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Viele Delikte finden medial nicht statt

Ausgabe 294

Foto: Sharaf Maksumov, Shutterstock

(BLIQ). Im nordrhein-westfälischen Hagen werden Mülltonnen an der Fassade einer Moschee in Brand gesteckt. In Bremen zerreißen Unbekannte 50 Koran-Ausgaben einer Moschee und stopfen die Überreste in eine Toilette. In Berlin schlägt ein Mann eine Frau mit Kopftuch krankenhausreif. Vor einer Moschee in Mönchengladbach landen Schweinekopf und Tierblut.

Täglich werden Muslime und Mus­liminnen in Deutschland Opfer von Straftaten. Islamische Interessenvertreter fordern dann oft schärfere Gesetze. Vertreter von Opferschutzorganisationen und Anti-Rassismusinitiativen beklagen das gesellschaftliche Klima. Und viele Stimmen aus der muslimischen Community erheben den Vorwurf, Medien würden zu wenig berichten. Aber stimmt das eigentlich? Berichten deutsche Medien wirklich weniger, wenn das Opfer Muslim ist?

Eine Überwiegend ­negative Darstellung
Dass Islam und Muslime in der medialen Berichterstattung eher schlecht wegkommen, ist kein Geheimnis und wissenschaftlich gut belegt. Schon 2006 beschrieb die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer in ihrem Buch „Die Darstellung des Islams in der Presse“, wie Medien den Islam und seine Anhänger vor allem mit Gewalt, Bedrohung, Rückschritt und Frauenunterdrückung in Verbindung bringen. Gegenteilige Informationen über muslimisches Leben würden weitgehend ausgeblendet.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen ein Jahr später auch Kai Hafez und ­Carola Richter. Die beiden Erfurter ­Medienwissenschaftler untersuchten für ihre Studie das „Gewalt- und Konfliktbild des Islams bei ARD und ZDF“ 133 Beiträge aus öffentlich-rechtlichen Magazin- und Talksendungen. Auch sie stellten fest: Über Muslime wird vor ­allem in negativen Kontexten wir Terror, Fundamentalismus und Frauenunterdrückung berichtet.

Diese Ergebnisse wurden im Jahr 2016 noch einmal in einer großange­legten Studie bestätigt. Das Schweizer Unternehmen für Medienanalysen Media Tenor untersuchte 801.945 Presseberichte aus 19 deutschen TV-, Radio- und Printmedien. In fast der Hälfte der Beiträge ging es um Terror und Gewalt. Das Fazit des Studienmachers Christian Kolmer damals: „Stimmen, die eine Gleichsetzung von Islam und Gewalt ­ablehnen, finden immer weniger Gehör in den Medien.“

Ob sich diese Tendenz konkret auch in der Darstellung von Straftaten widerspiegelt, sind zwei amerikanische ­Kommunikations- und Terrorismus-Forscher nachgegangen. Mit Blick auf die Berichterstattung in den USA haben sie die Berichterstattung über terroristische Anschläge ausgewertet. Auch sie kamen zu einem eindeutigen Ergebnis: Über Attentäter, die als muslimisch gelten, werde fast fünfmal so häufig berichtet als über nichtmuslimische Attentäter.

Desinteresse schon bei der Erfassung
Während die negative Darstellung von Muslimen im Allgemeinen und der überdurchschnittliche Fokus auf muslimische Täter also gut untersucht und belegt ist, mangelt es an Untersuchungen über die Darstellung muslimischer Opfer. Studien, die belegen, wie häufig über Opfer islamfeindlicher Straftaten berichtet wird, gibt es nicht. Untersuchungen, die die Darstellung islamfeindlicher Gewalt mit Straftaten gegen andere marginalisierte Gruppen (wiehomophobe, frauenfeindliche oder antisemitische Gewalt) vergleichen, sucht man vergebens.

Das mag auch daran liegen, dass ­niemand so genau weiß, wie viele islamfeindliche Straftaten in Deutschland ­eigentlich begangen werden. Lange hat sich die Bundesregierung geweigert, ­islamfeindliche Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik gesondert zu erfassen, wie es beispielsweise bei antise­mitisch motivierten Taten schon lange der Fall ist. Erst nach Jahren der Kritik durch Opferschutzorganisationen und islamische Verbände wurde im Jahr 2017 der Kategorie „politisch motivierte Kriminalität“ die Unterkategorie „islamfeindlich“ hinzugefügt.

Für das Jahr 2018 findet man dort 813 islamfeindliche Vorfälle. Zuletzt ist die Zahl der Straftaten nach Angaben des Innenministeriums sogar gesunken. Wurden in den ersten drei Monaten 2018 noch 196 Straftaten gegenüber Muslimen und Moscheen erfasst, waren es zwischen Januar und März 2019 nur noch 132. Es gibt allerdings Zweifel an der Aussagekraft der Statistik. Islamverbände verweisen darauf, dass viele der Übergriffe auf Moscheen in der Statistik gar nicht vorkommen und das wahre Ausmaß eher herunterspielen.

