Anmerkungen zum muslimisch-akademischen Heiratsmarkt

Ausgabe 225

Ich muss eingestehen: Ich bin an das Thema muslimisch-akademischer Heiratsmarkt zwar sehr kritisch, an die Lösungen aber anscheinend zu idealistisch herangegangen. Es muss doch eine systematische, größere Lösung geben für die vielen muslimischen Sing­le-AkademikerInnen, die man innerhalb eines Projektes angehen kann. Ich war damit nicht die einzige: Zusammen mit ein paar FreundInnen entwarfen wir ein System, bei dem wir ausgewählte Singles interviewten, in eine interne Datenbank einpflegten und dann, ganz klassisch, verkuppeln wollten. Allerdings kann man zwei Menschen, von denen man mindestens eine nicht persönlich kennt, schlecht miteinander bekanntmachen. Hinzu kommt, dass es ein großer Zeit- und Organisationsaufwand ist, bei dem Arbeitsteilung und Management nicht so einfach zu strukturieren sind.

Wenn ich Menschen privat verkupple, klappt es meistens viel besser. Ich kann nicht recht in Worte fassen, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Ich agiere hauptsächlich intuitiv und es funktioniert relativ zufriedenstellend. Ein Patentrezept, mit der man mehr Menschen errei­chen kann, aber dennoch dem einzelnen Menschen gerecht wird, habe ich bislang noch nicht entdeckt.

Das hat mich am Traum der größeren Lösung zweifeln lassen. Für mich gibt es derzeit folgende Mittel, von denen ich weiß, dass sie funktionieren können: Verheiratete Paare sollten sich bewusst dem Thema widmen und Verantwortung übernehmen.

Warum Verheiratete?
Erstens: Sie haben häufig zusammen ein größeres Netzwerk und einen guten Zugang zu Single -Männern und -Frauen. Zweitens: Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, die zum Beispiel bei einem Single-Mann entstehen könnten, der eine Single-Frau nicht für sich, sondern für seinen Freund anspricht. Grundsätzlich denke ich, dass das jeder gut machen kann (eine meiner Single-Freundinnen ist beispielsweise fabelhaft darin), die Verantwortung sehe ich aber bei Verheirateten.

Viele Freunde und auch Bekannte erzählen mir, wie sich ihre verheirateten Freundinnen, die noch versprachen, unbedingt einen passenden Partner für eine Freundin finden zu wollen, sich nach der Heirat zurückzogen. Viele Paare wiederum, mit denen ich mich darüber unterhalte, stimmen zwar grundsätzlich zu, erklären aber, dass sie es bereits einmal versucht hätten. Doch weil es bei dem einen Mal daneben gelaufen sei, würden sie diese Verantwortung nicht mehr tragen wollen.

Ich finde, dieses Argument zieht nicht. Die Verantwortlichkeiten müssen von vornherein klar festgehalten werden: Wer vermittelt, der vermittelt. Man trägt weder die Verantwortung für den Erfolg, noch garantiert man die Vollkommenheit des vorgestellten potentiellen Partners. Die Vermittelten sollten sich bewusst sein, dass es ihre Aufgabe ist, gründlich über die Person zu recherchieren, sie kennenzulernen und einzuschätzen.

Dennoch kenne ich auch aus eigener Erfahrung, dass einen das schlechte Gewissen plagt, wenn eine Vermittlung misslingt. Doch letztlich kann man es nie mit Sicherheit wissen. Die Freundin in diesem Fall sagte mir übrigens, dass mich mein Gewissen nicht plagen braucht, da sie beide erwachsene Menschen seien. Das ist eine gesunde und reife Haltung, für die ich ihr sehr danke.

Es sollten Menschen vermittelt werden, welche die Reife und auch mal den Mum haben, ganz klar und deutlich ihren Vertrauenspersonen zu sagen, dass sie gerne heiraten möchten und bei eventuellen Schwierigkeiten keinen Sündenbock suchen. Das soll nicht heißen, dass man mit einem Plakat herumlaufen soll, aber es ist doch schon sehr auffällig, dass weder die Frauen noch die Männer ihren engsten Freunden gegenüber einen Heiratswunsch äußern können. Die Frauen werden als verzweifelt und die Männer als hormongesteuert abgestempelt, leider!

