, ,

Vormarsch der Taliban setzt sich fort

Foto: FellowNeko, Adobe Stock

Die Städte in Afghanistan fallen scheinbar wie Dominosteine. Der Vormarsch der Taliban setzt auch die USA unter Druck.

Washington/Kabul (dpa/iz). Angesichts der massiven Gebietsgewinne der Taliban verlegen die US-Streitkräfte sofort rund 3.000 zusätzliche Soldaten an den Flughafen in Kabul. Es gehe darum, eine geordnete Reduzierung des US-Botschaftspersonals zu unterstützen, erklärte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, John Kirby. Zudem verlegen die USA demnach bis zu 4000 weitere Soldatinnen und Soldaten nach Kuwait und 1000 nach Katar – falls Verstärkung gebraucht würde. Der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan solle aber weiter bis 31. August abgeschlossen werden). Auch Großbritannien will rund 600 zusätzliche Soldaten schicken, um bei der Rückführung von Briten aus Afghanistan zu helfen.

Die Taliban übernahmen unterdessen in drei weiteren Provinzhauptstädten die Kontrolle, davon zwei mit großer Bedeutung. Zunächst eroberten sie das nur 150 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernte Gasni im Südosten. Gasni hat etwa 180.000 Einwohner und liegt an der wichtigen Ringstraße, die die größten Städte des Landes verbindet. Dann übernahmen die Taliban im Westen des Landes mit Herat die drittgrößte Stadt, von der es nur rund 130 Kilometer bis zur iranischen Grenze sind. Dort leben geschätzt 600.000 Menschen. Letztlich übernahmen sie noch die kleine Provinzhauptstadt Kala-e Nau in der Provinz Badghis im Nordwesten.

Ihre Kämpfer brachten damit in weniger als einer Woche 12 der 34 Provinzhauptstädte unter ihre Kontrolle. Auch aus den südlichen Städten Kandahar und Laschkargah im Süden wurden weitere Taliban-Angriffe gemeldet. In Kandahar sollen sie bereits das Gefängnis erobert haben, in Laschkargah die Zentrale der Polizei. Nach zunächst unbestätigten Berichten soll Kandahar bereits weitgehend unter Taliban-Kontrolle stehen.

Die US-Regierung warnte die Taliban, dass die Internationale Gemeinschaft keine neue afghanische Regierung anerkennen würde, falls diese die Macht mit Gewalt an sich gerissen haben sollte. Dies werde auch in einer gemeinsamen Stellungnahme mit internationalen Partnern, darunter auch Deutschland, ausgedrückt werden, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Ned Price. Ein gewaltsame Machtübernahme würde Afghanistan international isolieren, woraufhin auch Hilfszahlungen eingestellt würden, betonte er. Mit Blick auf die Verhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung im Emirat Katar appellierte Price an alle Parteien, sich auf einen gemeinsamen politischen Prozess für die Zukunft des Landes zu einigen.

Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell drohte den Taliban mit Isolation, falls sie die Macht in Afghanistan mit Gewalt an sich reißen sollten. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte die Taliban am Donnerstag ebenfalls davor gewarnt, ein „Kalifat“ in dem Land zu errichten. Dann werde es „keinen Cent“ an deutscher Entwicklungshilfe mehr geben, die derzeit bei rund 430 Millionen Euro pro Jahr liege, sagte Maas. Die US-Regierung hat im Haushaltsentwurf 2022 Hilfen für Afghanistan in Höhe von 3,3 Milliarden US-Dollar vorgesehen.

Der Terrorismus-Experte Peter Neumann hält trotz des Vormarsches der Taliban eine akute Entstehung von Terrorcamps anderer Organisationen für wenig wahrscheinlich. „Die Taliban wären dumm, wenn sie nach ihren militärischen Siegen nun Terrorcamps von Gruppen wie Al-Kaida oder dem sogenannten Islamischen Staat zulassen“, sagte Neumann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die Taliban konzentrierten sich auf Afghanistan. „Mehr als früher wollen sie die Anerkennung ihrer Macht, auch international. Und sie wollen Investitionen ins Land holen, etwa aus dem Iran, Pakistan oder China.“ Dennoch sei die Lage für den Westen wenig berechenbar.