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Historische Zäsur: AfD und BSW verzeichnen hohe Erfolge

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Symbolbild: AfD-Kovorsitzende und Fraktionschefin Weidel spricht vor Kameras. (Juergen Novak, Shutterstock)

Bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen fahren die AfD und das BSW große Erfolge ein. In Erfurt werden die Rechten stärkste Partei.

„Die Ergebnisse der Parlamentswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag (…) sorgen für weitere Bestürzung auf einem Kontinent, der bereits durch den Niedergang der traditionellen Parteien und den Aufstieg der Aufständischen verunsichert ist. (…) Das größere Problem ist, was der gemeinsame Aufstieg der AfD und der BSW über den Kollaps der Regierungsparteien in Deutschland aussagt.“ Wall Street Journal

Dresden/Erfurt (dpa, KNA, iz). Die AfD wird in Sachsen und Thüringen als rechtsextremistisch eingestuft – dennoch räumte sie bei der Stimmabgabe ab. Ihre Beteiligung an einer Regierung dürfte sich allerdings schwierig gestalten, weil potenzielle Partner vor den Wahlen keine Koalition mit ihr eingehen wollten. Unklar ist, ob sie eine Minderheitsregierung stellen kann.

Die AfD-Vorsitzenden Weidel und Chrupalla beanspruchen nach den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen eine Regierungsbeteiligung. „Natürlich haben wir Regierungsanspruch“, sagte Weidel im ZDF-„Morgenmagazin“ Die Wähler hätten sich in beiden Bundesländern klar für eine Mitte-Rechts-Koalition und eine Beteiligung der AfD entschieden.

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Foto: Wikiwand | Lizenz: CC BY-SA 4.0

AfD – ein Novum der Nachkriegsgeschichte

Erstmals in der Nachkriegsgeschichte ist mit der AfD eine als rechtsextremistisch eingestufte Partei bei einer Landtagswahl stärkste Kraft geworden. In Thüringen liegt sie nach den vorläufigen Ergebnissen auf Platz eins. Bei der Landtagswahl in Sachsen legt sie ebenfalls zu, landet aber knapp hinter der CDU von Regierungschef Michael Kretschmer. Auf der AfD-Wahlparty in Thüringen waren neben Parteikadern führende Mitglieder der identitären Bewegung aus Deutschland vertreten.

Aus dem Stand zweistellig wird in beiden Ländern das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Für die Parteien der Ampel-Koalition im Bund, die an Stimmen verlieren, ist es ein bitterer Abend.

Erschütterung von Seiten der Zivilgesellschaft

Erschütterung und große Sorge prägen die ersten Reaktionen aus der jüdischen Welt und aus den Kirchen auf die AfD-Erfolge bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen.

„Unsere freie Gesellschaft darf nicht fallen, gerade im Angesicht des islamistischen Terrors“, forderte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster: „Ungeschminkte Wahrheiten – Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit – sind gefragt, keine populistischen Scheinantworten radikaler Parteien“, schrieb er in einem Gastkommentar für Bild.de.

Immer mehr Menschen wählten die AfD aus politischer Überzeugung, aus „durch Protest manifestierter rechtsextremer Ideologie“, fügte er hinzu. Und ein populistisches BSW lasse noch vieles unbekannt, „aber das, was wir von dieser neuen Partei und ihrem Spitzenpersonal wissen, lässt nichts Gutes erahnen“.

Foto: Thomas Lohnes | Zentralrat der Juden in Deutschland

Eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik sieht die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Deutschland drohe ein anderes Land zu werden.

Niemand solle jetzt noch von Protestwählern sprechen „oder andere Ausflüchte suchen“, mahnte die frühere Präsidentin des Zentralrats: „Die zahlreichen Wähler haben ihre Entscheidung bewusst getroffen, viele wollten die Extremisten an den Rändern in Verantwortung bringen.“ Nicht nur Minderheiten müssten sich jetzt fragen, was diese Entwicklung für jede und jeden Einzelnen bedeute.

Als „zutiefst deprimierend“ bewerteten Holocaust-Überlebende die voraussichtlichen Ergebnisse. Die Entwicklung erschwere das Vertrauen, „das sie Deutschland mittlerweile wieder entgegenbringen“, sagte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner.

Bislang sei es unvorstellbar gewesen, dass gerade hierzulande „so viele Menschen einer Partei vertrauen, die mehr als braun gesprenkelt ist und sogar von anderen rechtsextremen Parteien in Europa als zu vergangenheitsbelastet ausgegrenzt wird“. Heubner rief die Mehrheit auf, die Demokratie zu verteidigen.

