Bosnien: Menschenrechtsverletzungen im serbisch verwalteten Gebiet. Von S. Kulenovic

Ausgabe 211

Die Behörden der serbischen Entität in Bosnien, der Republika Srpska, tun ihr Möglichstes, um jede Erinnerung an das begangene Unrecht zum Verstummen zu bringen. Bürger, die in der Stadt Prijedor an die Untaten vor 20 Jahren erinnern, werden gegängelt.

(iz). „Wo Menschenrechte verletzt werden, wird ziviler Ungehorsam zur Pflicht“, sind die Worte, die eine junge Frau am 10.12.2012 – dem Tag der Menschenrechte – durch Prijedor trägt. Zuvor war ohne jegliche Begründung und entgegen dem geltenden Gesetz ein ordentlich angemeldeter Friedensmarsch des Komitees, das sich aus verschiedenen NGOs der Stadt zusammengeschlossen hat, um den 20. Jahrestag vom Beginn der Kriegsleiden zu begehen, verboten worden.

Die Mitglieder der nichtserbischen NGOs sind in Prijedor kontinuierlichem Druck ausgesetzt. Sie werden zum Teil zu nächtlichen „Informationsgesprächen“ in die Polizei-Direktion bestellt oder müssen ihre Büros aus dem Stadtzentrum entfernen, weil sie Morddrohungen erhalten. Die Gemeindeversammlung der Stadt beriet in einer diesjährigen Sitzung ausschließlich über das Gedenk-Komitee und forderte die strafrechtliche Verfolgung seiner Mitglieder, obwohl es dafür keine rechtliche Grundlage gibt.

Als die Aktivisten im August 2012 den 20. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Omarska begingen, inhaftierte die Polizei den Vorsitzenden des Vereins der Lagerinsassen Kozarac, weil er das Wort „Genozid“ schrieb. Auch hierfür bietet das Gesetz keine Grundlage.

Im Mai 2012 wurde den ehemaligen Lagerinsassen und Angehörigen der Ermordeten verboten, das Gebiet des Todeslagers Omarska zu betreten. Dort wurden 1992 Tausende Menschen von Serben festgehalten, gefoltert, ermordet. Die Wachen von ArcelorMittal, des größten Stahlproduzenten der Welt und aktuellen Besitzers des Areals, erlaubten ihnen nicht einmal Blumen vor das Tor zu legen; entgegen den Zusagen des Unternehmens, eine Gedenkstätte zu finanzieren und den Überlebenden Zugang zu den Räumen zu gewähren. Statt mit den Opfern arbeitet das Unternehmen jetzt mit dem serbischen Bürgermeister Marko Pavic zusammen, der die Existenz der Todeslager leugnet.

Am 23. Mai 2012 gab es das erste Versammlungsverbot. Damals ging es um eine für den 31. Mai geplante Performance. An dem Tag wurden 20 Jahre zuvor alle Nichtserben aufgefordert, ihre Häuser mit weißen Laken und sich selbst mit weißen Armbändern zu kennzeichnen.

Aus Protest stand ein Einzelner, Emir Hodzic, inmitten der Stadt. 6 Minuten stand er da, still der unschuldigen Opfer gedenkend, bis ihm die Tränen flossen. Sein Bruder und sein Vater waren im Lager Omarska gemartert worden. 20 Jahre danach wird ihm der Zugang zum Ort des Verbrechens verwehrt, die Versammlung zur Gedenkveranstaltung verboten. Er selbst immer noch als Mensch zweiter Klasse behandelt.

Prijedor: Stadt der Kriegsverbrecher
Bisher sind 28 von Prijedors Einwohnern rechtskräftig der Kriegsverbrechen verurteilt worden. 21 davon sind Polizisten. Weitere warten auf ihr Urteil.

Die Kriegsverbrecher von gestern üben heute Staatsgewalt aus, nach eigenem Gutdünken. Sie setzen das Versammlungsrecht für Nichtserben außer Kraft, während sie von serbischen ultra-nationalistischen Vereinen, wie dem Ravnogorski Pokret, selbst an unerlaubten Stellen, wie dem Schulzentrum, Kundgebungen dulden.

Anstatt sich der Vergangenheitsbewältigung zu widmen, ist man in Prijedors Stadtverwaltung mit dem Hardliner Pavic an der Spitze bemüht sie unter den Teppich zu kehren oder zu verfälschen, was der üblichen Praxis in Republika Srpska (RS) entspricht. An der Stelle der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, des Konzentrationslagers Trnopolje, errichten die städtischen Behörden ein Denkmal. Jedoch nicht für die Opfer, sondern ausgerechnet für die serbischen Soldaten.

Das Ziel der im Krieg vor 20 Jahren begonnenen ethnischen Säuberungen war es, rein serbische Gebiete zu schaffen, um die „Vereinigung aller serbischen Länder“ durchzuführen, was den Anschluss eines Teiles des kroatischen und einen des bosnischen Gebietes, des Territoriums der heutigen Republika Srpska (RS), an Serbien beinhalten sollte.

Heute leben ca. 9.000 Nichtserben in der Stadt. Vor dem Krieg waren es 56.000.

Die Diskriminierung, Unterdrückung, Schaffung einer Atmosphäre der Angst durch polizeiliche Vorladungen, Zerstörung des Eigentums der NGOs, Androhung strafrechtlicher Verfolgung und unbegründete Versammlungsverbote, vermitteln den Eindruck dass die lokale Macht in Prijedor heute noch ein „ethnisch sauberes“ Gebiet anstrebt.

Die verbliebenen Nichtserben kämpfen in zahlreichen Verbänden und Initiativen wie der „Stop Genocide Denial“ (http://stopgenocidedenial.org) um Gleichstellung, das Recht auf Wahrheit und Würde. Die Kommunalverwaltung versucht, sie unentwegt daran zu hindern. Amnesty International verurteilte auf seiner Internetseite am 10.12.2012 das Vorgehen der Behörden der RS.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker appelliert an die Europäische Agentur für Grundrechte und andere Institutionen Druck auf die Regierung der RS auszuüben, um der Apartheidspolitik und ethnischen Diskriminierung im serbisch verwalteten Teil Bosniens ein Ende zu setzen.

Prijedor: Stadt der Hoffnung
Als der Friedensmarsch am 10.12. durch Prijedor verboten wurde, schlossen sich 7 junge Menschen, keiner der NGOs zugehörig, spontan zu einem Protestmarsch zusammen. Ihr Mund ist mit Klebeband verschlossen, als Zeichen für die Zensur, der nichtserbische Bewohner Prijedors ausgesetzt sind. Unter ihnen auch ein ortsansässiger Serbe und zwei Slowenen, die sich angeschlossen haben, weil es um grundlegende Rechte der Menschen geht, sich zu versammeln und in Freiheit an der Gesellschaft teilnehmen zu dürfen. AktivistInnen dreier serbischer Vereine fotografierten sich mit zugeklebtem Mund in Banjaluka, der Hauptstadt der serbischen Entität, als Zeichen ihrer Solidarität mit den unterdrückten NGOs in Prijedor.

Das sind bisher seltene, aber ermutigende Beispiele der Besinnung auf gemeinsame Grundwerte, die den Bürgern Bosnien-Herzegowinas, ihrer religiösen und ethnischen Zugehörigkeit ungeachtet, als unabdingbare Basis dienen müssten für die Bildung einer Zukunft des Landes.