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EU-Staaten einigen bei Migration: Asylverfahren sollen verschärft werden

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Die EU-Staaten arbeiten seit 2015/2016 an einer Verschärfung von Asylverfahren. Nach viel Streit gibt es nun eine Einigung bei Verhandlungen. Die Bundesregierung musste in einem für sie wichtigen Punkt vorerst einlenken. Von Ansgar Haase, Anne-Béatrice Clasmann und Sabrina Szameitat

Luxemburg (dpa/iz). Die Asylverfahren in der EU sollen angesichts der Probleme mit illegaler Migration deutlich verschärft werden. Bei einem Innenministertreffen in Luxemburg stimmte am Donnerstag eine ausreichend große Mehrheit an Mitgliedstaaten für umfassende Reformpläne, wie der schwedische Ratsvorsitz am Donnerstagabend nach stundenlangen schwierigen Verhandlungen mitteilte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Es waren keine leichten Entscheidungen, für alle die hier am Tisch stehen, aber es waren historische.“

Grenze

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Asylverfahren: EU-Staaten einigen sich auf Verschärfung

Vorgesehen in den nun vereinbarten Reformplänen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. So sollen ankommende Menschen aus als sicher geltenden Ländern künftig nach dem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen.

Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Die Bundesregierung hatte sich in den Verhandlungen nachdrücklich dafür eingesetzt, dass Familien mit Kindern von den sogenannten Grenzverfahren ausgenommen werden. Um den Durchbruch zu ermöglichen, musste sie allerdings letztlich akzeptieren, dass dies doch möglich sein könnte.

Bundesinnenministerin Faeser sagte nach der Entscheidung allerdings, dass sich die Bundesregierung gemeinsam mit Portugal, Irland und Luxemburg weiter für Ausnahmen einsetzen wird. Denkbar ist auch, dass das EU-Parlament noch Änderungen durchsetzt. Es hat bei der Reform ein Mitspracherecht und wird in den kommenden Monaten mit Vertretern der EU-Staaten über das Projekt verhandeln.

Neben den verschärften Asylverfahren sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen werden.

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Zusammenarbeit mit fragwürdigen Partnern`?

Der EU-Kompromiss soll weitreichende Kooperationsprojekte mit Nicht-EU-Ländern ermöglichen. Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson könnten abgelehnte Asylbewerber künftig grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind.

Die Bundesregierung hatte sich eigentlich dafür stark gemacht, einen reinen Transitaufenthalt in einem Drittstaat nicht als Verbindung anzuerkennen, sondern nur zum Beispiel durch im Land lebende Familienangehörige. Diese Forderung musste allerdings am Donnerstag im Laufe der Verhandlungen aufgegeben werden, um eine Einigung auf die Pläne für die Asylreform zu ermöglichen.

Sollte sie beschlossen werden, könnte damit zum Beispiel Italien über das Mittelmeer kommende Menschen in das Land zurückschicken, wenn sich die Regierung in Tunis einverstanden damit erklärt. Um sie zu einer Zustimmung zu bewegen, könnte etwa finanzielle Unterstützung geleistet werden.

In einer Erklärung zu der Einigung wird auch festgehalten, unter welchen Voraussetzungen Behörden in der EU Asylanträge ohne detaillierte Prüfung für unzulässig erklären können. Dies soll demnach möglich sein, wenn sie von Flüchtlingen gestellt werden, die über einen sicheren Drittstaat eingereist sind. Voraussetzung dafür soll sein, dass die Menschen auch in diesem sicheren Drittstaat effektiven Schutz gewährt bekommen könnten.

Die noch ausstehenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament sollen im Idealfall noch vor Ende des Jahres abgeschlossen werden. Dann könnten die Gesetze noch vor der Europawahl im Juni 2024 beschlossen werden. Sollte dies nicht gelingen, könnten veränderte politische Kräfteverhältnisse Neuverhandlungen nötig machen.

An der Reform wird bereits seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit einem Massenzustrom an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig.

Neben schärferen Verfahren mehr Solidarität

Zudem sehen die am Donnerstag beschlossenen Pläne auch mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen vor. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen.

Länder wie Ungarn stimmten deswegen gegen den Plan. Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson können abgelehnte Asylbewerber künftig grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben.

Nicht unterstützt wurde die Reform bei dem Treffen von den Ländern Polen, Ungarn, Malta, der Slowakei und Bulgarien. Tschechien machte nach der Einigung deutlich, dass es sich nicht an dem Solidaritätsmechanismus beteiligen will. Polen und Ungarn hatten sich bereits in der Vergangenheit ähnlich geäußert.