Organisationen wie Claim – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (zu der auch BLIQ gehört) berichten, dass nur ein Bruchteil islamfeindlicher Übergriffe angezeigt werde. Ein Grund hierfür sei auch die geringe Aufklärungsquote. 132 offiziell erfassten islamfeindlichen Straftaten im ersten Quartal 2019 stehen keine einzige Verhaftung oder Verurteilung gegenüber.

Bestenfalls in die ­Lokalpresse geschafft
Bleibt die Frage: Wurde zumindest über die behördlich erfassten Straftaten ausreichend berichtet? Sucht man in ­Medien nach Berichten, findet man durchaus Meldungen über einzelne islamfeindliche Übergriffe. Anfang Januar schafften es ein beleidigendes Grafitti an einem Moscheeneubau in Duisburg in einige Medien.

Anfang Februar sorgte ein Vorfall im Berliner Stadtteil Neukölln für Berichte in mehreren Medien. Eine Frau soll dort eine zwölfjährige Muslimin erst rassistisch beschimpft haben. Anschließend habe sie versucht, ihr das Tuch vom Kopf zu reisen und sie mit einer mutmaßlich mit Blut gefüllten Spritze zu stechen. Ebenfalls aus Neukölln finden sich ­Berichte über einen Angriff auf zwei kopftuchtragende Frauen Mitte März. Der Täter soll die Frauen erst islamfeindlich beschimpft und anschließend einer Frau gegen den Schwangerschaftsbauch geschlagen haben.

Einzelne Vorfälle islamfeindlicher Gewalt schaffen es immer wieder bundesweit in Zeitungen und Fernsehsendungen. Sucht man nach den 132 offizielle erfassten islamfeindlichen Straftaten aus dem ersten Quartal dieses Jahres, fällt aber auf: Die meisten Delikte finden medial nicht statt oder werden nur in den jeweiligen Lokalmedien berücksichtigt. In Fällen, in denen berichtet wird, bleibt ein möglicher islamfeindlicher Hintergrund zudem oft unerwähnt. Im Sendungsarchiv der „Tagesschau“ findet sich beispielsweise für das erste Quartal 2019 keine einziges Ereignis in Deutschland, dass explizit als islamfeindlich eingeordnet wurde.

Agenturen sehen keinen Änderungsbedarf
Den Verdacht, die Tagesschau würde zu wenig, über islamfeindliche Straftaten berichten, weißt Kai Gniffke zurück. Gniffke ist Chefredakteur von „ARD-­Aktuell“ und damit verantwortlich für die Nachrichten bei „Tagesschau“ und „Tagesthemen“. Auf Nachfrage erklärt er, für die Berichterstattung über islamfeindliche Gewalt würden dieselben Kriterien gelten wie in Fällen von Gewalt gegen andere Gruppen: „Während einzelne Straftaten (z.B. Beziehungstaten) sehr selten Erwähnung in der Tagesschau finden, ist die Wahrscheinlichkeit der Berichterstattung dann höher, wenn es sich um politisch motivierte Straftaten handelt. Insofern finden sich links- oder rechtsextremistisch motivierte Straftaten eher in der Tagesschau wieder. Dazu zählen auch religiös oder rassistisch motivierte Straftaten, die auf ein gesellschaftlich relevantes Phänomen hindeuten.“

Genauere Angaben zur Art oder Häufigkeit der Berichtserstattung kann aber auch Gniffke nicht machen. Die ARD führe keine Statistiken über die Berichterstattung zu islamfeindlichen Straftaten, sagt er. Außerdem ließe sich die Motivation für bestimmte Straftaten nicht immer eindeutig klären: „Unserer Einschätzung nach hat die Berichterstattung über islamfeindliche Straftaten etwas zugenommen. Dies könnte daran liegen, dass durch Zuwanderung der Bevölkerungsanteil islamischer Bürger zugenommen hat und dementsprechend auch die Zahl islamfeindlicher Straftaten zugenommen hat. Aber exakte Zahlen dazu liegen nicht vor.“

Auch bei der dpa sieht man keine ­eigenen Versäumnisse. Die größte deutsche Nachrichtenagentur beliefert fast alle deutschen Tageszeitungen. Die meisten Presseartikel in Deutschland nehmen in einer der dpa-Redaktionen ihren ­Anfang. Nach einer Einschätzung zur eigenen Berichterstattung über islamfeindliche Straftaten gefragt, schreibt dpa-Chefredakteur Froben Homburger: „dpa macht keine Unterschiede in der Berichterstattung über Gewalttaten, die politisch oder religiös motiviert sind. Das gilt für die Häufigkeit der Berichte ebenso wie für deren Format oder Umfang.“ Stattdessen würde sich die Berichterstattung in der Regel „am Ausmaß einer Tat“ orientieren. Auch die Herkunft der Täter spiele bei der Berichterstattung keine Rolle.

