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Auch eine Krise der Konservativen

Ausgabe 276

Foto: Deutscher Bundestag | Jörg F. Müller

(iz). Es ist eine Entwicklung, vor der muslimische Verbände in Deutschland schon seit Jahren warnen. Attacken gegen Muslime und Angriffe auf muslimische Einrichtungen, die Deutschland in diesem Frühjahr erlebte, bezeugen nun den traurigen Trend: Das Leben für Muslime ist in Deutschland unsicherer geworden. Die Lage ist durchaus prekär. Vor allem auch, weil das politische Berlin noch immer nicht den Ernst der Lage erkannt hat.
Vergeblich warteten Muslime – nach mehr als 30 Angriffen auf Moscheen im Jahr 2018 – auf ein solidarisches Wort von Innenminister Horst Seehofer (CSU). Stattdessen drehten sich die ersten öffentlichen Reaktionen auf den verbalen Einstieg des Ministers um sein Bekenntnis, dass der „Islam nicht zu Deutschland“ gehöre. Allerdings widersprachen dieser Einschätzung Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Paradoxerweise wird nun der Innenminister die muslimischen Verbände zu einer weiteren Runde der Islamkonferenz einladen, obwohl die Religion von rund 5 Millionen Muslimen in Deutschland in seinen Augen nicht zum Land gehören soll.
Natürlich gibt es für keine Regierung ein Allheilmittel gegenüber der Gewalt aus den extremistischen Rändern der Gesellschaft. Moscheen werden in Deutschland nicht nur von Rechtsradikalen angegriffen, sondern auch von PKK-Fanatikern, von denen sich bis zu 14.000 Anhänger im Land befinden sollen. Gewalt gegen Minderheiten ist seit Jahrzehnten ein Problem. Kirchen und Synagogen wurden immer wieder angegriffen und Antisemitismus sowie Fremdenfeindlichkeit sind leider keine neuen Phänomene. Bedenklich ist aber heute, dass die ­wachsende Muslimfeindlichkeit kein Randphänomen mehr ist, sondern sich bis in den Kern des bürgerlichen Lagers ausgebreitet hat.
Grundlegend geht es im Zeitalter der Globalisierung um das Dilemma aller konservativen Parteien in Europa: Sie sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Zwar gibt es auch bei Sozialdemokraten und Linken Gegner des Islam, aber mit der Alternative für Deutschland (AfD) sitzt nunmehr eine ausdrücklich konservative und antimuslimische Partei im Bundestag. Der Erfolg dieser Gruppierung verleitet die regierenden Christdemokraten dazu, ebenso auf eine anti-islamische Ideologie zu setzen. Das Motto der Konservativen ist klar: Konservativ sein heißt, sich heute in erster Linie gegen den Islam, gegen Flüchtlinge und Migranten zu stellen.
Die negative Stimmung gegen Muslime hat unterschiedliche Gründe. Islam erscheint heute im Bild der öffentlichen Meinung immer noch als fremde Religion. Ein Umstand, den die Muslime und ihre Moscheegemeinden seit Jahren verändern wollen. Bester Schutz, so die Einsicht, gegen Attacken auf Moscheen ist eine gute und lebendige Nachbarschaft.
Viele Umfragen zeigen zudem, dass die meisten Muslime sich in Deutschland heimisch fühlen. In der Öffentlichkeit sind diese Fakten jedoch nicht wirklich angekommen. Nicht gerade zufällig verbreiten Bundesbehörden – wie das Bundesamt für Migration – Statistiken über Herkunftsländer der Muslime in Deutschland, ohne die Herkunft aus Deutschland selbst als Möglichkeit zu erfassen. Zehntausende konvertierte deutsche ­Muslime und Hunderttausende Muslime mit deutschem Pass werden so ausgegrenzt, als würden sie nicht ­existieren.
Ein weiterer Fakt ist, dass viele ­Deutsche die Religionszugehörigkeit ­„Islam“ mit Terror und Gefahr assoziieren. Überhaupt ist es die Sprache, welche die wachsende Gewalt gegen Minderheiten generell, aber auch gegen Muslime und ihre Einrichtungen, erklärt. Ein entscheidender Tabubruch lag hier in der unmöglichen Wortkombination „islamischer Terrorismus“, die seit den New Yorker Anschlägen üblich geworden ist und bis heute von Parteien und Medien benutzt wird.
Mit der gleichen Logik agitiert heute die Alternative für Deutschland (AfD) gegen Muslime. Sie definiert jedes ­Verbrechen von Muslimen als einen ­Ausdruck der Religionsausübung. Überfällt ein Muslim eine Bank, dann ist es ein „islamischer Bankraub“. Seit der Flüchtlingskrise aus dem Jahr 2015, die von Radikalen als „Invasion“ bezeichnet wird, wird jede beliebige Straftat eines Flüchtlings mit seinem Herkunftsland und seiner Religion assoziiert. Eine politische Rhetorik, die zudem von „Bevölkerungstausch“ und einer „Invasion von Fremden“ spricht, wie es der AfD-Dunstkreis tut, bereitet das Feld für gewal­tsamen „Widerstand“.
Es erklärt sich aus der Sprachwissenschaft, warum es bisher so schwer für Muslime ist, eine Gegenstrategie gegen polemische Übergriffe zu finden. Nach dem Linguisten De Saussure unterscheiden sich der Siginifikant, zum Beispiel ein Begriff, und das Signifikat, die Bedeutung eines Wortes. Im Fall des Islam, über den heute alltäglich Medien und Parteien diskutieren, wird seine Bedeutung zunehmend von Nichtmuslimen, der Mehrheit, definiert.
Dabei werden unterschiedlichste ­Phänomene mit dem Islam assoziiert und für den unkundigen Zuhörer zum manifesten Teil seiner Bedeutung. Den Muslimen fehlt es dagegen an öffentlicher Repräsentanz in Parlamenten und ­Medien, um die Definitionshoheit über die eigene Religion und ihre Begriffe ­zurückzuholen. Die absolute Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime begreift den Islam natürlich als gewaltfrei, heimisch und als tolerant.
Im Kern der Debatten über den Islam wird eine einfache Frage meist nicht ­beantwortet: „Was ist Islam?“ Hier ­besteht eine große Unsicherheit in der deutschen Bevölkerung. Ist Islam eine politische Ideologie, eine Religion oder ein Nomos? Auf der Basis der prophe­tischen Erklärung, der Islam sei der ­Bedeutungszusammenhang von Islam, Iman und Ihsan, gibt es hier großen ­Klärungsbedarf – eine Herausforderung für die muslimischen Gelehrten im Land. Zudem werden die ökonomischen und sozialen Überzeugungen der Muslime im Streit um den politischen Islam komplett vernachlässigt.
Was tun? Auf Dauer wird es nötig ­werden, dass eine neue Generation von Muslimen in Deutschland, gut ausge­bildet und motiviert, eine Elite bildet. Muslime, die in der Parteien- und Medienlandschaft aktiv sind und ihre Stimme erheben. Die Moscheegemeinden wiederum sind gut beraten, ihr Engagement für eine gute Nachbarschaft in deutschen Städten fortzusetzen. Wer Muslime wirklich kennt und mit ihnen lebt, wird ihren positiven Beitrag für die Gesellschaft auch zu schätzen wissen.