Was heißt es konkret?
Folgende Vorschläge sind keine Wundertechniken, die auf jede Situation passen. Entspannte und ungezwungene Gelegenheiten für das Kennenlernen schaffen: Freunde und Bekannte, von denen man glaubt, dass sie eventuell zueinander passen könnten, zum Beispiel zum Essen nach Hause einzuladen. Die Atmosphäre ist häufig gelockert, keiner muss sich verkaufen oder vermarkten, wie es manchmal in arrangierten Kennenlern-Gesprächen der Fall ist. Hinterher kann man die Gäste in einem privaten Gespräch individuell ansprechen und eventuell bei einer Anfrage (oder je nachdem für welchen nächsten Schritt man sich entscheidet) behilflich sein.

Orte und Räume für offene, vorurteilsfreie Gespräche und Austausch bieten: Offen und geeignete private Rahmen schaffen, in denen man sich über diese Themen unterhalten kann. So stellt sich manchmal heraus, dass jemand ohnehin nicht heiraten möchte oder einen ganz konkreten Menschen im Kopf hat (in diesem Fall kann man vielleicht ganz gezielt helfen). Diese Gespräche sind auch wichtig, um eventuelle Fantasien und überirdische Erwartungshaltungen zu besprechen und hoffentlich sogar gänzlich zu beseitigen. Dass das Kennenlernen eine schwierige Phase ist, in der man verletzlich ist und im Versuch sich zu schützen, gelegentlich selbst belanglose Kleinigkeiten zu unlösbaren Problemen aufgeblasen werden, sind vielleicht Selbstverständlichkeiten, so mag man glauben. Tatsächlich werden diese vermeintlichen Selbstverständlichkeiten aber nicht ausreichend angesprochen. Augen aufhalten. Immer: Dieser Punkt ist einerseits ein sehr praktischer, andererseits steht er stellvertretend für eine Mentalität. Führt eine Liste mit euch. Wenn ihr beschlossen habt, für spezifische Freunde einen Partner zu finden, dann haltet die Augen offen. Subtil könnt ihr in Erfahrung bringen, wer (noch) nach einem Partner sucht und ob die Person zu einem der FreundInnen auf der Liste passen könnte.

Haltet die Augen aber nicht nur an Orten auf, die neu sind und die eure FreundInnen auf der Liste nicht kennen, sondern auch an den altbekannten Orten mit altbekannten Freunden. Manchmal sitzt der perfekte Kandidat vor einem und man merkt es nicht. Da kann es helfen, wenn man als Vermittler die Initiative ergreift und einfach mal fragt: Was denkst du über x? Manchmal wird dann ein „Er/Sie doch nicht. Er/sie ist wie ein/e Bruder/Schwester für mich!“ ausgerufen. Auch das ist, wie alle anderen Punkte, die hier aufgeführt sind, situationsabhängig. Eventuell lohnt es sich, das Gespräch nicht gleich zu beenden, sondern zu erklären, warum man überhaupt gefragt hat.

Wenn man aufmerksam zuhört, wird man hoffentlich mit der Zeit wissen, wann es gut ist oder wann sich eine Nachfrage lohnt. Von der Offenheit, kann man in solchen Situationen profitieren, da so ausreichend Vertrauen und Sicherheit besteht.

Singles sollten sich lösen
Demet Özlem Arslan kommentierte auf der Webseite des Rates Muslimischer Studierender & Akademiker meinen Artikel über die Probleme auf dem muslimisch-akademischen Heiratsmarkt in Deutschland. In ihrem Artikel macht sie einen ganz konkreten Vorschlag: Das aktive Kennenlernen, beispielsweise auf Veranstaltungen der islamischen Hochschulgruppen an den Universitäten. Das ist ein wichtiger Punkt und Schritt, denn er gibt die Erwartung auf, von Freunden oder der Familie vermittelt zu werden.

Leider ist es so, dass in Moscheen, in Familien und selbst in Freundeskreisen nicht offen genug über das Kennenlernen und den Prozess an sich gesprochen wird. Gleichzeitig, so war es zu meiner Zeit, gab es ellenlange Vorträge über die Gefahren des Flirtens. Ich hatte damals als junges Mädchen aber weder eine Ahnung, was dieses Flirten (auf Türkisch „flört“, was sich in meinen Ohren eher nach einem Instrument anhörte) genau sein sollte, noch wusste ich, wie man auf eigene Faust einen Partner kennenlernen kann ohne den islamischen Rahmen zu verlassen und Gefahr zu laufen zu „flirten“.

