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Die IZ-Kolumne: Der Kampf um Gerechtigkeit

Ausgabe 309

Foto: Islamrat, Twitter

(iz). An Hanau zeigt sich wieder ­einmal, dass Betroffene von Rassismus erst um Gerechtigkeit kämpfen müssen. Dass die Ange­hörigen der Opfer selbst um Aufklärung bemüht sind, ist eine Schande für den Rechtsstaat.

Am 19. Februar 2021 war der rassistisch motivierte Anschlag in Hanau genau ein Jahr her. Auf den sozialen Medien wurden die Namen der Opfer, Zitate und Ausschnitte aus Interviews geteilt. In ­vielen deutschen Städten demonstrierten die Menschen, sie riefen die Namen der Toten wider das Vergessen.

Das alles lässt aufatmen. Er ist noch da, der Wille zur Gerechtigkeit. Und doch kann nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass um diese Gerechtigkeit bitter gekämpft werden musste. Es waren die Angehörigen der Opfer, die im vergangen Jahr Fragen stellten, Kritik äußerten. Es waren die Angehörigen, die unter der „Initiative 19. Februar“ eine Kette des Versagens nachzeichneten, die minutiös das Versagen der Behörden vor Augen führte. Wieso besaß ein behördlich bekannter Rechtsextremist einen Waffenschein? Wieso war der Notruf in der Tatnacht unterbesetzt? Was haben sich die Polizist:innen gedacht, als sie ­unmittelbar nach der Tat Piter Bilal Minnemann, einem Überlebenden des Anschlags, alleine und zu Fuß drei Kilometer weit zum Freiheitsplatz schickten, obwohl der Täter noch auf freiem Fuß war? Und was ist mit den Ressentiments der Polizei gegenüber den Familien der Opfer, die dazu ermahnt wurden, keine „Blutrache“ zu nehmen?

Mit diesen und weiteren Fragen würden sich die Behörden nicht konfrontiert sehen, wenn die Angehörigen nicht wären. Es ist nicht zu leugnen: Ohne die Arbeit der Angehörigen, hätte es keinen Druck zur Aufklärung und keine so breite Anteilnahme gegeben. Das allein ist eine Schande und lässt an der Gesellschaft und Behörden zweifeln.

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Die vielleicht wichtigste Person, die Verantwortung zu übernehmen hat, ist der Innenminister des Landes. Wer sonst sollte sich um den Frieden und den ­Zusammenhalt in einer Gesellschaft kümmern und wer sonst hätte die Macht, behördliches Versagen zu unterbinden? Doch Horst Seehofer schwieg lieber. Als ein Journalist ihm endlich ein Statement abverlangte, gelobte nicht er persönlich, aber sein Pressesprecher etwas Betroffenheit. Wenig später hieß es vom Pressesprecher, Horst Seehofer teile mit: Die Bevölkerung könne sich darauf verlassen, dass der Staat Rassisten die Stirn biete.

Es ist klar, welcher Gedanke sich hinter so einem lakonischen Satz verbirgt: „Ich muss jetzt irgendwie reagieren, darf aber unter keinen Umständen vermitteln, die Behörden seien verantwortlich oder ­hätten gar einen Fehler gemacht“. Nichts anderes bedeutet dieser Satz, der etwas behauptet, was faktisch durch die Anschläge in Hanau, Halle, Kassel und München widerlegt ist. Dieser Satz bezeugt vielmehr die Apathie eines Mannes, von dem nichts anderes zu erwarten ist.

In der Tat hat Horst Seehofer viel dafür getan, dass Betroffene von Rassismus sich unsicher in diesem Land fühlen. Sein politisches Gebaren der letzten Jahre diente stets dem Zweck, die konservative Wählerschaft nicht zu vergraulen. Obergrenzen und Heimatsdebatten prägten seine öffentliche Präsenz. Doch Erfolge konnte er bislang keine vorweisen. Seine von ihm initiierte Heimatsabteilung im Innenministerium muss sich so langsam rechtfertigen, denn bislang ist nicht klar, was sie überhaupt leistet. Zugleich wächst mit jedem aufgedeckten Fall polizeilichen Versagens der Druck, eine Rassismusstudie durchzuführen, die Seehofer vehement und zunehmend unbegründet ablehnt. Sollte sich erweisen, dass Seehofer nicht nur nichts geleistet, sondern durch seine Heimatsfloskeln den Rassismus obendrein salonfähiger gemacht hat, wäre es um seinen Ruf geschehen.

Betroffene von Rassismus brauchen aber keinen sehr weißen, sehr konser­vativen alten Mann, der keine Fehler ­eingestehen und sich offenbar nur um die eigene Reputation sorgen kann. Das Vertrauen in die Institutionen schwindet, wo diese sich gleichgültig und unfehlbar darstellen.

Es ist gut, dass die Angehörigen die Aufklärung der Tat vorangetrieben haben. Doch es ist zugleich ein Zeugnis dafür, wie wenig Vertrauen den eigentlich zuständigen Behörden entgegengebracht werden kann. Diese sind es nämlich, die für die Gerechtigkeit Sorge tragen sollten.

Gerechtigkeit ist in einem Rechtsstaat kein Gut, um das immer wieder gekämpft werden muss. Wenn wir um Recht und Anerkennung erst kämpfen müssen, dann geht es nur noch um Macht. Dann geht es nur noch darum, wer welche Druckmittel hat, um eine Verhandlung einzuleiten. Wenn die Stimmen laut genug sind, sieht sich der ­Innenminister gezwungen, zumindest Floskeln auszusenden. Doch mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Gerechtigkeit ist nichts, was ein Rechtsstaat auf Druck einräumt. Sie ist das leitende Prinzip der Rechtsstaatlichkeit selbst. Daran ist in diesen Tagen aber zu zweifeln.