Für ein ­konstruktives Gespräch

Ausgabe 272

(iz). Spätestens seit dem 11.09.2001 empfinden nicht nur deutsche Muslime einen erheblichen Gegensatz zwischen ihrer Wirklichkeit und der öffentlich-politischen Diskussion über sie. Das Phänomen ist längst auch Debattengegenstand von Wissenschaftlern, Bürgerrechtlern, engagierten Menschen und Teilen der Politik geworden. Das undifferenzierte und uninformierte Schüren von Ängsten ist längst nicht mehr nur auf Muslime beschränkt, sondern strahlt auf die Gesamtgesellschaft aus. Hier möchte die Initiative „Ohne Unterschiede?“ ansetzen und einiges verändern. Wir sprachen mit dem Franziskaner Dr. Thomas Schimmel, der zu ihren Erstunterzeichnern gehört.
Islamische Zeitung: Sehr geehrter Herr Dr. Schimmel, Sie gehören zu den Erstunterzeichnern der Initiative „Ohne Unterschiede? Nicht-Muslime für einen fairen Umgang mit Muslimen in Politik, Medien und Gesellschaft“. Gab es einen konkreten Anlass für diesen Schritt und was motiviert Sie?
Dr. Thomas Schimmel: Nein, es gab keinen konkreten Anlass. Aber schon seit geraumer Zeit beobachten wir, die Erstunterzeichner, unabhängig voneinander die Berichterstattung über den Islam und über Musliminnen und Muslime mit wachsendem Unwohlsein. Sowohl in den Medien, als auch in Interviews, bei öffentlichen Veranstaltungen und auch im persönlichen Umfeld sehen wir, wie undifferenziert und uninformiert diskutiert oder mit falschen Behauptungen Vorurteile und Ängste geschürt werden. Das ist Gift für das friedliche Zusammenleben in der pluralen Gesellschaft. Wir sehen hier die dringende Notwendigkeit, auf das Problem aufmerksam zu machen.
Islamische Zeitung: In Ihrer Erklärung sprechen Sie davon, dass von Medien und Politik immer wieder andere Maßstäbe angelegt würden. Wie äußert sich das und woher speist sich diese unterschiedliche Behandlung?
Dr. Thomas Schimmel: Letztens wurde in einer öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendung über den Anteil von Muslimen an der deutschen Bevölkerung berichtet. Als illustrierende Bilder wurden sowohl in der eigentlichen Sendung als auch in der Meldung im Onlineangebot Motive gewählt, auf denen vollverschleierte Frauen in Schwarz von hinten gezeigt wurden. Bei anderer Gelegenheit sehen wir Bilder von betenden Muslimen im Moment der Niederwerfung von hinten. Warum zeigt man nicht junge fröhliche Menschen? Oder Betende, die aufrecht stehen? Hier wird ein Bild vom Islam transportiert, das suggeriert: Die sind fremd, die gehören nicht dazu. Damit muss man sich nicht auch noch differenziert beschäftigen.
Islamische Zeitung: Jenseits ihres Inhaltes, glauben Sie dass Kritik an Muslimen und ihrer Selbstorganisation, bewusst wie unbewusst eine Funktion für die Gesamtgesellschaft erfüllt?
Dr. Thomas Schimmel: Die gesellschaftlichen Verhältnisse werden ja nicht übersichtlicher – sondern eher im Gegenteil. Auch auf einfache Fragen gibt es nun mal keine einfachen Antworten. Das ist für Rechts- und Linkspopulisten schwer zu ertragen. Für viele ist der Islam in dieser Situation natürlich ein willkommenes Feindbild, über das ein einfaches Weltbild transportiert wird und mit dem begründet werden kann, warum früher alles besser und vordemokratische Strukturen hilfreicher sind. Eine differenzierte Betrachtung oder Musliminnen und Muslime, die sich wie Bürgerinnen und Bürger in unserer Gesellschaft bewegen, stören da nur.