Die Heiratslethargie
Die chronische Heiratslethargie junger Muslime hat viele Gründe. Ein solcher Grund ist der „Vermittlungsglaube“. So nenne ich die Erwartungshaltung, man würde schon irgendwie und irgendwann von einer Partnervermittlungsagentur in Form einer Schnattertante in der Moschee entdeckt und an den Traumpartner vermittelt werden. Die Schnattertanten hingegen sind ganz „modern“ geworden und wollen, dass sich die jungen Leute ihre Partner selber suchen.

Meine Freundin Hacer* will, dass ihre Eltern ihr potentielle Partner vorstellen. Sie hat „keine Lust auf den ganzen Stress“, ihre Eltern aber auch nicht. Die teilten ihr kürzlich mit, sie würden sich freuen, wenn Hacer sich selber den Partner suchen würde. (*Name geändert)

Ruveyda Cubukcu begründete die Heiratslethargie einiger Singles allerdings damit, dass einige muslimische Frauen es nicht mit ihrem islamischen Verständnis vereinbaren könnten, selber jemanden kennenzulernen und deshalb auf Vermittler besonders angewiesen seien: „Es gibt junge praktizierende Muslima, die während ihrer Schulzeit und der Uni nur eines im Kopf hatten: engagiert bleiben und erfolgreich werden, um später in der Gesellschaft angemessen zu agieren und moderat aufzutreten. Dabei steht der Gedanke ‘einen Mann kennenlernen’ außen vor, denn in ihrer islamischen Überzeugung werden keine Männer kontaktiert, mit der Absicht „vielleicht könnte aus uns etwas werden“. Sie vertrauen in dieser Sache voll und ganz ihren Eltern oder Anvertrauten, die wüssten, welcher Partner potenziell in Frage käme. Nun ist es leider so, dass nach dem Studium das Gedachte oft nicht so eintritt. Im Gegenteil, ihnen wird vorgeworfen, niemanden gefunden zu haben und letztendlich den nehmen sollen, der kommt oder sich selbst auf diese Suche machen. Doch die oben erwähnten Frauen, welche die Keuschheit sensibler definieren und das Verbot, sich Zina zu nähern sensibler angehen, wollen vehement den im vorherigen Absatz erwähnten Weg nicht gehen und präferieren, wie du es ebenfalls festgestellt hattest [Anmerkung: in einem vorherigen Text von Kübra Gümüsay zum Thema]. Denn Kinder- & Familienwunsch kann jede Frau haben, egal wie Karriereorientiert sie ist.“

Ich finde diesen Punkt wichtig, da er die Lebensrealitäten einiger Frauen beschreibt, die oft ignoriert werden. Allerdings zeigt uns das Beispiel von Khadijah (ra), der ersten Frau unseres Propheten (saw), dass auch Frauen selbstverständlich in diesen Fragen die Initiative ergreifen können. Was das „Daten“ angeht, ich würde es eher „das Kennenlernen“ nennen, gibt es selbstverständlich einen isla­mischen Rahmen.

Oft erlebe ich es, dass sich Frauen damit rühmen, ihren Partner problemlos mittels der Familie getroffen zu haben, also zuvor keinen anderen Mann mit Heiratsabsicht kennengelernt zu haben. Ich finde das aus vielerlei Gründen sehr problematisch: In erster Linie aber deshalb, weil es nichts ist, womit man sich rühmen kann. Man kann Dankbarkeit zeigen und Allah (cc) in Gebeten dafür danken, dass er einem diese schöne Möglichkeit geboten hat und vor einer langen Suche bewahrt hat – letztendlich ist es aber Schicksal. Nicht alle haben so viel Glück. Denn es hat kaum etwas mit Religiosität, Schönheit, Erfolg, Intelligenz oder Traditionsbewusstsein zu tun, dass es bei manchen einfach nicht klappt.

Zurück zur Heiratslethargie: In vielen Kreisen ist es leider verpönt, wenn man auf islamischen Veranstaltungen Interesse am anderen Geschlecht zeigt, die allgemeine niyah (Absicht) der betreffenden Personen wird hinterfragt. Ich plädiere für die goldene Mitte. Wer ein ernsthaftes Interesse daran hat, jemanden kennenzulernen, der soll das auch tun können – vor allem bei islamischen Veranstaltungen. Wo denn sonst? Welche Orte wären besser geeignet für gläubige und praktizierende Muslime, die einen Partner kennenlernen wollen, als in der Gemeinde selber?

