Das neue Jahr braucht Deeskalation

Ausgabe 247

Nach Brandanschlag in Berlin: Bereits 2014 erhohten sich die Übergriffe. Im Jahr 2015 nahmen sie noch einmal zu.

(IZ/KNA). Das Jahr 2015 hat wenig zum gesellschaftlichen Frieden der Republik beigetragen. Mehr als ein Jahr nach Gründung der rechten APO, Pegida, sowie der Neuausrichtung der AfD unter Frauke Petry – und dem thüringischen AfD-Landeschef Höcke – schreitet die gesamtgesellschaftliche Polarisierung voran. Natürlich spielten auch auswärtige Ereignisse wie die Anschläge von Paris sowie der enorme Zustrom an Flüchtlingen eine Rolle.
Im Gegensatz zu früheren Jahren bieten Erklärungsmuster über „die Medien“ oder „die Politik“ nicht mehr den gewohnten Halt. Nicht erst seit Angela Merkels mutiger Entscheidung im Falle der Fliehenden hat sich die Debatte in der „Mitte“ gewandelt. Das schließt nicht aus, dass Teile des Spektrums, wie CDU-Aufsteigerin Klöckner oder die CSU, doch gelegentlich auf das Mittel Polarisierung setzen. Deutschlands Massenmedien berichten über die „Flüchtlingskrise“, aber auch über den Terrorismus nach Paris, durchaus verstehender als in Vorjahren. Von einem Backlash war wesentlich weniger zu spüren, als es noch nach früheren Ereignissen, wie der Posse um die sogenannte Sharia-Polizei, der Fall war.
Viel gravierender wirkt sich die Isolierung der „Lager“ aus. Immer öfter fehlt es an einer Begegnung und an einem Ausgleich im Chor der Meinungen. Verschlechternd wirken die sozialen Netzwerke, in denen oft nur noch die gleichen Positionen aufeinandertreffen. Nicht nur bei den gefürchteten „Islamisten“, auch in der sich radikalisierenden rechten Szene spielt das Internet eine immer größere Rolle bei der Identitätsbildung und der Schaffung von Weltanschauungen. Hier entwickeln sich trübe Gewässer, an denen der gesamtgesellschaftliche Diskussionsstand oft folgenlos vorbeizieht.
Die sich fortsetzende Polarisierung des Jahres 2015 äußerte sich auch in einer gesteigerten Zunahme der Diskriminierung von und der Übergriffe gegen Minderheiten. Der Innenminister des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), sieht im Rechtsextremismus eine gesteigerte Gefahr für die Sicherheit seines Landes. Laut Jäger versuchten Rechtsextremisten, mit Hetze gegen Flüchtlinge und Muslime in der breiten Bevölkerung Verunsicherung und Hass zu schüren.
Das sehen allerdings nicht alle Behörden so. Am 9. Dezember verlautbarte der sächsische Verfassungsschutz seine Prioritäten: Mann wolle, so eine Meldung, die „islamistische Szene im Freistaat“ ins Visier nehmen. Von gesteigerten Beobachtungen der Pegida-Szene war nichts zu vernehmen. Martin Döring, Sprecher der sächsischen Landesbehörde, erklärte noch am 21. Oktober, sein Amt sehe keinen Anlass für die Beobachtung der Pegida-Führung. Und das, obwohl nach einer Forsa-Umfrage die Mehrheit der Bundesbürger für eine Beobachtung ist.
Immer mehr Menschen sind überzeugt, dass die Radikalisierung von Rechts sich in realen Über- und Angriffen äußert. Bundesweit haben Behörden mehr als 700 Straftaten in Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage registriert. Dabei handelt es sich meist um sogenannte Propagandadelikte, Farbschmierereien und Sachbeschädigungen gegen Unterkünfte von Flüchtlingen. In einigen Fällen habe es auch Übergriffe gegen Flüchtlinge mit schweren Körperverletzungen gegeben. Ralf Jäger gibt sich kämpferisch: Der Staat werde alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um den Rechtsextremismus einzudämmen.
Nicht von ungefähr trifft dies auch Muslime. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, sprach in einem taz-Interview von einer Zunahme der Diskriminierung. Im Hinblick auf Pegida sei die Hemmschwelle gesunken. „Es ist salonfähiger geworden, sich offen rassistisch zu äußern. Die Gesellschaft war immer gut beraten, das zu sanktionieren.“ Ins Visier geraten auch immer wieder die Moscheen des Landes. Auf Anfrage der Fraktion Die Linke erklärte die Bundesregierung, es habe in den ersten Monaten des Jahres 31 Übergriffe gegeben. Die meisten wurden mit rechtsmotivierter Ideologie oder Hasskriminalität in Verbindung gebracht. Einige Übergriffe auf Einrichtungen, wie jüngst auf ein Gebäude in Stuttgart, sind die Folge importierter Konflikte. Hier übernahmen jugendliche PKK-Sympathisanten die Verantwortung.