Faeser ließ sich davon allerdings am Abend nicht die Laune verderben. „Ich finde, das lässt sich wirklich sehr gut sehen“, sagte sie kurz, nachdem es im Sitzungssaal Applaus zur erfolgreichen Abstimmung gegeben hatte. Jetzt müsse man an der Umsetzung und den konkreten Ausgestaltungen arbeiten.

Baerbock Diplomatie Irak

Baerbock am 1. März 2023 auf der UN-Vollversammlung. (Foto: Lev Radin, Shutterstock)

EU-Kompromiss erschüttert die deutschen Grünen

Führende Grüne mühten sich nach der für viele in der Partei schmerzhaften Entscheidung um eine gemeinsame, wenn auch nicht einheitliche Kommunikation. So meldete sich Co-Parteichef Omid Nouripour mit einer Serie an Tweets zu Wort, in denen er das Für und Wider abwog, mit dem Ergebnis: «In der Gesamtschau komme ich zu dem Schluss, dass die heutige Zustimmung ein notwendiger Schritt ist, um in Europa gemeinsam voranzugehen.»

Mit-Parteichefin Ricarda Lang äußerte sich ähnlich differenziert, aber mit dem Resultat, „dass Deutschland bei dem Vorschlag zur GEAS-Reform im Rat heute nicht hätte zustimmen dürfen“.Sie schrieb aber auch: „Das ist eine verdammt schwierige Entscheidung, die sich niemand leicht gemacht hat. Deshalb habe ich Respekt für alle, die in der Gesamtabwägung zu einem anderen Entschluss gekommen sind als ich.“

GEAS steht für Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann (dafür) und Katharina Dröge (dagegen) hielten es ähnlich wie die Spitzen der Partei.

Massive Kritik kam auch von Europaparlamentariern der Grünen. «Die EU-Mitgliedsstaaten haben ihren moralischen Kompass verloren», monierte der Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, Rasmus Andresen. „Es ist beschämend, dass auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser mit Zustimmung der Ampel-Koalition diesem Vorschlag zugestimmt hat.“

Die Fraktionschefin im Europaparlament, Terry Reintke, monierte: „Die Position des Rats widerspricht europäischen Werten wie den Grundrechten und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit.“ Die Fraktion lehne den Beschluss des Rats ab.

Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Habeck verteidigten den Kompromiss unter Verweis auf die Notwendigkeit einer Einigung in Europa. „Ich habe hohe Achtung vor denen, die aus humanitären Gründen zu anderen Bewertungen kommen“, sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. „Ich hoffe, sie sehen auch, dass es Gründe gibt, dieses Ergebnis anzuerkennen.“ Eine Hoffnung, die an diesem Abend nicht nur er ausdrückte. Zustimmung kam in ersten Wortmeldungen eher von Vertretern des Realo-Flügels, Ablehnung von linken Grünen.

Geradezu entgeistert äußerte sich das Führungsduo der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, Timon Dzienus und Sarah-Lee Heinrich. Dzienus schrieb über den Kompromiss auf Twitter: „Das ist unmenschlich und ich werde das so nicht akzeptieren.“ Heinrich schrieb: „Ich bin fassungslos. Abschottung sorgt nicht dafür, dass weniger Menschen fliehen. Es bedeutet, dass mehr Menschen leiden.“

Fast 500 Grüne hatten zuletzt in einem Schreiben an Spitzenvertreter ihrer Partei vor den Asylplänen gewarnt.

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Menschenrechtler sind „schockiert“

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) äußerte sich schockiert über die Entscheidung der EU, geflüchtete Kinder und Familien in Internierungslager an den Außengrenzen einzusperren. „Dieser absolut unmenschliche Plan unterminiert jede Behauptung einer wertegeleiteten Politik“, kritisierte Jasna Causevic, GfbV-Referentin für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung am heutigen Freitag in Göttingen.

„Gerade für Kinder ist die Flucht ohnehin eine traumatische Erfahrung. Sie daraufhin in ein Gefängnis zu stecken und dort sechs Monate oder länger wie Kriminelle zu behandeln, macht ihr Leid ohne jeden Grund größer.“ 

Die offensichtliche Strategie der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, Europa durch eine möglichst menschenverachtende Flüchtlingspolitik unattraktiv zu machen, werde das Sterben an den Außengrenzen nicht beenden. „Diese Menschen flüchten nach Europa, weil ihnen in der Heimat oft unfassbares Leid droht, nicht weil sie die Asylgesetzte der EU studiert haben“, erinnerte Causevic.

„Dass sie in der EU jetzt eine kaum bessere Behandlung erwarten soll, widerspricht dem Geist aller internationalen Abkommen und Richtlinien. Stattdessen brauchen wir eine humane Asylpolitik, die besonders die Schwächsten der Schwachen schützt.“