
Den jungen Muslimen ist die neue IZ-Kolumne von Ahmet Aydin gewidmet. Ihre erste Folge dreht sich um „Sturm und Drang“.
(iz). „Nun geht und sagt es eurem Imperator: / Es gleicht nicht dieser Fürst vorherigen, / Was sie nicht konnten, denkt und das vollbringt er, / Mit Leichtigkeit wird er’s beherzigen. / Was Fürsten vor ihm nicht zu träumen wagten, / Wird dieser Fürst erträumen und vollbringen.“
Dies sind die Worte eines etwa 20-jährigen jungen Mannes. Sein Name ist Fatih Sultan Mehmed. Er richtet sie 1453 an den Kaiser Ostroms. Ich habe sie in Blankversen übersetzt. Was ist ein Blankvers? Dieses Versmaß verwendeten Goethe und Schiller für ihre klassischen Werke: Sich nicht reimende 5-hebige Jamben.
Was möchte ich mit dieser Übersetzung aussagen? Ich bin im Jahr 1991 in Deutschland, genauer: in der Lessingstadt, geboren. Meine Schulzeit über hörte ich in den Medien davon, dass „die Muslime“, gemeint sind Türken und Araber, endlich Deutsch lernen sollen.
Junge Muslime sprechen Deutsch
Als ob es keine deutschstämmigen Muslime gebe. Aber die werden, als Strategie der Politik oder der Journalisten, immer wieder bewusst ignoriert. Vor allem dann, wenn sie vorbildlich sind. Weltfremde Prediger, die nur unbeholfen aus dem Qur‘an zitieren und der Gesellschaft Angst machen, wurden geschickt in Talkshows inszeniert – und selbst waren sie zu naiv und ideologisch verblendet, um dies wahrzunehmen.
Hier bin ich also, ein Deutsch-Türke, und übersetzte Briefe der Osmanen in Blankversen. Nein, ich bin nicht der erste, der dies tut. Johann W. Goethe hat in seinem West-östlichen Divan Verse aufgenommen des ersten osmanischen Kalifen: Yavuz Sultan Selim. Kein Jambus.
Goethe übertrug freier: „Ich gedachte in der Nacht, / Dass ich den Mond sähe im Schlaf; / Als ich aber erwachte, / Ging unvermutet die Sonne auf.“ Goethe wusste, dass diese Verse vom Kalifen, dem Oberhaupt aller Muslime, stammen.
Foto: Dana Ward, Unsplash
In bester deutscher Tradition
Ich befinde mich also in bester, in deutscher Tradition. Einer Tradition, die Deutschland fremd ist. In Weimar findet sich nichts dazu. Ideologisch wird auf die eigene Geistesgeschichte geblickt und ideologisch wird ausgestellt. Bisher.
Jetzt stürmen und drängen junge, in Deutschland geborene Muslime in die Öffentlichkeit. Sie sprechen nicht bloß Deutsch. Sie sprechen Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch, Persisch, Bosnisch. Sie wandeln zwischen mehr als nur zwei Welten und stellen eine große Bereicherung des kulturellen Lebens in Deutschland dar.
Nicht jeder ist Poet wie ich. Andere sind Maler, andere Komponisten, wieder andere Kalligraphen, Speaker, Journalisten, Geschäftsleute, Lehrer. Sehr viele von uns engagieren sich politisch. Gegen Rassismus und Diskriminierungen. Doch wir wurden lange lange lange ausgeblendet.
Foto: RISE Jugendkultur
In Massenmedien ignoriert
Obwohl wir über acht Millionen Bürger und Bürgerinnen Deutschlands (ein Zehntel des Landes) und Steuerzahler sind, wurden und werden wir in Massenmedien ignoriert. Ich bin seit über sechs Jahren nun bei der „Islamischen Zeitung“ dabei und habe manche Personen interviewt.
Doch diese Personen treten später an mich heran und bitten mich, das Interview doch herauszunehmen, weil sie dadurch Schwierigkeiten in der Mehrheitsgesellschaft haben und es ihrer Karriere im Weg stehe.
