Anmerkungen zu Frankreichs jungen Muslimen

Ausgabe 273

Foto: Moonik, Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

(iz). Hörten wir in den letzten Jahren die Worte Muslime und Islam im Bezug auf unseren Nachbarn Frankreich, so dachten wir dabei gleich an die verheerenden Terroranschläge, den Ausnahmezustand des Landes und die Schlagzeilen in Zeitungen und Nachrichtensendungen. Was dabei meist in Vergessenheit gerät, ist die Tatsache, dass Muslime ein fester Bestandteil der französischen Gesellschaft sind, ob man dies wahrhaben möchte oder nicht. Wahrhaben kann oder möchte man es oft deswegen nicht, weil die Menschen selbst und ihre Arten, ihr muslimisches Leben in Frankreich zu gestalten, in den Mainstreammedien meist nicht thematisiert werden. Wir erfahren ganze Lebensgeschichten über die Attentäter der Terroranschläge, interessieren uns jedoch selten für die Geschichten der gewöhnlichen, friedfertigen und vor allem ­positiven französischen Muslime.
Aus diesem Grund habe ich mich mit jungen Pariser Muslimen unterhalten – über ihr Leben, ihre Erfahrungen und ihre Ansichten zu den Fragen, die sich um sie drehen und deswegen am besten von ihnen selbst beantwortet werden können.
Mariame, die Vorsitzende des Hilfsvereins Association Donia, ist 32 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Mali. Sie genießt als junge Frau das Leben in der Metropole in vollen Zügen. Für sie gehört es zum Pariser Leben dazu, mit Freunden auszugehen, kulturelle Aktivitäten zu betreiben und Abendessen für Freunde zu veranstalten. Sie sieht sich nicht als marginalisiert und findet es wichtig, dass mit diesem Vorurteil aufgeräumt werden sollte, „die“ Muslime seien jene aus den berühmt-berüchtigten Vorstädten, voller Kriminalität und Misere.
Für sie ist es ein Segen, in einem friedlichen Land selbst in Frieden leben zu können. Ihr Muslimsein bereite ihr keine Nachteile, da sie sich, wie sie selbst sagt, als Bürgerin unter Bürgern verstehe und ihre religiösen Ansichten nicht nach außen trage. Ihr Aussehen, auch ihre Hautfarbe, sei kein Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit, da die Muslime in ihrem Land keine gesonderte ethnische Gruppe, sondern eine Mischung vieler verschiedenartiger Franzosen seien. Als schwarze Frau in Frankreich lebe sie wie jede andere Frau Anfang dreißig in diesem Land – sie alle lieben das Pariser Lebensgefühl.
Der medialen Berichterstattung schenke sie keine besondere Beachtung, da diese bloß auf Sensationsnachrichten aus sei und die Gesellschaft spalten wolle. Es sei allerdings wahr, dass es für diejenigen, die aus den Banlieues stammen, schwieriger sei, Arbeit zu bekommen und gewisse Vorurteile gegen Muslimen vorherrschten, die es ihnen schwieriger machten, in der Gesellschaft voranzukommen.
Bei der Frage, wie es um die Beschaffenheit von Gemeinschaften aussehe, sehe ich, dass die Situation eine ähnliche wie in Deutschland ist. Meist würde nach persönlicher Affinität entschieden. Wer ethnisch unter seines Gleichen bleiben wolle, suche sich die entsprechenden Moscheen und Gemeinschaften. Wer eine gewisse politische Neigung habe, würde dementsprechend entscheiden, welcher Gruppe von Muslimen er sich anschließe und wer den spirituellen Weg suche, würde auch hier fündig. Es kann demnach nicht von „einer“ muslimischen Gemeinschaft Frankreichs gesprochen werden.
Ahmadou, ein 27 Jahre alter junger Mann, der ursprünglich aus dem Senegal stammt, denkt nicht, dass die Situation so dramatisch sei wie sie im Fernsehen gezeigt wird. Er hat Geschichte und Sprachen studiert. Darin sieht er keine Benachteiligung für Muslime oder andere Minderheiten. Oft sei die Situation schwieriger, wenn es darum ginge, unternehmerisch aktiv zu werden. Hier gebe es mehr Hindernisse als etwa bei der Bildung, oder bei der Verrichtung des Gebets und der Etablierung von Moscheen. Er schaut sich oft die Nachrichten an und empfindet sie als islamophob, aber im echten Leben sehe er dieses Ressentiment meist nicht so stark ausgeprägt. Eine wirklich feindliche Haltung gegenüber Muslimen sehe er in der Gesellschaft nicht. Bei Frauen mit Kopftuch sei es natürlich anders, da sie einer eigenen Art von Vorurteilen ausgesetzt seien.
