Fleckenteppich der Streitigkeiten

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Seit rund drei Wochen bekämpfen sich bewaffnete Rebellen in Ost-Ghouta bei Damaskus gegenseitig. Dabei sind nicht weniger als 500 Kämpfer gestorben. Das Assad-Regime hat diesen Umstand ausgenutzt und neue Gebiete erobert. Die aufkochenden Spannungen unter den Rebellen in Ost-Ghouta gehen allerdings auf einen seit geraumer Zeit schwellenden Konflikt zurück, der bislang unter der Oberfläche ausgetragen wurde.
Zuerst muss konstatiert werden, dass der derzeitige Konflikt unter den Rebellen wie folgt skizziert werden kann: Jaysh al Islam kämpft gegen Feylaq ur Rahmen (und Ajnad as Sham) und gegen Jaysh Fustat, eine Vereinigung verschiedener Rebellenbrigaden in Ost-Ghouta. Darunter fallen die einflussreichen Gruppen Al Nusra Front, Ahrar al Sham und Fajr al Umma. Die Gründe für die jetzige militärische Auseinandersetzung gehen weit vor den Tod des weithin als charismatisch geltenden Anführers der Jaysh al Islam-Organisation, Zahran Alloush, zurück. Es würde zu kurz greifen, den Konflikt in Ghouta mit dem Tod des Rebellenführers zu begründen.
Der Beitrag versucht, sich auf die Konfliktgründe in seinen Grundzügen zu beschränken. Demnach erhebt dieser Beitrag keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Er soll vielmehr einen Einblick verschaffen. Die Konfliktgründe werden vereinfacht in vier Oberkategorien dargestellt.
Um die ideologischen Differenzen genauer zu verstehen, gilt es zunächst, die einzelnen Brigaden vor Ort näher zu beleuchten.
Ajnad as Sham
Die Gruppe stellt ein Bündnis aus ethnisch diversen Syrern dar, die im Kern alle islamisch-konservativ bis „islamistisch“ eingestellt sind. Es finden sich unter den Gründungsmitgliedern aber auch Sufis. Die Rebellenorganisation ist nicht salafistisch orientiert und ist in der sufistischen Community von Ghouta stark verankert.
Nichtsdestotrotz ist das Gros der Mitglieder von Ajnad as Sham nicht sufistisch eingestellt, sondern vereint sich unter der klassischen islamischen Theologie. In Ost-Ghouta hat sich die Miliz der Organisation von Feylaq ur Rahman angeschlossen. Sie stellen in Ost-Ghouta zwischen 1.500 und 2.000 Kämpfer.
Feylaq ur Rahman
Diese Gruppe ist die zweitgrößte Brigade in Ost-Ghouta und gilt ebenso als lokal in Damaskus und der Region verankert. Auch sie sind islamisch-konservativ bis „islamistisch“ eingestellt. Die Kämpfer weisen grundsätzlich eine gewisse ideologische Nähe zur syrischen Muslimbruderschaft auf, gehören ihr aber strukturell nicht an. Sie selbst zählen sich zur Freien Syrischen Armee. Sie vereinigen in Ost-Ghouta bis zu 3.000 Kämpfer unter ihrem Banner.
Jaysh al Islam
Das ist die größte Brigade in Ost-Ghouta. Sie ist islamisch-konservativ bis „islamistisch“. Ihr hervorstechendes Merkmal ist die wahhabitische Prägung der Führungsebene. Sie unterhält starke Beziehungen zu Saudi-Arabien und zum saudischen Königshaus. Die Organisation selbst zählt sich zur Freien Syrischen Armee, auch wenn dies von außen meist nicht wahrgenommen wird. Jaysh al Islam hat in Ost-Ghouta bis zu 12.000 Milizionäre.
Ahrar al Sham
Die Organisation ist zwar in Syrien die größte Rebellenbrigade, aber in Ost-Ghouta ist sie verhältnismäßig schwach vertreten. Ahrar al Sham rekrutiert sich aus nahezu allen Schichten der syrischen Gesellschaft mit klar „islamistischem“ Vorzeichen. Sie bezeichnen sich selbst nicht als Salafisten, haben jedoch in ihrer Ideologie-Struktur einen salafistischen Flügel.
Es findet sich zudem ein Flügel, der zur Muslimbruderschaft schielt, und ein anderer, der sich als Teil des klassischen Mainstream-Islam ansieht. Es gibt weitere kleinere Flügel. Um diese Diversität zu reflektieren, bezeichnet sich Ahrar al Sham selbst als eine „Volkspartei“. Sie sieht sich nicht als Teil der Freien Syrischen Armee an. In Ost-Ghouta stehen 1.000 ihrer Männer unter Waffen.