Diktatorische Zustände im achso liberalen Deutschland, das unser Bundespräsident jetzt in Kanada anpreist. Ich mag Steinmeier. Er schickt zumindest formell Grüße. Das ist bereits ein Fortschritt. Bisher tat das nur das kanadische Staatsoberhaupt Trudeau.
Ich war jung, als in Deutschland Muslime systematisch ermordet wurden. Was wohl Goethe und Schiller dazu sagen würden? Auch deshalb mag ich unseren Bundespräsidenten: Er hat das Gemälde des Weimarer Musenhofes in seinem Büro. Fehlt nur noch der Geist. „Dönermorde“ wurde die systematische Ermordung von Muslimen in Deutschland genannt.
Wir verzeihen, denn Allah ist der Ur-Verzeihende, Er liebt es zu verzeihen, deshalb verzeihen auch wir. DOCH: Wir vergessen nicht. Nein, wir vergessen nicht. Eine moderne Inquisition scheint am Werk in Deutschland. Sie will Religiöses aus dem öffentlichen Leben verbannen. Wie anders war Knigge, der Meister des Anstandes und guten Tons.
Das andere Deutschland
Wie anders waren Goethe und gar Schlegel, der trotz seines Hasses auf Islam, doch erkannte, was schon zu seiner Zeit vor sich ging: „Alles soll toleriert werden – außer Religion.“ So sagt er es in einer Vorlesung. Wer liest, erblickt in der deutschen Geschichte andere Deutsche. Deutsche, die den Mut hatten, der öffentlichen Meinung zu widersprechen. Doch nicht stumpf und dem Slogan „Das wird man wohl noch sagen dürfen“, sondern mit Herz und Menschlichkeit.
Rumi-Manuskript im Agha Khan Museum, Toronto. (Foto: Daderot, gemeinfrei)
Denn wir jungen Muslime sind die wirklichen Schüler des sagenumwobenen Schaikh Mewlana Dschelaleddin Rumi. Möge Allah, der Erhabene, barmherzig mit ihm sein. Rumi lehrt: „Deine Nachsicht soll frei von Dummheit sein.“ Wir sind nachsichtig. Wir verzeihen die Beleidigungen und Spiele, die mit unseren Eltern und Großeltern, die naiver waren als wir, gespielt wurden öffentlich.
Doch wir vergessen nicht. Wir durchschauen die Rhetorik. Wir haben fleißig unseren Schopenhauer gelesen. Nicht nur den. Wir haben auch fleißig unseren Abu Hanifa, möge Allah ta’ala zufrieden mit ihm sein, und dessen Ratschläge an seinen Sohn gelesen.
Wir sind anders
Wir sind anders. Was unsere Eltern und Großeltern nicht zu träumen wagten, das erträumen wir jungen Musliminnen und Muslime und setzen es in die Tat um. Wir kennen unsere Menschenrechte und vor allem unsere Menschenpflichten.
Wir wissen, was Menschen von Tieren unterscheidet und laufen nicht stumpf und blind irgendwelchen Freiheitsversprechungen hinterher. Lauschen wir Scheikh Rumi: „Wir bitten Gott uns Höflichkeit zu lehren, / denn ohne sie entzieht sich Seine Gnade. / Wer taktlos ist, der schadet nicht sich selbst nur, / die ganze Welt gibt er den Flammen preis.“
Wir jungen Muslime schauen in die Geschichte, wie es Goethe lehrte. Wir kennen die Denkfehler der „Jungtürken“, die dachten, alles aus Europa sei gut. Nein. Goethe, Herder, Schiller und Wieland klärten uns über die geistigen und philosophischen Missstände in Europa auf. Dazu ein anderes Mal mehr.
Wir sind in Europa, um es zu bereichern, wie es unsere Ahnen taten. Mit Kunst, Wissenschaft und Kultur. Wir jungen Muslime lieben den Sturm und Drang. Die Zeit, in der einige wenige junge Deutsche mit ihren Ideen die Geschicke der Welt veränderten.
Wir lieben Ideen. Sie besitzen die Fähigkeit alles zu verändern. Wir jungen Muslime denken vielfältig und, um es mit Schillers Worten zu sagen, „wir leben ein Leben derer, die noch kommen werden.“ Was wird kommen? Taktvolle, vielfältige Menschen.