Einende Leidenschaft
Ich finde besonders, die gemeinsame Arbeit kann zwei Menschen verbinden. Man lernt sich durch eine gemeinsame Leidenschaft kennen, die unabhängig von Aussehen, Status und Ethnie ist: Wer gemeinsam auf eine friedlichere, bessere, gesündere, … oder grünere Welt hinarbeitet, also die gleiche Dawa (Anrufung) im Leben hat, wird eine gesunde gemeinsame Basis für eine Ehe aufbauen können. Eine meiner Lieblingszitate hierbei ist von Antoine de Saint-Exupéry: „Lieben heißt nicht, sich in die Augen zu sehen, sondern gemeinsam in die gleiche Richtung zu blicken.“

Denn mit der Zeit wird die Aufregung weichen und man wird im Gesicht des Geliebten Fehler entdecken, Macken. Irgendwann wird man sich vielleicht an ihnen stören, bis man nur noch diese Fehler und Macken im Gesicht des ehemals Geliebten sieht. Wer gemeinsam in eine Richtung schaut, weiß um die Macken und Fehler des anderen, aber liebt die Person für so viel mehr: Für das, was das Herz liebt, wofür das Herz pocht.

Deshalb bleibt mir nur zu sagen: Traut euch, liebe Männer, gebildete und unerreichbar wirkende muslimische Frauen anzusprechen! Traut euch, liebe Frauen, gebildete muslimische Männer anzusprechen!

Die Abchecker-Nummer
Das Problem mit den schwammigen Abcheker-Anfragen beschrieb eine Freundin, die in muslimischen Hochschulvereinigungen sehr gut vernetzt ist: Wenn eine Absicht vorhanden ist, eine Frau näher kennenzulernen, dann sollte man das auch von Anfang an so kommunizieren und nicht Kontakt aufbauen, Lage abchecken, aber dann nie über die Absicht sprechen. Das ist nicht gut und zudem gefährlich, weil das Gegenüber mit der Zeit natürlich eine gewisse Erwartungshaltung hat und wenn nichts kommt, dann auch enttäuscht ist – in dieser Zeit sind womöglich bereits Gefühle entstanden. Vor allem viele Schwestern haben mir davon berichtet, wie Brüder mit ihnen Kontakt aufbauen und Smalltalk halten, ohne ihre Absichten klar zu kommu­nizieren. Das führt zu Enttäuschungen.

Natürlich gibt es auch hier kein Rezept für alle Situationen, generell gilt aber: Möglichst früh und klar kommunizieren, Absichten auf den Tisch legen. Falls es einem schwerfällt, dies persönlich und direkt zu tun, dann über gemeinsame Freunde und Bekannte.

Es mag vielleicht keine Vermittler in eurem Freundeskreis geben, aber gute FreundInnen, LeiterInnen in der Gemeinde, Imame und andere werden euch (hoffentlich) nicht den Wunsch ausschlagen, wenn ihr sie konkret darum bittet jemanden anzusprechen beziehungsweise vorzutasten, ob die Gegenseite die eigenen Gefühle erwidert.

Und was, wenn eine Frau auf einer Veranstaltung von einem Mann angesprochen wird? Ich hatte diesen Punkt bereits im letzten Text genannt, möchte ihn hier aber dringend wiederholen, da dieses Problem – so wie ich beobachten konnte – weiterhin sehr verbreitet ist: Eine Frau muss nicht „aus Prinzip“, Tradition oder sonst welchen Gründen einem Mann eine Abfuhr erteilen. Wenn sie ebenfalls Interesse an ihm hat, dann kann sie das kommunizieren. Es gibt hierfür etliche Wege. Aber wenn sie „Nein“ sagt, dann sollte sie als selbstständige, emanzipierte Frau nicht erwarten, dass er ihre erste Entscheidung ignorierend sie noch einmal fragt. Wer „Ja“ oder „Vielleicht“ meint, sollte nicht „Nein“ sagen. Denn wie kommen diese Frauen bitte auf die Idee, dass es einem Mann so einfach fallen würde, einen Antrag zu stellen und trotz Abweisung immer wieder nachzufragen? Zudem: Wer „Nein“ sagt, wenn er „Ja“ meint, fügt sich dem Klischee, Frauen meinten eigentlich „Ja“, wenn sie „Nein“ sagten. Nein ist nein. Ja ist ja. Vielleicht ist vielleicht. „Mal sehen“ ist „Mal sehen.“ Die Empörung! Wir sind unerreichbar…

