Wenn sich die Majestät manifestiert

Ausgabe 298

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Ich möchte gerne einige Gedanken teilen über die Augenblicke, in denen es schwierig wird. Verschiedene Menschen haben mich – entweder für sich oder andere – nach dem Verhalten in sehr fordernden Situationen und ­Lebenslagen befragt. Dabei handelt es sich um Umstände, in denen manche von ihnen ihren Glauben (arab. Iman) in Frage gestellt haben.

Allah lehrt uns in der Sura Al-Baqara: „Und Wir werden euch gewiss mit ein wenig Furcht und Hunger und Verlust an Besitz, Leben und Früchten prüfen. Doch verkünde frohe Botschaft den Standhaften, die, wenn sie ein Unglück trifft, sagen: ‘Wir gehören Allah, und zu Ihm kehren wir zurück.’ Sie sind es, ­denen Segnungen von ihrem Herrn und Erbarmen zuteil werden, und sie sind die Rechtgeleiteten.“ (2, 155-157)

Wir müssen feststellen, dass jeden von uns schwierige Zeiten treffen. Niemand im Diesseits (arab. dunya) wird vollkommen frei sein von Sorgen, Angst oder Schwierigkeiten. Diese Dinge werden uns das ganze Leben hindurch begleiten. Aber das Erstaunliche ist, dass darin Rechtleitung liegt. So lehrt uns beispielsweise ein Ausspruch des Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, in der Sammlung von Imam Al-Bukhari: „Die Angelegenheit des Gläubigen, wie unglaublich sie doch ist! Wenn ihm etwas Erstaunliches begegnet, dann ist er dankbar dafür, und dann ist das gut für ihn. Und wenn ihn eine Art der Schwierigkeit befällt, dann wird er geduldig sein, was gut für ihn ist.“

Diese Rechtleitung lehrt uns: Ja, zu gewissen Zeiten werden wir vor Problemen und Herausforderungen stehen. Aber der Prophet, Allahs Heil und Segen auf ihm, sagte auch: „Die Geduld wird beim ersten Schlag des Schicksals geprüft werden.“ Wir sollten wissen, dass im Leben – egal, was geschieht – auch dies vorübergehen wird. Unser größter Ruhm besteht nicht darin, niemals zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen, wenn man fällt.

Wir brauchen diese Hoffnung, diesen Iman, in uns, die uns vorwärts treibt. Und wir dürfen nicht vergessen, was ­Allah auch im Qur’an sagt: dass es Dinge gibt, die wir verabscheuen mögen, die trotzdem aber viel Gutes für uns beinhalten. Not macht oft erfinderisch. Die Menschen, wenn sie sich in unbequemen oder schwierigen Lebenslagen wiederfinden, sehen darin auch häufig große Möglichkeiten. Wären sie nicht in solche Situationen geraten, dann hätten ihre Leben möglicherweise niemals eine ­Wendung genommen.

Nehmen wir das Beispiel von ‘Abdurrahman ibn Mu’awija Ad-Dakhil. Das war jemand, der die Erfahrung machen musste, dass seine gesamte Familie in Damaskus verfolgt und ermordet wurde. Er rannte als Flüchtling um sein Leben, verließ sein Heim und dessen Annehmlichkeiten. Ad-Dakhil fand sich alleine, verlassen und verzweifelt in der Wüste wieder. Einzig blieb ihm seine Entschlossenheit. Und wo hat ihn diese hingebracht? Sie führte ihn auf die Iberische Halbinsel – bekannt als Al-Andalus –, um dort eine Dynastie wieder ins Leben zu rufen, die ansonsten von der Erdoberfläche verschwunden wäre. Er pflanzte den Samen für eine Herrschaft, die ihrerseits das Khalifat von Cordoba auf europäischem Boden hervorbrachte. Sie sollte zu einer der größten Kulturen werden, die jemals in Europa regierte.

Hätte er sich jemals vorstellen können, dass ihn solch ein Schicksal erwartet? Wenn es nicht die Schwierigkeiten und harten Umstände gegeben hätte, die ihn auf seinem Lebensweg begleiteten. „Wahrlich, mit der Beschwernis, kommt die Erleichterung“(Asch-Scharh, 5), sagt Allah im Qur’an.

Sollten uns oder andere solche Lebenslagen befallen, dann müssen wir uns daran erinnern, dass sie auch eine Prüfung für jene sein können, die uns umgeben. Manchmal testet Allah auch die Umgebung ob ihrer Reaktion auf ein Problem. Jeder sollte hier sein Bestes geben, um in einer solchen Lage zu helfen. In einem Hadith werden wir unterwiesen, dass es Zeiten gibt, in denen andere Rechte auf uns, unsere Ressourcen und unser Vermögen haben. Dabei handelt es sich nicht um die verpflichtende Zakat oder freiwillige Sadaqa (Almosen). Das ist, wenn sich die Menschen in unserem Umfeld in bestimmten Situationen befinden. Hierbei geht es nicht um Ressourcen, sondern um Hilfe und Trost für den Anderen – und sei es, durch ein freundliches Lächeln oder Zuspruch.

Wir dürfen hierbei auch nicht die Kraft des Bittgebetes vergessen. In einem Hadith des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, bei Imam At-Tirmidhi heißt es: „Nichts kann das Schicksal oder den Göttlichen Ratschluss abhalten außer dem Bittgebet (arab. du’a).“ Die Macht eines solchen Du’a ist unglaublich. Manchmal ist es auch nur eine Prüfung für uns: In Sachen Ressourcen, Zeit oder aktiver Hilfe können wir tausend Ausreden finden. Aber gibt es wirklich einen Grund, nicht für jemand anderen zu beten? Wenn Du die Großzügigkeit Deines Herzens testen möchtest, dann versuche, für eine bestimmte Person zu beten. Ein weiterer Ratschlag ist das Geben von Sadaqa (nicht nur eine „milde Gabe“, sondern auch das angemessenes Verhalten im richtigen Au­genblick) in Zeiten der eigenen Bedrängnis. In einem Hadith heißt es, dass die Probleme versuchen, die Sadaqa zu ­überwältigen.

Außerdem dürfen wir niemals vergessen, dass es immer nur zwei Richtungen gibt, die solch eine Lage nehmen kann: Entweder handelt es sich um eine Sache, an der wir etwas ändern können, in dem Fall müssen wir mit Lethargie oder Stress aufhören und sollten das Nötige tun. Im anderen Fall mag es eine Sache sein, an der wir nichts ändern können. Dann müssen wir aufhören, uns Sorgen zu ­machen – eben weil wir nichts ändern können.

Wir müssen verstehen, dass zu den größten Dingen im Diesseits unsere Hoffnung und unsere Entschlossenheit gehören. Sie werden durch unseren Iman vorangetrieben. Wir erfahren dies auch in der allgemeinen Gesellschaft. Helen Keller war eine Frau, die enormen Hindernissen und Behinderungen gegenüberstand. Sie sagte: „Halte dein Haupt erhoben und blicke der Welt direkt in die Augen.“ Egal wie dunkel der Moment der Bedrängnis erscheinen mag, er wird immer von einer neuen Morgendäm­merung abgelöst werden. Wir müssen wissen, dass mit der Bedrängnis die ­Erleichterung kommt. Und wir müssen Gewissheit haben, dass unser Herr über alle Maßen barmherzig ist.