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Buchvorstellungen der aktuellen Ausgabe: Tolstoi, Frauenperspektiven und der Schlüssel

Ausgabe 335

Tolstoi Buchvorstellung
Foto: Wikimedia Commons, gemeinfrei

Was folgt, sind die Buchvorstellungen der aktuellen Ausgabe. Sie reichen von Tolstoi, über Frauenwelten bis zur Geschichte des Schlüssels

Buchvorstellung: Tolstoi und der Islam

Wie Goethe im deutschsprachigen Raum und Shakespeare im englischsprachigen, ist Lew Nikolajewitsch Tolstoi (1828-1910) im russischsprachigen Raum der herausragende Schriftsteller seiner Kultur. Sein schriftlicher Nachlass umfasst 90 Bände, die in den Jahren 1928-1958 veröffentlicht wurden und nun digitalisiert vorliegen.

Im Gegensatz zu den Geistesgrößen in Weimar war er nicht nur Verfasser von Literatur, Dichtung und Wissenschaften, sondern zusätzlich Autor zahlreicher Schriften mit direktem Bezug zu Religion und Politik seiner Zeit.

Mit dem Islam ergaben sich seinem Leben und Denken einige Berührungen. Spuren davon findet man weniger in seinen Werken und mehr in seinen Tagebüchern, Briefen und Hinweisen mancher seiner Zeitgenossen. Diesem spannenden Thema widmet sich das Buch „Tolstoi und der Islam“ von Ahmad von Denffer.

Der 330 Seiten lange, im Selbstverlag erschienene Titel fasst die Überlegungen des Autors zusammen. Im Rahmen einer biographischen Chronik geht der Text de Frage nach, bei welchen Gelegenheiten Russlands größter Schriftsteller mit dem Islam in Berührung gekommen ist.

Nach einführenden Anmerkungen zur Person Tolstois gehen einleitende Kapitel auf die Fragen seiner Weltsicht, dem Verhältnis zum damaligen Christentum und der Quellenlage nach. Angefangen mit den Erfahrungen des Dichters im Kaukasus (1851 und 1854) bis zu seinem Ende zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschreibt Von Denffer ein Leben auf der Suche sowie relevante Reflexionen in den jeweiligen Lebensstationen Tolstois.

Mit „Tolstoi und der Islam“ hat Ahmad von Denffer (ein Veteran der muslimischen Community in Deutschland, Autor und lange Projektleiter von muslimehelfen e.V.) eine wichtige Lücke geschlossen. (sw)

* Ahmad von Denffer, Tolstoi und der Islam, BoD, 2022, Taschenbuch, 330 Seiten, ISBN 9783756226511, Preis. 13.-

Buchvorstellung: Mehr Kopf als Tuch

Seit dem Erscheinen der ersten Titel ist der Markt für Kopftuch-Prosa stetig am Wachsen. Ob aus muslimischer oder nichtmuslimischer Feder stammend ist die Mehrheit der Titel von den immergleichen Leitmotiven geprägt: Repression, Frauenfeindlichkeit, Apologie und Identität.

Unter der Welle der Besinnungstexte über „das Tuch“ gehen die interessanten Bücher leider allzu oft unter. Das betrifft vor allem jene Texte und Sammlungen, in denen die AutorInnen die üblichen Vorstellungen transzendieren.

Nun ist vor Kurzem die 3. und überarbeitete Auflage der erstmals 2017 erschienenen Anthologie „Mehr Kopf als Tuch“ von Amani Abuzahra in Österreich herausgegeben worden. Der erste Pluspunkt der Sammlung ist: Sie wurde von und nicht über Musliminnen geschrieben. Der zweite ist: Hier geht es um die Vielfalt muslimischer Frauen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz.

14 muslimische Frauen teilen hier direkt und eindrücklich ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu Heimat und Karriere, Spiritualität, Kunst, Sexualität, zu Alltagsrassismus und Diskriminierung sowie zu Vielfalt und Integration. Sie wollen Einblicke in weibliche Lebenswelten von muslimischer Seite geben und insbesondere ihren kritischen Tönen eine Stimme geben.