Ich gebe zu, auch ich habe einige Male empört reagiert, als es jemand „wagte“, mich anzusprechen. Hinterher taten mir diese Herren sehr Leid. Ich hatte damals die irrationale Erwartung, dass derjenige, der mich ansprechen möchte, bitte zuerst meinen Vater fragen soll. Das soll nicht heißen, dass man die Eltern aus dem Prozess ausschließen soll. Auch hierfür gibt es keine Grundregel. Grundsätzlich würde ich aber sagen: Möglichst von Anfang an offen kommunizieren und – wenn einem die Familie wirklich wichtig ist – sie einbeziehen. Oft habe ich beobachtet, dass Eltern sehr viel liberaler waren als ihre Kinder anfangs annahmen.

Also: Wenn man eine Anfrage interessant findet, dann soll man auch ehrlich mit sich sein und sich Gedanken darüber machen.

Das Dilemma der Geschiedenen
Ein weiteres Thema, das zu kurz kommt, ist – wie eine geschiedene Freundin kommentierte – „das Dilemma der Geschiedenen.“ Sie hat es sehr schön beschrieben, deshalb möchte ich sie hier zitieren: „In meinem Freundeskreis gibt es 4 geschiedene junge Akademikerinnen, die gerne wieder heiraten würden, weil sie an die Institution Ehe glauben. Doch die gesellschaftlichen Normen hindern so manchen Mann daran, auch nur an die Idee zu denken, eine geschiedene Frau zu heiraten. Ich mag mich verbittert anhören, aber es ist wirklich traurig, dass die Gesellschaft solche Frauen wie Aussätzige behandelt. Kränkungen erlebt man häufig von Frauen, die einem erklären wollen, dass sie einen ja gerne „vermitteln“ wollten, es aber sehr schwer sei, einen Mann davon zu überzeugen, eine geschiedene Frau kennen zu lernen. Wenn es denn zu einer Vermittlung kommt, dann ist es oftmals mit einem Mann, der geschieden/verwitwet ist, Kinder hat und womöglich viel älter als man selbst ist. Wo bleibt da das Wissen und die Praxis der Sunna?!“

Auch ich habe es oft mitbekommen, wie geschiedene Frauen als Heiratsmaterial „zweiter Klasse“ gehandelt werden. Angesichts der Tatsache, dass Khadijah (ra), die erste Frau unseres Propheten (saw), nicht nur 15 Jahre älter war als er, sondern zuvor bereits zwei Mal verheiratet gewesen ist, erscheint einem diese Einstellung besonders bedrückend und unverständlich.

Abschließend, vorerst.
Es wird vermutlich noch eine Weile dauern, bis ich auf ein Projekt stoßen werde, dass das Problem in größerem Maße lösen könnte. Die Verantwortungen der Vermittlung müssen in jedem Fall größere Teile der Gesellschaft tragen: Nicht nur vereinzelte Schnattertanten oder Eltern, denen die Kontakte im Interessengebiet ihrer Kinder fehlen, sondern idealer Weise alle Verheirateten. Wenn jedes Paar mindestens zwei andere Paare vermitteln würde, wären wir einen großen Schritt weiter. Wir müssen offen über dieses Thema sprechen. Dabei sollte es nicht primär darum gehen, welches Geschlecht, welche Generation oder Gruppe die Schuld trägt, welche Analyse das Problem besser trifft oder wer hier das Opfer ist, sondern wie man das Problem lösen kann. Ich würde mich über konkrete Vorschläge freuen, Überlegungen und Thesen, wie man mit diesem Problem umgehen kann.

Vorerst kann ich deshalb nur zu Mut aufrufen: Mut zu vermitteln. Mut anzusprechen. Mut realistisch zu sein. Mut sich selbst nicht zu fragen „Welche Frau/Welcher Mann kann mich glücklich machen?“ sondern: „Mit wem kann ich mir ein glückliches Leben aufbauen?“ Mut offen zu sein. Mut, die Dinge auszusprechen. Mut die Schönheit in jenen zu sehen, die man bisher übersah. Mut mit jemandem gemeinsam in eine Richtung zu blicken.

Und Mut für das zu beten, was khair ist. Was immer es dann letztlich auch sein mag.