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Berlin lässt weiterhin Waffenexporte in Krisengebiete zu

Foto: Derwatz, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Nach dem Rekordjahr 2019 hat sich 2020 wieder ein Abwärtstrend bei den Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte abgezeichnet. In eine besonders konfliktreiche Weltregion dürfen aber weiter in größerem Umfang Waffen und andere militärische Güter geliefert werden. Hintergründe von Michael Fischer

Berlin (dpa). Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr Rüstungsexporte für mehr als eine Milliarde Euro an Länder genehmigt, die in die Konflikte im Jemen oder in Libyen verwickelt sind. Alleine für Ägypten wurden bis zum 17. Dezember Ausfuhren von Waffen und militärischer Ausrüstung im Wert von 752 Millionen Euro erlaubt. Das geht aus einer Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Auch nach Katar (305,1 Millionen Euro), in die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE, 51,3 Millionen), nach Kuwait (23,4 Millionen) und in die Türkei (22,9 Millionen) dürfen in größerem Umfang Rüstungsgüter geliefert werden. Außerdem wurden Genehmigungen für Jordanien (1,7 Millionen) und Bahrain (1,5 Millionen) erteilt. Unter dem Strich summiert sich das alles auf 1,16 Milliarden Euro.

Alle genannten Länder spielen in mindestens einem der beiden seit Jahren andauernden Konflikte eine Rolle. Im Jemen bekämpft eine von Saudi-Arabien geführte Allianz an der Seite der dortigen Regierung die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen. Dem Bündnis gehören die VAE, Ägypten, Kuwait, Jordanien und Bahrain an. An den Kampfhandlungen ist aber in erster Linie Saudi-Arabien beteiligt.

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Im Libyen-Konflikt mischen Katar und die Türkei auf der Seite der international anerkannten Regierung von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch in Tripolis mit. Der mächtigste Widersacher Sarradschs, General Chalifa Haftar, wird dagegen von den VAE und Ägypten unterstützt. Derzeit gibt es in Libyen einen Waffenstillstand und die Hoffnung auf Frieden.

Der Konflikt hält seit dem Sturz des Langzeit-Herrschers Muammar al-Gaddafi 2011 an. Deutschland nimmt eine Vermittlerrolle ein. Die Bundesregierung setzt sich vor allem für den Stopp von Waffenlieferungen in das nordafrikanische Land ein und hat dazu vor einem Jahr ein Gipfeltreffen in Berlin organisiert. Aber auch danach wurden nach UN-Angaben noch Waffen nach Libyen geliefert, unter anderem aus der Türkei und den VAE.

Keine Rüstungsgüter für Saudi-Arabien und Sudan
Zu den Rüstungsexporten in die am Jemen-Krieg beteiligten Staaten hatten Union und SPD auf Drängen der Sozialdemokraten 2018 eine Klausel in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Demnach sollten die Lieferungen an alle „unmittelbar“ an dem Krieg beteiligten Staaten gestoppt werden. Was „unmittelbar“ genau bedeutet, blieb aber unklar. Vollständig umgesetzt wurde der Beschluss bis heute jedenfalls nur für Saudi-Arabien, den zeitweise mit Bodentruppen am Jemen-Kieg beteiligten Sudan und den Jemen selbst.

Der Grünen-Außenpolitiker Nouripour kritisierte die anhaltenden Exporte an die anderen Staaten der Jemen-Kriegsallianz scharf. „Damit ist die Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag nicht das Papier wert, auf dem sie geschrieben steht“, sagte er. Er monierte außerdem, dass die Bundesregierung Rüstungslieferungen an Staaten erlaubt, die das Waffenembargo gegen Libyen gebrochen haben. „Zwischen den Worten und den Taten dieser Bundesregierung klaffen Lücken groß wie Mondkrater.“

Mehr als die Hälfte außerhalb von EU und NATO
Die Genehmigungen für deutsche Rüstungsexporte hatten 2019 mit 8,015 Milliarden Euro einen Rekordwert erreicht. 2020 hat sich zuletzt aber ein deutlicher Rückgang abgezeichnet. Bis zum 10. Dezember wurden nur Lieferungen für 5,635 Milliarden Euro erlaubt. Das geht aus der Antwort auf eine frühere Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen hervor. Mehr als die Hälfte der Exporte (51 Prozent) ging an Länder außerhalb von Europäischer Union und Nato. Im Vorjahr waren es nur 44,1 Prozent.

In ihren erst 2019 verschärften Rüstungsexportrichtlinien hat sich die Bundesregierung selbst dazu verpflichtet, Lieferungen in diese sogenannten Drittländer „restriktiv“ zu handhaben. Sie weist stets auf starke Schwankungen in den Statistiken hin und vertritt auch in der aktuellen Antwort wieder die Auffassung, „dass eine rein zahlenmäßige Betrachtung (…) kein taugliches Mittel für die Beurteilung der Restriktivität der Rüstungsexportpolitik ist“.

Ägypten lag bereits 2019 unter den Hauptempfängerländern deutscher Rüstungsgüter mit 801,9 Millionen Euro auf Platz drei hinter Ungarn und Algerien. Dieses Jahr dürfte das von Präsident Abdel Fattah al-Sisi mit harter Hand regierte Land wieder einen Spitzenplatz einnehmen. Es wird unter anderem von Thyssenkrupp Marine Systems mit U-Booten versorgt. Zudem genehmigte die Bundesregierung der Bremer Lürssen-Werft im November den Export von neun Patrouillenbooten und eines Küstenschutzbootes.

Kairo: Rüstungsgeschäfte als Vertrauensbeweis
Der ägyptische Botschafter in Berlin, Khaled Galal Abdelhamid, sieht die Rüstungsgeschäfte im hohen dreistelligen Millionenbereich als gegenseitigen Vertrauensbeweis. Die Kooperation zeige, „dass Deutschland sicher ist, dass diese Ausrüstung für die richtigen Zwecke verwendet wird“, sagte er der dpa. „Je größer die Zahl, desto lebendiger und enger sind die Beziehungen.“

Abdelhamid betonte, dass das ägyptische Militär defensiv ausgerichtet sei und vor allem die Handelsrouten im Roten Meer und durch den Suezkanal sichern wolle. Also gebe es eine strategische Notwendigkeit für eine starke ägyptische Marine. Im Jemen-Krieg nehme Ägypten keine „aktive Rolle“ ein und in Libyen leiste es „logistische Unterstützung, (…) um extremistische Terrorgruppen zu bekämpfen, die Ägypten bedrohen“.

Für die Einwände von Menschenrechtlern gegen Rüstungsexporte nach Ägypten zeigte der Botschafter kein Verständnis. „Welche Verbindung besteht zwischen einem Patrouillenboot, einem U-Boot und den Forderungen hinsichtlich der Menschenrechte?“, fragte er. „Die Patrouillenboote und U-Boote sind nur da, um sicherzustellen, dass das einzige stabile Land der Region stabil bleibt und sich verteidigen kann.“

Menschenrechtsorganisationen werfen der ägyptischen Führung ein rigoroses Vorgehen gegen Kritiker, eine drastische Einschränkung der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit und die Inhaftierung tausender Menschen aus politischen Gründen vor. Al-Sisi hat Kritik aus westlichen Staaten an Menschenrechtsverstößen mehrfach als Einmischung in die inneren Angelegenheiten Ägyptens zurückgewiesen und sein Vorgehen mit dem Kampf gegen Terrorismus begründet.