Al Nusra Front
Die Al Nusra Front ist der syrische Ableger der Al-Qaida und definiert sich durch eine Abgrenzung von ISIS/Daesh. Sie spielt in Syrien eine gewichtige Rolle, auch in Ost-Ghouta. In der Region kämpfen nicht mehr als 1.500 Milizionäre für sie.
Zu den ideologischen Streitthemen
Die Abteilung für judikative Angelegenheiten der einflussreichen Miliz Jaysh al Islam unterteilt andere Rebellenformationen – außer die Freie Syrische Armee – in zwei Kategorien: Entweder sind sie Muslimbrüder oder sie haben Beziehungen zur Al-Qaida. Diese Einstellung wird von anderen Rebellenbrigaden in Ost-Ghouta seit längerem stark kritisiert, weil sie nicht der Diversität der Lage gerecht wird und als Propaganda gegen sie benutzt wird.
Des Weiteren erlangten die ideologischen Unterschiede zwischen der Nusra Front und Jaysh al Islam einen Höhepunkt, da Zahran Alloush die Al-Qaida-Führung als „Agenten“ denunzierte und sie als „Khawaridsch“ bezeichnete. Demgegenüber bezeichnet die Nusra Front seit jeher die Abteilung für judikative Angelegenheiten von Jaysh al Islam als „Palastgelehrte Saudi-Arabiens“.
Die Konfliktsituation zwischen Jaysh al Islam und der Nusra Front spannte sich weiter an, nachdem die Fatwa vom al-Qaida-Kopf Muhammed al Maqdisi veröffentlicht wurde, in der er Rebellenbrigaden, die Hilfe aus dem Ausland annehmen, scharf anprangerte. Dies feuerte den Konflikt zwischen den Wahhabiten mit Nähe zu Saudi-Arabien und den Al-Qaida-Salafisten in Ost-Ghouta nochmals an. Muhammed al Maqdisi ist für seine Nähe zur Nusra Front bekannt.
Ein weiterer Streitpunkt entstand durch die propagandistische Benutzung des Wortes „Sufi“ durch Jaysh al Islam gegenüber Ajnad as Sham und Feylaq ur Rahman. Wie bekannt gleicht diese Bezeichnung in der wahhabitischen oder salafistischen Rhetorik einem Schimpfwort. Während Feylaq ur Rahman abstreitet, dem Sufismus anzugehören, macht Ajnad as Sham keinen Hehl aus dieser Thematik, da ihre öffentliche Wahrnehmung eine andere ist. Hierbei ist es durchaus interessant, dass die Nusra Front gemeinsam mit Feylaq ur Rahman und Ajnad as Sham gegen Jaysh al Islam kämpft.
Ahrar al Sham hat lange Zeit versucht, sich neutral zu verhalten und zwischen den Parteien zu vermitteln. Mittlerweile hat sich Ahrar in dieser Frage gegen Jaysh al Islam gestellt. Die Gruppe lehnt es ab, als Teil der Muslimbrüder bezeichnet zu werden.
Machtanspruch
Zuallererst wurde in Ost-Ghouta der IS durch Feylaq ur Rahman und Jaysh al Islam vertrieben und besiegt. Bei diesen Kämpfen fiel die Nusra Front durch ihre Versuche, den IS zu schützen, negativ auf. Es kam vor, dass Nusra-Kämpfer Milizionäre des IS vor dem Zugriff der Rebellen versteckten. Dies führte zu ersten Spannungen. In den späteren Monaten formierte Jaysh al Islam die kleineren Brigaden der Freien Syrischen Armee unter seinen Banner. Teils freiwillig, teils unter Gewalt. Jaysh al Islam begründete dieses Vorgehen mit der militärischen Situation in Ost-Ghouta und der Unfähigkeit dieser kleinen FSA-Brigaden. Unter Jaysh al Islam sollte somit eine schlagkräftige Armee entstehen.
Zusätzlich unternahm Jaysh al Islam weitere friedliche Versuche, sich mit Feylaq ur Rahman und Ajnad as Sham zu verbünden. Diese scheiterten. Während die anderen Rebellen Jaysh al Islam vorwerfen, sich als die einzige Macht in Ost-Ghouta etablieren zu wollen, verteidigt sich Jaysh al Islam dahingehend, dass die Uneinigkeit der Rebellen das größte Hindernis im Kampf gegen das Assad-Regime sei.
