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Gibt es einen Generalverdacht gegen Muslime?

Generalverdacht
Foto: CLAIM Berlin

Generalverdacht: Seit der Terrorattacke der Hamas auf Israel und Angriffen auf Gaza sehen sich viele Muslime in Deutschland einem allgemeinen Verdacht ausgesetzt.

Köln/Berlin (dpa, iz). Amira ist auf dem Weg zur Kita, um ihre Tochter abzuholen, als ein Mann sie als „Terroristenschlampe“ beschimpft, den Kinderwagen umwirft. „Mehrere Personen haben das aus nächster Nähe mitbekommen, sind aber nicht eingeschritten“, schildert die 30-Jährige aus Köln. Von Yuriko Wahl-Immel

„Die Attacke war beängstigend, ebenso die Tatsache, dass es keine Zivilcourage gab.“ Amira ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist Rassismusforscherin, selbstbewusst, trägt Kopftuch.

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober sei das Klima rau und feindselig für viele „muslimisch markierte“ Menschen geworden, die wegen ihres Äußeren als muslimisch gedeutet und deshalb angefeindet würden. Eine in Berlin aufgewachsene Juristin (29) sagt ähnlich, sie werde beleidigt, angepöbelt, fühle sich nicht mehr sicher.

Foto: , via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-2.0

Vom Generalverdacht zu Angriffen?

Der Zentralrat der Muslime (ZMD) oder die DITIB sprechen von einem Generalverdacht, beklagen Angriffe auf Muslime und Moscheen. Amira und viele ihrer Bekannten spüren das im Alltag deutlich. „Es ist eine rassistisch aufgeladene Veränderung in der Gesellschaft spürbar“, beschreibt sie.

Sieist eloquent, schreibt ihre Doktorarbeit – und hört in den vergangenen Wochen immer wieder von Wildfremden, sie solle „erst mal Deutsch lernen“ oder sich an „deutsche Regeln“ halten. Sie weiß von mehreren „muslimisch markierten“ Menschen, die in den letzten Wochen ihre Jobs verloren haben, „weil sie sich irgendwie mitfühlend propalästinensisch geäußert haben“.

Kommunikationsprobleme

Foto: Palestinian News & Information Agency (Wafa) in contract with APAimages, via flickr | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Was hat sich nach dem 7. Oktober für Muslime verändert?

Viele Muslime haben das Gefühl, dass sich die Situation nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA nun für sie wiederhole, sagt Yasemin El-Menouar, Religionsexpertin der Bertelsmann Stiftung. „Auch damals hat man Druck aufgebaut und von Musliminnen und Muslimen in Deutschland gefordert, sich zu positionieren.“

In der Gesamtbevölkerung gehe der Blick auf die Muslime erneut reflexartig auf ihre vermeintlichen Herkunftsländer, als seien sie deren Stellvertreter und quasi mitverantwortlich für dortige Ereignisse und Taten. „Ich erlebe da eine große Frustration.“ Im aktuellen Nahost-Konflikt sehe sie unter den Muslimen hierzulande viel Mitgefühl und tiefe Verbundenheit mit der Bevölkerung auf beiden Seiten.

ZMD-Chef Aiman Mazyek berichtet, Kinder und Jugendliche aus den muslimischen Communities fühlten sich in den Schulen mitunter stigmatisiert. In Einzelfällen habe es „Gesinnungstests“ in Schulen gegeben. Darin sei die Haltung von Schülern mit muslimischem Hintergrund zum Nahostkonflikt und zur Hamas abgefragt worden.

Es werde versucht, auch die Einstellung der Eltern auszuhorchen – das sei inakzeptabel. Und er stellt klar: „Antisemitismus ist eine Sünde im Islam.“ In Deutschland leben 5,5 Millionen Muslime, unter den Bundesländern besonders viele in Nordrhein-Westfalen.

Woher kommen solche pauschale Unterstellungen?

El-Menouar zufolge besteht schon seit langem eine große Skepsis gegenüber Muslimen und ihrer Religion. „Der Islam wird weniger als Religion gesehen, sondern in der Nähe von Islamismus und Terror verortet. Muslimen wird unterstellt, dass sie religiös begründeten Extremismus und Terror akzeptieren.“

Muslimische Dachverbände hätten den Hamas-Terror mehrfach verurteilt, seien vehement für ein sicheres jüdisches Leben eingetreten und würden doch immer wieder an den Pranger gestellt, kritisiert Islamwissenschaftler Jörn Thielmann. „Viele Muslime sind deutsche Staatsbürger, sind hier aufgewachsen, zur Schule gegangen und sollen sich jetzt rechtfertigen für etwas, wofür sie genauso wenig können wie der katholische Herr Müller oder die evangelische Frau Meyer.“

Muslime KRM

Foto: Koordinationsrat der Muslime

Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?

