Hintergrund: Autor Saunders entlarvt den Mythos einer Islam-Invasion

(dpa). So wie im 19. Jahrhundert Karl Marx zufolge «das Gespenst des Kommunismus» in vielen Köpfen als Alptraum herumgeisterte, hat sich heute eine andere Vorstellung von der Zukunft ausgebreitet: Irgendwann würden so viele Muslime zugewandert sein, dass sie die Mehrheit in den westlichen Ländern bilden. Nüchtern und vor allem auf Basis konkreter Zahlen will der kanadisch-britische Autor Doug Saunders in «Mythos Überfremdung» damit aufräumen. «Einwandererfrauen haben umso weniger Kinder, je länger sie in Frankreich leben», heißt es da aus dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung in Westeuropa (vier Millionen). Saunders hat fleißig, penibel und auf vertrauenerweckende Weise Statistiken sowie Prognosen gesammelt. Danach soll sich zum Beispiel die Geburtenraten von Muslimen und Nicht-Muslimen im Jahr 2030 auch in Deutschland angeglichen haben.

Das wirkt mitunter etwas buchhalterisch aneinandergereiht, was weniger Saunders als den Erfindern von allerlei Horror-Szenarien vorzuwerfen ist. Es stört aber, dass der Autor mitunter doch zu flott konkrete und komplexe Zuwanderungsprobleme «glattzuziehen» versucht: Dass türkische Schüler «die Schule mehr als doppelt so häufig ohne Abschluss verlassen wie deutsche Schüler» führt er darauf zurück, dass «kaum mehr als 10 Prozent von ihnen (…) am Gymnasium aufgenommen (werden)». Wo bleibt da die Logik?

Sinnvolle Lektüre gerade auch für Zeitgenossen mit kurzem historischen Gedächtnis oder lückenhafter Geschichtskenntnis ist dieses Buch aber allemal. Saunders erinnert daran, dass ähnliche Mythen von der drohenden «Überflutung» einer Kultur durch zuwandernde «Fremde» absolut nichts Neues sind. So wurde auch schon in England über die Iren lamentiert. Ein ganzes Kapitel widmet Sounders der uralten Schreckens-Mär von der «jüdischen Flut». Wer sich wappnen will für Debatten um die Perspektiven islamischer Zuwanderung, wird Nutzen aus der Lektüre ziehen.