Die Spannung zwischen Jaysh al Islam und der Nusra Front heizte sich wieder an, als der IS im Yarmouk Camp (West-Ghouta) vorrückte und begann, gegen Jaysh al Islam zu kämpfen. Zu dieser Zeit verbündete sich die Nusra Front mit dem IS. Dieses Vorgehen der Nusra Front wurde von vielen Experten damit erklärt, dass sie in Ghouta sehr schlecht organisiert sei und die dortigen Kämpfer eigensinnig handelten und faktisch gesehen unabhängig von der Nusra-Führung seien.
Im weiteren Verlauf sollten Kämpfe zwischen dem IS und Nusra um Yarmouk ausbrechen. Der IS eroberte das gesamte Yarmouk Camp und entriss es der Nusra Front. Dieses Ergebnis wird von Jaysh al Islam als Beispiel für die Unfähigkeit der Nusra Front angeführt.
Der Druck seitens Jaysh al Islam, die alleinige Macht in Ost-Ghouta zu erringen, hat aber auch dazu geführt, dass Ahrar al Sham, die Nusra Front und Fajr Al Umma das Rebellenbündnis Jaysh Fustat gegründet haben, um sich gegen die starken Verbände von Jaish al Islam zu schützen. Auch Ajnad as Sham und Feylaq ur Rahman haben sich vereint.
Verwaltungsstrukturen
Während Jaysh al Islam einerseits in Ost-Ghouta sehr beliebt ist, herrscht hin und wieder Gegenwind. Ihr wird vorgeworfen, korrupt zu sein und damit die Preise in der Region in die Höhe zu treiben. Daher kam es dort zu Protesten gegen die Führung von Jaysh al Islam. Bemerkenswert ist, dass die Fraktion nicht wie Assad gewaltsam gegen die Demonstranten vorging, sondern sie gewähren ließ.
Die Nusra Front indes grub einen Tunnel und beschaffte von außerhalb des durch die Truppen Assads eingeschlossenen Ost-Ghouta Konsumgüter und Energieressourcen wie etwa Öl. Dieser Schritt sorgte dafür, dass die Nusra Front an Zustimmung in der Region gewann. Diese Handlung kam zeitlich genau während der Demonstrationen gegen Jaysh al Islam. Das wird weithin als ein strategischer Schachzug gewertet.
Ein weiterer Streitpunkt sind die Gerichte in Ost-Ghouta. Ahrar al Sham unternahm mit Feylaq ur Rahman den Versuch, unabhängige Gerichte zu etablieren. Jaysh al Islam und Ajnad as Sham erklärten sich einverstanden mit dieser Idee. Jedoch forderte Jaysh al Islam laut Aussagen von Ahrar al Sham, dass der Vorsitzende des Komitees für die unabhängigen Richter eine Person sein solle, dessen Nähe zu Jaysh al Islam bekannt ist.
Mittlerweile werden die Gerichte in Ost-Ghouta von Jaysh al Islam dominiert. Diese Dominanz sorgt dafür, dass die anderen Rebellenbrigaden es inzwischen ablehnen, Streitigkeiten untereinander vor Gericht zu klären, weshalb es nunmehr zu militärischen Auseinandersetzungen kommt.
Vorwände
Alle Brigaden, die an diesem Konflikt beteiligt sind, geben Gründe für die Eskalation an. Wegsperrungen, Angriffe, willkürliche Verhaftungen und vieles mehr. Die Vorwürfe widersprechen sich nicht selten und es ist nahezu unmöglich, zu kontrollieren, welche davon stimmen und welche nicht. Diese Vorwürfe dienen allen lediglich als Vorwand für das eigene Handeln. Die eigentlichen Gründe für die jüngsten Eskalationen sind die oben genannten.
Dieser Konflikt unter den Rebellenbrigaden in Ost-Ghouta zeigt überaus deutlich, dass die Rebellen in Syrien Konfliktlösungsstrategien schaffen müssen, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen.
Während das Assad-Regime auf autokratische Mittel zurückgreifen kann und dank den iranischen Revolutionswächtern eine wie auch immer geartete Hierarchie aufzwingen kann, agieren die Rebellen geradezu autonom und in losen Bündnissen. Solange die Rebellen ebenso wie Assad Probleme mit Waffengewalt zu lösen versuchen oder, um Machtkämpfe auszutragen, werden sie langfristig kaum Erfolge erzielen können.
Wenn die Rebellen es nicht schaffen, Strukturen aufzubauen, um Konflikte ohne diese auszutragen, dann gehen Ressourcen an internen Gefechten verloren. Eine Einführung plebiszitärer Elemente in diesen Strukturen würde zu einer neuen Form von Legitimität führen und könnte eine klare Alternative zum Assad-Regime darstellen.