In Thüringen

In Thüringen steigert sich die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD von Spitzenkandidat Björn Höcke nach dem vorläufigen Ergebnis auf 32,8 Prozent (2019: 23,4 Prozent). Die CDU landet bei 23,6 Prozent (21,7). Aus dem Stand schafft das BSW 15,8 Prozent – und lässt damit die Linke von Ministerpräsident Bodo Ramelow weit hinter sich, die dramatisch auf 13,1 abstürzt (31,0).

Starke Verluste verbuchen die Parteien der Berliner Ampel-Regierung: Die SPD verzeichnet mit 6,1 Prozent (8,2) ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit Gründung der Bundesrepublik. Die Grünen scheiden mit 3,2 (5,2) aus dem Parlament aus, ebenso die FDP mit 1,1 Prozent (5,0).

Die AfD bleibt bei der neuen Regierung bisher außen vor, denn die übrigen Parteien schließen eine Koalition aus. Trotzdem sieht Thüringens AfD-Chef Höcke den Regierungsauftrag bei seiner Partei. Er wolle mit den anderen Parteien über Koalitionen ins Gespräch kommen, sagte der 52-Jährige. Er verpasste ein Direktmandat in seinem Wahlkreis in Ostthüringen. Per Landesliste kommt er aber ins Parlament.

Mit mehr als einem Drittel der Mandate verfügt die AfD über eine sogenannte Sperrminorität im Landtag: Entscheidungen und Wahlen, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, müssten ihre Zustimmung finden. So werden etwa die Verfassungsrichter vom Parlament damit gewählt.

In Sachsen

In Sachsen steht die CDU nach dem vorläufigen Ergebnis bei 31,9 Prozent (2019: 32,1 Prozent). Die AfD liegt nur wenig dahinter mit 30,6 Prozent (27,5). Das BSW, eine Abspaltung von der Linken, erreicht aus dem Stand 11,8 Prozent. Die SPD liegt bei 7,3 Prozent (7,7).

Die Linke erreicht 4,5 Prozent – und kommt damit auf weniger als die Hälfte des Stimmenanteils von vor fünf Jahren (10,4). Sie erringt zwei Direktmandate in Leipzig und ist deswegen im Landtag vertreten, obwohl sie unter der Fünf-Prozent-Hürde liegt.

Die Grünen schaffen es mit 5,1 Prozent (8,6) knapp ins Parlament. Auch die Freien Wähler, die 2,3 Prozent erzielten, sind mit einem Abgeordneten im Parlament, der ein Direktmandat errang. Die FDP verpasst den Einzug – wie schon bei den vergangenen zwei Landtagswahlen.

Foto: DesignRage, Shutterstock

Die Ampel verliert

Für die Ampel-Koalition in Berlin sind die Zahlen ein Desaster: Für die SPD sind es die beiden schlechtesten Landtagswahlergebnisse in der Nachkriegsgeschichte. Die FDP ist in keinem der beiden Landtage vertreten. Die Grünen erleiden in beiden Ländern deutliche Verluste.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert kündigte eine stärkere Profilierung der Sozialdemokraten an. Es gehe darum, „sich stärker zu emanzipieren“. Man wolle sich „nicht mehr auf der Nase herumtanzen lassen von anderen, die krachend aus den Landtagen jetzt rausgewählt worden sind»“ sagte er mit Blick auf Auseinandersetzungen mit FDP und Grünen in der Ampel-Koalition im Bund.

Aus Sicht von Grünen-Chef Omid Nouripour ist der Streit ein Grund für das schlechte Abschneiden der Ampel-Parteien. Man müsse sich «an die eigene Nase fassen».

FDP-Chef Christian Lindner schrieb auf der Plattform X: „Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen schmerzen. Aber niemand soll sich täuschen, denn wir geben unseren Kampf für liberale Werte nicht auf.“

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Foto: Deutscher Bundestag / Thomas Köhler / photothek

Auch die Union ist in Erklärungsnot

CDU-Landeschef Mario Voigt wollte sich noch nicht festlegen, ob eine von ihm geführte Regierung sich von der Linken tolerieren lassen würde. Er kündigte zunächst an, auf die SPD zugehen zu wollen und auch zum BSW «gesprächsoffen» zu sein.

Vor allem CDU-Politiker stören sich allerdings daran, dass Wagenknecht Mitglied der DDR-Staatspartei SED war und später eine führende Figur der kommunistischen Plattform in der Linken. Eine Koalition wäre jedoch möglich, denn nach einem Unvereinbarkeitsbeschluss darf die CDU weder mit der AfD noch mit der Linken koalieren – das BSW ist aber nicht davon erfasst.

Tuisa Hilft - Kurban

In der CDU muss die schwierige Frage beantwortet werden, ob und wie es eine Zusammenarbeit mit BSW und Linken geben kann. Parteichef Friedrich Merz hatte eine Kooperation mit dem BSW zunächst strikt abgelehnt. Nach Protest der Wahlkämpfer im Osten rückte Merz davon ab und erklärte die Frage zur Sache der Landespolitiker.

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