Vor allem bei jüngeren Muslimen sei zu befürchten, dass es längerfristige Folgen haben werde, wenn sie sich stigmatisiert und gekränkt fühlten, sie zu Unrecht als „Terroristen-Versteher oder Terroristen-Sympathisanten gelabelt“ würden, glaubt Thielmann.

Von einer gesellschaftlichen Spaltung spricht Dirk Halm vom Zentrum für Türkeistudien. Diese komme „in einem immer unverhohlener grassierendem Antisemitismus, aber auch in Muslimfeindlichkeit zum Ausdruck“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte jüngst für ein friedliches Zusammenleben ohne Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit zu einem Runden Tisch geladen.

Mazyek warnt, gerade bei den Jüngeren könne der Generalverdacht zu einer besorgniserregenden Entfremdung führen. Einige könnten in die Fänge von Extremisten geraten. Amira schildert, es komme gegen sie und viele ihrer Bekannten zu „Mikro-Aggressionen“ – ausgrenzende, abwertende Äußerungen oder Rempeleien.

„Wir arbeiten hier, ziehen unsere Kinder groß, gestalten die Gesellschaft mit – und doch wird jetzt vermehrt unsere Zugehörigkeit in Frage gestellt.“ Und die Berlinerin sagt: „Ich habe das Gefühl, einen großen Teil dessen, was meine Identität ausmacht, nämlich palästinensisch zu sein, verbergen zu müssen, aus Angst vor negativen Reaktionen und Konsequenzen.“

Foto: Montecruz Foto, via flickr | Lizenz: CC BY 2.0

Ein differenzierter Blick wird gefordert

Auch unter Muslimen gibt es radikale Einstellungen und Israel-bezogenen Antisemitismus, weiß El-Menouar. Aber: „Wir haben Antisemitismus in Deutschland, der sich quer durch die Gesellschaft zieht, und auch ein Problem in der muslimischen Community ist. Nur diese Gruppe herauszugreifen, wäre falsch und führt zu weiterer Spaltung.“

Einige Kundgebungen würden von Islamisten geschickt für ihre Zwecke instrumentalisiert. Auch von Muslimen habe man islamistische Parolen gehört, seien Hamas-Angriffe lautstark begrüßt worden, ergänzt Thielmann. „Die Islamverbände in Deutschland treten dagegen strikt auf.“

Verbale Attacken, Aggressivität, Abgestempeltwerden – das mache mürbe, sagt die palästinensisch-stämmige Berliner Juristin. Deutschland sei ihre Heimat, aber: „Tatsächlich denke ich erstmals ernsthaft darüber nach, das Land zu verlassen und auszuwandern. Und so geht es nicht nur mir.“

Hasstiraden per Brief gegen Moscheen in Berlin und anderen Städten

Mehrere Moscheen in Berlin und anderen Teilen Deutschlands sind hasserfüllt beschimpft und beleidigt worden. Sie erhielten in den vergangenen Tagen Briefe mit Hasstiraden, die zudem Fäkalien, verbrannte Koranseiten und Schweinefleisch enthielten.

Die Berliner Polizei ermittelt in vier Fällen, bei denen drei Moscheen und ein islamischer Verband betroffen sind, wie ein Sprecher am Freitag sagte. Weitere vergleichbare Fälle seien aus anderen Bundesländern bekannt. Man stehe in Kontakt mit den Landeskriminalämtern.

Die Berliner Moscheen zeigten Fotos von den größeren Briefsendungen, die Plastikbeutel samt Inhalt enthielten. Zu sehen waren unter anderem angebrannte Textseiten, Wurstscheiben und Erde oder Dreck.

In einem ausgedruckten Text wurden in deutscher und türkischer Sprache der Koran, Allah und Mohammed höchst aggressiv beschimpft, die Rede war auch von Hundekot und weiteren ähnlichen Objekten.

Ermittelt werde wegen des Verdachts der Beschimpfung von Bekenntnisgemeinschaften und Religionsgesellschaften, so die Polizei. Man stehe in Kontakt mit den Moscheen und prüfe die Gefährdungslage. „Wir nehmen die Fälle ebenso ernst wie vergleichbare gegen jüdische Einrichtungen“, sagte ein Sprecher.

Ein Kommentar zu “Gibt es einen Generalverdacht gegen Muslime?

  1. Kontrolle ist immer gut. Islamverbände müssen überwacht werden. Sonst hätten wir bald ein Kalifat.

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