einstellungen und Israel-bezogenen Antisemitismus, weiß El-Menouar. Aber: „Wir haben Antisemitismus in Deutschland, der sich quer durch die Gesellschaft zieht, und auch ein Problem in der muslimischen Community ist. Nur diese Gruppe herauszugreifen, wäre falsch und führt zu weiterer Spaltung.“

Einige Kundgebungen würden von Islamisten geschickt für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch von Muslimen habe man islamistische Parolen gehört, seien Hamas-Angriffe lautstark begrüßt worden, ergänzt Thielmann. „Die Islamverbände in Deutschland treten dagegen strikt auf.“

Verbale Attacken, Aggressivität, Abgestempeltwerden – das mache mürbe, sagt die palästinensisch-stämmige Berliner Juristin. Deutschland sei ihre Heimat, aber: „Tatsächlich denke ich erstmals ernsthaft darüber nach, das Land zu verlassen und auszuwandern. Und so geht es nicht nur mir.“

Hasstiraden per Brief gegen Moscheen in Berlin und anderen Städten

Mehrere Moscheen in Berlin und anderen Teilen Deutschlands sind hasserfüllt beschimpft und beleidigt worden. Sie erhielten in den vergangenen Tagen Briefe mit Hasstiraden, die zudem Fäkalien, verbrannte Koranseiten und Schweinefleisch enthielten.

Die Berliner Polizei ermittelt in vier Fällen, bei denen drei Moscheen und ein islamischer Verband betroffen sind, wie ein Sprecher am Freitag sagte. Weitere vergleichbare Fälle seien aus anderen Bundesländern bekannt. Man stehe in Kontakt mit den Landeskriminalämtern.

Die Berliner Moscheen zeigten Fotos von den größeren Briefsendungen, die Plastikbeutel samt Inhalt enthielten. Zu sehen waren unter anderem angebrannte Textseiten, Wurstscheiben und Erde oder Dreck.

In einem ausgedruckten Text wurden in deutscher und türkischer Sprache der Koran, Allah und Mohammed höchst aggressiv beschimpft, die Rede war auch von Hundekot und weiteren ähnlichen Objekten.

Ermittelt werde wegen des Verdachts der Beschimpfung von Bekenntnisgemeinschaften und Religionsgesellschaften, so die Polizei. Man stehe in Kontakt mit den Moscheen und prüfe die Gefährdungslage. „Wir nehmen die Fälle ebenso ernst wie vergleichbare gegen jüdische Einrichtungen“, sagte ein Sprecher.