Philippinen: Mit selbstloser Hilfsbereitschaft den Wiederaufbau meistern

Ausgabe 225

Simone Walter, Nothilfekoordinatorin bei Islamic Relief Deutschland, war vom 26. Januar bis 04. Februar auf den Philippinen, die der Taifun Haiyan (Yolanda) vom 02. bis 11. November 2013 heimgesucht hatte. Ziel der Reise war es, die Lage vor Ort und den Bedarf an Nothilfe festzustellen sowie den Fortschritt der von Islamic Relief initiierten Projekte zu beobachten.

Islamische Zeitung: Frau Walter, was waren Ihre Stationen auf der Reise?

Simone Walter: Als ich auf der Insel Cebu angekommen war, fuhr ich erst einmal ins Islamic Relief-Büro. Dieses wird gerade aufgrund des Taifuns neu aufgebaut. Dort habe ich das Islamic Relief-Team kennengelernt – und bin begeistert von dessen bedingungslosem, passionierten Einsatz! Sie arbeiten sieben Tage die Woche und setzen sich dafür ein, dass es den Betroffenen des Taifuns besser geht. Von Cebu sind wir dann zwei Stunden mit dem Auto gefahren und dann etwa eine halbe Stunde mit der Fähre übergesetzt, bis wir auf der Insel Bantayan angelangt waren, die vom Taifun stark betroffen ist.

Islamische Zeitung: Wie trägt Islamic Relief zur Nothilfe bei?

Simone Walter: Islamic Relief Worldwide beteiligte sich an der Nothilfe vor Ort durch die Verteilung von Zelten und Essenspaketen. Momentan steht der Wiederaufbau im Vordergrund. An diesem beteiligt sich Islamic Relief, indem sie bis Ende April 2014 270 neue Häuser aufbaut. Dieses Projekt wird finanziert vom Disasters Emergency Committee (DEC) in Großbritannien. Um die Häuser entsprechend den Bedürfnissen der Bewohner anzupassen, wurde nun vorerst ein Modellhaus zur Ansicht gebaut. Der Bau der Häuser ist eine echte Herausforderung, da es nicht sehr viele Handwerker gibt. Derzeit kommen mitunter Firmen von weit her, um den zügigen Aufbau der Häuser zu gewährleisten.

Islamische Zeitung: Was ist das Ziel der Maßnahmen von Islamic Relief?

Simone Walter: Islamic Relief möchte langfristig zur Diversifizierung der Lebensgrundlagen beitragen, um die Gemeinden resistenter gegenüber Katastrophen zu machen und auch im Falle des Falles ein stabiles Einkommen zu gewährleisten. Wenn eine Berufssparte – etwa die Fischerei – wegen einer Flut wegfällt, gibt es dann noch andere Tätigkeiten, welche die Bewohner über Wasser halten können. Islamic Relief Deutschland plant mit Unterstützung von Aktion Deutschland Hilft (ADH) ein Livelihood-Projekt (Maßnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts) mit verschiedenen Komponenten wie Trainings, Cash-for-Work-Projekten, Katastrophenvorbeugung und Fischerei. Die lokalen Regierungen haben bereits durchdacht, welche Schulungen für die Einwohner wichtig wären, um bessere Einkommensmöglichkeiten zu erhalten – etwa für die Arbeit im Hotelgewerbe, als Kosmetikerinnen, als Handwerker oder mit Gemüseanbau.

Islamische Zeitung: Können Sie den Prozess eines solchen Modellhausbaus beschreiben?

Simone Walter: Islamic Relief hat erst einmal Kontakt zur Provinzregierung aufgenommen und dort unser Anliegen vorgetragen. Wir haben uns vom Bürger­meister in allen Fragen beraten lassen. Der Bürgermeister, der Entwicklungsbeauftragte und auch die Einwohner haben sich dann das Modellhaus angeschaut und uns Feedback gegeben. Die Neubauten werden nicht auf einzelne Dörfer verteilt, sondern an mehreren Orten als kleine Siedlungen gebaut. So besteht die Möglichkeit, dass zeitnah Wasser- und Stromanschlüsse gelegt werden können, was eine enorme Verbesserung zur Situation der Ortschaften vor dem Taifun ist. Langfristig soll die gesamte Bevölkerung von der Risikozone in sicheres Gebiet im Landesinneren in neue Häuser umgesiedelt werden. Was mich sehr beeindruckt hat: Der Mitarbeiter von Islamic Relief, Munir aus Bangladesch, der das Projekt Hausbau anleitet, hat ein gerade neun Monate altes Baby. Aber er ist hierher gekommen, um zu helfen und ist mit vollem Einsatz dabei. Er vermisst seine Familie, aber für ihn ist es keine Frage: Er baut erst die Häuser zu Ende und fährt dann nach Hause. Was für ein engagierter Mensch! Hinzu kommt, dass er wenig Englisch spricht, ebenso wenig wie die Hand­werker. Sie unterhalten sich wirklich mit Händen und Füßen. Und es funktioniert!

Islamische Zeitung: Wie werden die Begünstigten ausgewählt?

Simone Walter: Die neuen Häuser werden nach strengen Kriterien vergeben – es werden die verwundbarsten aus den Gemeinden ausgewählt, die ein neues Heim am dringendsten benötigen. Für die Einwohner ist dies manchmal schwierig zu verstehen. Die Herausforderung für uns besteht auch darin, die Ärmsten in die neuen Häuser umzusiedeln, ohne ihnen ihr gewohntes Lebensumfeld völlig zu entziehen. Einige der Bewohner tun sich wirklich schwer, denn sie sind bereits seit Generationen Fischer und leben dementsprechend in der Nähe des Meeres. Sie kennen nichts anderes als ihre Hütte am Wasser, und auch wenn der neue Lebensraum nicht weit entfernt ist – weg möchten sie nicht. Auf der anderen Seite wünschen die Bewohner sich ein starkes, festes Haus, was gegen Wellen geschützt ist. Islamische Zeitung: Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Simone Walter: Die Kultur der selbstlosen Hilfsbereitschaft, die es unter den Bewohnern überall zu sehen gibt! Das ist wirklich toll. Sie packen an, wo es nur geht. Sie leisten sehr viel Freiwilligenarbeit, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, stehen auf unsere Fragen stets Rede und Antwort. Und als wir sie besucht haben, haben sie uns stets mit einem Lächeln und einem „Danke“ verabschiedet. Für diese Art der Hilfsbereitschaft haben sie sogar einen Begriff: Bayanihan. Dies bedeutet so viel wie „gemeinsame Unter­nehmung“. Beeindruckend war für mich auch die Abstimmung der Hilfsorganisationen untereinander. Die Hilfe überschneidet sich glücklicherweise nicht, sondern ist gut verteilt.

Islamische Zeitung: Vielen Dank, liebe Simone Walter! (Interview von Tasnim el-Naggar)

Mehr zur Arbeit von Islamic Relief vor Ort erfahren Sie unter islamicrelief.de/notfall/nothilfe-fuer-philippinen