Bei Nicht-Deutschen wird häufiger berichtet
Zumindest zu letzterem Punkt gibt es allerdings Untersuchungen, die daran zweifeln lassen. Im Jahr 2017 untersuchte der Medienwissenschaftler und Journalismus-Professor Thomas Hestermann von Hochschule Macromedia, wie Medien über Migranten berichten. Dazu analysierte er 283 Zeitungsartikel von Bild, Süddeutsche Zeitung, FAZ und taz, die im Zeitraum zwischen Januar und April 2017 erschienen waren. Außerdem nahm er 81 Fernsehbeiträge aus den Nachrichten und Boulevardmagazinen der acht reichweitenstärksten deutschen Fernsehsender unter die Lupe.

Das Ergebnis seiner Untersuchung: Verglichen mit dem Jahr 2014 hatte sich die Berichterstattung über nichtdeutsche Tatverdächtige vervierfacht, obwohl ihr Anteil an der Kriminalstatistik nur um ein Drittel zugenommen hatte. Im ­Gegensatz dazu hatte sich die Berichterstattung über nichtdeutsche Opfer von Gewalttaten im selben Zeitraum halbiert – obwohl auch ihre Zahl zugenommen hatte. Ob Medien über eine Straftat ­berichteten, hängt es also nicht nur vom Ausmaß der Tat, sondern auch von der Herkunft der Täter und Opfer ab. Ist der Täter nicht-deutsch wird häufiger über den Fall berichtet. Ist das Opfer nicht-deutsch hingegen weniger.

Könnte es sich mit der Berichterstattung über Muslime ähnlich verhalten? Auch wenn bisher keine Untersuchung explizit dem Zusammenhang nachgegangen ist, deutet vieles darauf hin, dass muslimische Opfer in der Berichterstattung tatsächlich unterrepräsentiert sind: Muslime verfügen häufiger über einen Migrationshintergrund als die deutsche Durchschnittsbevölkerung. Damit dürften sie in der Gruppe, die Hestermann untersucht hat, überdurchschnittlich häufig vertreten sein. Hinzu kommt die überwiegend negative Islam-Darstellung in den Medien, die auch ­davon lebt, Geschichten wegzulassen, die dem Narrativ vom muslimischen ­Gewalttäter widersprechen. Es gibt also gute Gründe anzunehmen, dass Kritiker recht haben, die eine zu geringe Berichterstattung über islamfeindliche Straf­taten beklagen. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die dies eindeutig ­beweist, gibt es allerdings bisher nicht.

Es geht auch anders
Was es aber gibt, sind Medien, die es versuchen besser zu machen. „Viele Themen, die Menschen mit Migrationshintergrund interessieren, finden nicht den Weg in die hiesigen Medien oder werden nicht selten verzerrt bzw. einseitig übertragen“, heißt es in der Selbstbeschreibung vom Migazin. Sucht man nach ­Berichten über islamfeindliche Straftaten, landet man auffallend oft in dem kleinen Online-Magazin für Integration und Migration.

Dessen Chefredakteur Ekrem Senol sieht neben der geringeren Häufigkeit der Berichterstattung noch weitere Versäumnisse: „Bei Straftaten gegenüber Muslimen wird eine deutlich höhere Differenzierung an den Tag gelegt. Da wird nach den Gründen geguckt, die Kindheit aufgerollt, die familiären ­Umstände beleuchtet etc. Kurz: der ­Täter wird individualisiert. Ist der Täter aber ein Muslim, werden – zumindest zwischen den Zeilen – gerne mal alle Muslime in Sippenhaft genommen.“

Auf die Frage, warum Medien mit weitaus größeren Redaktionen vergleichsweise wenig über Moscheeangriffe oder Übergriffe auf Musliminnen berichten, hat Senol eine einfache Antwort. Es ­interessiere die nicht-muslimische Zielgruppe schlichtweg nicht: „Würden sich Meldungen über islamfeindliche Straftaten verkaufen, würden Medien auch darüber berichten. Es wird immer häufi­ger skandalisiert. Je mehr eine Nachricht heute empört oder andere Emotionen hervorruft, desto häufiger wird er angeklickt. Bei diesem Wettrennen um die Klicks geht es auch wieder um Profit – leider zu Lasten der Qualität, der Glaubwürdigkeit.“

Der Text erschien erstmals im online-­Journal BLIQ am 28.10.2019. Abdruck mit Genehmigung des Autors.