Die Heimat des Muslims

Ausgabe 230

(iz). „Ohne Heimat sein, heißt leiden“, sagte der russische Schriftsteller Dostojewski. Diese Frage beschäftigt viele Muslime, die in Europa leben und einen Migrationshintergrund haben. Häufig beantworten sie diese Fragen anhand der Nationalität, andere betrachten die Heimat der Eltern als solche, wieder andere den Ort ihrer Geburt.

Doch im Grunde genommen lassen diese Ansichten zur Heimat keine islamische Perspektive zu Wort kommen. Meist sind es ganz subjektive Gründe, die einen zu der einen oder anderen Ansicht tendieren lassen. Manche Muslime versuchen, ihre heimatliche Definition durchaus islamisch zu stützen, doch gelegentlich tendiert das bei Muslimen mit Migrationshintergrund zu einer Favorisierung ihres Herkunftslandes (wobei ich Herkunft im ethnischen Sinne verstehe). Das wird dann oft mit der mehrheitlich muslimischen Prä̈­senz und den islamischen Elementen des jeweiligen Landes begründet.

Die Frage, die sich jedoch stellt, lautet: Was macht ein Land islamisch? Und wenn es solche islamischen Elemente gibt, muss eine Heimat sie enthalten?

Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, das zeitlose Vorbild der Muslime, hatte ebenfalls ein Verständnis von Heimat. So sagte er bei seiner Auswanderung, vor dem Verlassen Mekkas: „Du bist Gottes liebstes Stück Erde. Und bei Gott, wenn mich dein Volk nicht aus dir vertrieben hätte, ich hätte dich nicht verlassen.“

Als Mekkaner verließ der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, Mekka und wanderte nach Medina aus. Dort blieb er und verbrüderte die Auswanderer (Muhadschirun) mit den Helfern (Ansar). Verschiedenste Stämme wurden mit­einander verknüpft – und so die Heimat ­gewechselt. Genau hier dient der Prophet, Allahs Heil und Segen auf ihm, als das zeitlose Vorbild. Am deutlichsten wird sein Heimatverständnis bei der folgenden Begebenheit deutlich.

Nach der Schlacht von Hunain verteilte der Prophet die Beute unter einigen Gefährten, wovon die Ansar jedoch nichts erhielten. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sprach in einer sehr emotionalen Rede zu den Medinensern und sagte: „Seid ihr denn nicht zufrieden, wenn die Leute mit den Schafen und Kamelen gehen, und ihr mit dem Gesandten Allahs zu euren Hä̈usern zurückkehrt? Die Ansar sind die Untergewänder, das heißt, sie sind mir zu nahe, und die (anderen) Leute sind die Ober­gewä̈nder. Hätte es keine Auswanderung gegeben, da wäre ich einer von den Ansar gewesen. Wenn die Leute durch ein Tal oder auf einen Bergpfad ziehen, dann entscheide ich mich, durch das Tal oder auf den Bergpfad der Ansar zu ziehen.“ (Muslim)

Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sprach sich ganz deutlich fü̈r seine „neue“ Heimat und deren Bewohner aus. Und blieb auch dieser Heimat treu. So wurde er in seiner neuen Heimat beerdigt und blieb auch in Medina, nachdem Mekka erobert wurde. So kennen wir Medina heute als die Stadt des Propheten.

Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, ging nicht „zurü̈ck“. Wie konnte er auch, wo ein „zurü̈ck“ doch gar nicht existiert? So sagte Heraklit schon: „Wer in denselben Fluss steigt, dem fließt anderes und wieder anderes Wasser zu.“ Das wusste sicher auch der Prophet und wollte uns dies vielleicht sogar vermitteln? Denn der einzige Weg, den die Menschen „zurü̈ck“ nehmen können, ist der Weg zu Gott: „Wir gehö̈ren Allah und zu Ihm kehren wir zurü̈ck.“ (Al-Baqara, 156)

Jeden Schritt, den wir jedoch auf dieser Erde tun, ist ein Schritt nach vorne auf unserer großen Reise. So könnten auch wir den Schatten unter dem Baum zu unserer temporalen Heimat machen: „Was habe ich mit dieser Welt zu schaffen? Im Diesseits bin ich nur wie ein Durchreisender der im Schatten eines Baumes rastet und ihn wieder verlässt, nachdem er etwas geruht hat.“ (At-Tirmidhi)