Neben der nötigen Aufarbeitung im Inneren wenden sich die Autorinnen gleichermaßen gegen Klischees von „der muslimischen Frau“. Unter ihnen sind in Deutschland bekannte Namen wie Kübra Gümüsay, Soufeina Hamed, Anja Hilscher, Nadia Shehaed und Betül Ulusoy. Neu hinzugekommen sind Beiträge von Menerva Hammad über Feminismus und Sexualität, von Munira Mohamud über „Anti-Schwarzen Rassismus in muslimischen Communities“ und ein Beitrag zu Hautfarben von Fatima Moumouni.

Herausgegeben wurde „Mehr Kopf als Tuch“ von der Philosophin, Autorin und Referentin Amani Abuzahra. Sie ist nachgefragter Gast für Fernsehen, in Podcasts der muslimischen Communitys. Neben Österreich war sie für Forschung und Vorträge in der Schweiz, Deutschland, Italien, den USA und der Türkei aktiv. Momentan forscht sie an der Sigmund-Freud-Privatuniversität Wien. (lm)

* Amani Abuzahra (Hg.), Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am Wort, Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien, erw. Auflage 2022, ISBN 978-3-7022-3637-3, Preis: EIR 18.- (auch als eBook)

Buchverstellung: „Der Schlüssel“

Was vereint das Papstwappen mit der Band Rammstein und der Raumstation ISS? Sie alle haben mit einem Schlüssel zu tun. Wie das? Da hilft nur eins: Weiterlesen. Diese Geschichte hat einen Bart, einen ziemlich langen sogar.

Seit Abertausenden von Jahren nämlich begleiten Schlüssel die Menschheit. Und dieser nützliche Alltagsgegenstand besteht aus exakt vier Teilen: der „Reide“ – das ist der Griff -, dem „Gesenk“, dem sich daran anschließenden „Schaft“ und dem „Bart“. Der Bart ist jener Teil des Schlüssels, „der im Innern des Schlosses die Erschwernisringe überwindet und die Fallen und Riegel in Gang setzt“.

So akkurat beschreibt es Martina Pall in ihrem soeben erschienenen Buch „Der Schlüssel“ in der Reihe „Dinge des Lebens“ aus dem österreichischen Residenz-Verlag. Die Kulturanthropologin und Kunsthistorikerin muss es wissen. Denn sie war als Leiterin der Schell Collection in Graz bis 2021 für immerhin 13.000 Schlüssel und Schlösser, Truhen und Türen zuständig.

Wie verbunden sich bereits unsere Ahnen mit dem Thema fühlten, zeigt nicht zuletzt ein Blick auf die Welt der Religionen. Im alten Ägypten wur- den Mumien erst dann bestattet, wenn ein Priester ihren Mund mit einem Schlüssel berührt hatte.n.

Wichtige Wächter gibt es auch im Diesseits: In Jerusalem teilen sich seit dem Mittelalter zwei muslimische Familien Schlüssel-Aufbewahrung und Schließdienst für die weltberühmte Grabeskirche. Schloss und Schlüssel gibt es auch für die Kaaba, das Allerheiligste der Muslime im saudi-arabischen Mekka.

Vor einigen Jahren versteigerte das Londoner Auktionshaus Sotheby’s ein reich verziertes Exemplar aus dem 12. Jahrhundert für sagenhafte 9,2 Millionen Pfund. Misslich für Verkäufer und Käufer: Anschließend folgten erregte Debatten darüber, ob es sich um einen echten Kaaba-Schlüssel handelte.

Wer Schlüssel hat, hat Macht. Das wussten nicht nur Kirchenfürsten. Erstaunlich viele Monarchen erlernten das Handwerk des Schlossers, wie Martina Pall berichtet. Dazu gehörte etwa der französische König Ludwig XVI.

Die Kenntnisse in den Künsten des Ent- und Verriegelns halfen ihm allerdings wenig weiter. Französische Revolutionäre brachten ihn und seine Familie hinter Schloss und Riegel. Der letzte Herrscher des Ancien Regime starb am 21. Januar 1793 unter der Guillotine.

* Martina Pall, „Der Schlüssel“ (aus der Reihe: „Dinge des Lebens“), Residenz-Verlag, Salz- burg/Wien 2023, 18,00 Euro.

Inzwischen, so scheint es zumindest, laufen Transponder und Smartphone dem herkömmlichen Schlüssel den Rang ab. Doch Nostalgiker mögen sich mit dem Gedanken trösten, dass Alexander Gerst 2018 auf der Raumstation ISS in den Genuss einer Schlüsselübergabe kam. (KNA)