Die Situation sei aber im Grunde nicht so schlimm wie sie in den Medien gezeigt werde. Allerdings müssten schwarze Franzosen meist härter arbeiten als weiße, um die selbe Anerkennung im Job zu bekommen. Das sei eine Sache der Hautfarbe, nicht der Religion. Diskriminierung von Schwarzen und Maghrebinern sei ein Problem in der französischen Gesellschaft, die nicht auf der Religion basiere sondern auf rassischen Vorstellungen. Sie würden oft mit kriminellen Tätigkeiten wie Drogenhandel in Zusammenhang gebracht, oder als „Haschischraucher“ vorverurteilt. Ebenso würden sie als wütend und aggressiv eingeschätzt, wobei der Hintergrund der Leute nicht vergessen werden dürfe, die in Armut und sozialen Brennpunkten aufgewachsen seien. Ärger über diese Probleme sei eine natürliche Reaktion.
Es gebe einen großen wahhabitischen Einfluss unter solchen Jugendlichen, insbesondere durch die verbreitete Literatur, doch ein wirklich stark ausgeprägtes wahhabitisches Weltbild sei seltener zu finden. Die meisten wollten schlicht Arbeit finden und ein gutes Leben führen.
Die muslimische Gemeinschaft sieht er als pluralistisch an – man treffe dunkle, helle, konvertierte Muslime in allen großen französischen Städten. Die Mischung im privaten Leben sei eine andere Sache. Eheschließungen unter verschiedenen Ethnien seien immer noch eine Ausnahme, selbst wenn man unter einander befreundet sei.
Racky, eine 35-jährige Sozialarbeiterin, die Leuten dabei hilft, Wohnungen zu finden, sieht die Situation der Muslime Frankreichs als gespalten. Seit den Attentaten ist für sie die Lage schwierig geworden. Als muslimische Frau, aber auch in der Arbeit sehe sie Veränderungen. Die Menschen würden rassistischer gegenüber Muslimen, vor allem gegenüber jenen, denen man es ansehe – etwa Frauen mit Hidschab und Männern mit langem Bart. Als sie jung war, habe sie nie schlechte Erfahrungen mit Franzosen gemacht. Für ihre Eltern waren alle gleich und sie wurde dementsprechend erzogen. Wenn Leute rassistisch gewesen seien, dann eher, weil sie Immigranten waren und nicht wegen ihrer Religion. In ihrem Beruf nehme sie wahr, dass Wohnungseigentümer sich immer mehr weigern würden, Wohnungen an Muslime zu vermieten. Sie denke aber, dass dies bei Algeriern, Marokkanern und Tunesiern ausgeprägter sei als bei Schwarzen. Denn die Lebensweise und Mentalität sei eine andere, so auch die Art, den Islam zu leben.
In Westafrika herrsche größere Toleranz und eine Verbundenheit zum Tasawwuf und dies würde auch in Frankreich weitergelebt, bei den Maghrebinern in Frankreich gebe es eine größere Affinität zum Wahhabismus und zur Intoleranz. Daher hätten sie es allgemein schwerer in der französischen Gesellschaft und auf dem Wohnungsmarkt als schwarzafrikanische Muslime. Grundsätzlich könne man eine Veränderung in der Art und Weise feststellen, wie Muslime wahrgenommen würden. Früher habe man Andersartige bloß als Migranten, die Geld verdienen wollten, angesehen, heute betrachte man sie eher als Missionare, die andere zum Islam überreden wollen.
Eine konvertierte Französin erzählt mir, ihre Familie habe ihr keine Schwierigkeiten bereitet, als sie entschied, Muslimin zu werden. Auch in den Communities fand sie Geborgenheit, Akzeptanz und Hilfe. Die spirituelle Ebene des Islam, der Tasawwuf, sei für sie die beste Art – nämlich auf der Ebene des Herzens – mit den Menschen zu kommunizieren, sei es unter den Muslimen selbst oder mit Nichtmuslimen.
Im Gespräch mit diesen jungen Parisern fällt mir auf, dass niemand von ihnen fremd wirkt. Sie alle beherrschen die französische Sprache als ihre Muttersprache und haben eine Lebenswirklichkeit, die so nur in Frankreich wiederzufinden ist. Sie sind geprägt von unterschiedlichen Erfahrungen und Herkünften der Eltern, aber während wir gemeinsam auf dem Boden sitzen, essen und uns unterhalten, verschwinden diese Unterschiede und auch das Einwirken von Berichterstattungen und Anfeindungen. Sie alle haben Energie und Vorstellungen davon, ein erfülltes Leben in Frankreich leben zu wollen. Ich konnte kein Ressentiment gegenüber der Mehrheitsgesellschaft feststellen, auch keine Hoffnungslosigkeit in Anbetracht der europaweiten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Richtung Nationalismus. Junge französische Muslime haben eine kulturelle Vielfalt und einen Blick auf die Welt, der wertvoll und wegweisend sein kann. Ihre Stimmen und ihre Geschichten müssen nur wahrgenommen werden.