Islamische Zeitung: Selbstverständlich erwähnt der Text, dass auch ­„Muslime und ihre Organisationen“ nicht außerhalb von Kritik stünden. Wo verläuft für Sie die Trennlinie zwischen berechtigter Kritik einerseits und ­Diffamierung beziehungsweise Denunzianz andererseits?
Dr. Thomas Schimmel: Es gibt journalistische Standards. Die müssen immer eingehalten werden. Natürlich kann ein Rundfunksender kritisieren, dass in einer Moschee vor fünf und vor neun Jahren ein islamistischer Prediger zu Gast war – aber die Fairness verlangt doch, dass der zuständige Imam beziehungsweise Moscheevorstand dann auch befragt wird, wie es dazu kam. Und dass zum Beispiel darauf hingewiesen wird, dass sich genau diese Moschee in den letzten Jahren wie kaum eine andere bürgerschaftlich engagiert: Mit Veranstaltungen zur Demokratie vor Wahlen, mit Stellungnahmen gegen Antisemitismus, mit der Zusammenarbeit mit Schwulen- und Lesbenorganisationen, mit der Verlegung von Stolpersteinen usw. Ich halte es auch für problematisch, wenn immer wieder die gleichen fach- oder ortsfremden Islamexperten zu Wort kommen, die Bücher vermarkten wollen oder die sich in einem selbstreferenziellen System in ihren Bewertungen auf die Presseberichterstattung berufen, von der sie selbst zitiert werden.
Islamische Zeitung: Lieber Herr Dr. Schimmel, wie könnten die Kon­sequenzen ausfallen, wenn der von­ ­Ihnen monierte Umgang mit und das Gespräch über Muslime/n sich langfristig nicht ändern wird?
Dr. Thomas Schimmel: In einer demokratischen Gesellschaft zählen nur Argumente – also werden wir reden und schreiben. Als Bürgerinnen und Bürger dürfen wir in dem Bemühen, unsere plurale Gesellschaft friedlich zu gestalten, nicht nachlassen und immer wieder auf Missstände hinweisen. Ich bin auch zuversichtlich, dass uns das gelingt und sich eine Sensibilität entwickeln wird.
Islamische Zeitung: Wie sah die bisherige Reaktion auf die Initiative aus?
Dr. Thomas Schimmel: Es gibt in verschiedenen Medien positive und auch reflexartig negative Berichterstattung. Auf der Petitions-Plattform change.org haben schon viele Menschen unseren Aufruf unterzeichnet.
Islamische Zeitung: Gibt es Vorstellungen darüber, was sich konkret ändern muss und welche Schritte dazu erfolgen müssten? Wo sehen Sie den nötigen positiven,  gesellschaftlichen Einfluss dafür?
Dr. Thomas Schimmel: Wir wollen, dass differenziert und fair über den Islam und Musliminnen und Muslime gesprochen wird. Darum appellieren wir an Menschen, die sich öffentlich äußern – seien es PolitikerInnen, JournalistInnen oder IslamexpertInnen – in diesem Bereich verantwortungsvoll zu agieren, um nicht Öl ins Feuer zu gießen. Wir wissen genau, was Vorurteile und Generalverdächtigungen in einer Gesellschaft anrichten können. Wir hoffen natürlich, dass unser Appell sowohl die Verantwortlichen aber auch die Konsumentinnen und Konsumenten der verschiedenen Medien erreicht und für ein nötiges Sensorium für dieses Problem sorgt. Es wäre ja schon viel gewonnen, wenn nicht nur Rechtspopulisten die Leserbriefseiten, die Internetforen der Medien und die sozialen Netzwerke füllen würden, sondern auch diejenigen, die die Freiheit und die Vielfalt unserer pluralen Gesellschaft zu schätzen wissen.
Islamische Zeitung: Lieber Herr Dr. Schimmel, wir bedanken uns für das Gespräch.