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Islam in der Moderne (3)

Ausgabe 294

Foto: Zeno.org

„Eine Weise, in welcher Metaphysik erscheint, liegt in der Unterscheidung zwischen dem Überweltlichen und Innewohnenden, dem Ideal und dem Existenziellen.“

(iz). Bisher haben wir uns mit diesen Fragen beschäftigt: Gibt es einen Islam oder mehrere? Wenn es sich um einen handelt, wer und was definiert ihn? Wenn es verschiedene gibt, sind sie trotz ihrer Unterschiede gleichermaßen gültig? Heißt das, es gibt ein Wesen des Islam, das verschiedene historische Ausdrücke findet? Oder ist diese Art des hellenistischen Denkens ein abgenutzter, westlicher Import?

Die Muslime haben immer definiert, was es heißt, Muslim zu sein. Und die Antwort darauf findet sich im Qur’an und in der Sunna, der prophetischen Lebensweise. Jene Quellen aber kommen nicht mit einer eigenen, vollkommenen Erklärung. Um zu dieser zu kommen, begann die islamische Theologie recht früh mit der Übernahme des griechischen Denkens. Und dieser Einfluss hält bis heute an. Aber diese, rationale und logische, ­Denkweise schien im Laufe der Zeit mehr Probleme zu schaffen, als zu lösen. Das hat bei einigen modernen Philosophen und ­Denkern zum Misstrauen gegenüber Metaphysik, der Trennung des „Seins“ in das ­Physische und Metaphysische, geführt. Ändern sich heute die Denkweisen, die radikale neue Perspektiven dafür eröffnen, wie wir die Vergangenheit verstehen und auf welche Zukunft wir hoffen können?

Dieses Essay bezieht sich immer wieder auch auf Tayobs Text „Dialectical Theology in the Search for Modern Islam“ (Dialektische Theologie auf der Suche nach modernem Islam) der uns immer wieder vor interessanten Fragen stellt. Kann es – hypothetisch gefragt – der Fall sein, dass die „Idee“ des Islam auf der Suche nach einer modernen Identität das eigentliche Problem ist?

Eine Weise, in welcher Metaphysik erscheint, liegt in der Unterscheidung zwischen dem Überweltlichen und Innewohnenden, dem Ideal und dem Existenziellen. In modernen Gesellschaften neigen wir dazu, unsere ­Aufmerksamkeit auf die alltägliche, gelebte Erfahrung zu richten, anstatt auf große Ideen über die Natur der Wirklichkeit. Dieser Unterschied kann als einer zwischen dem Überweltlichen und dem Diesseitigen gedacht werden. Die Fokussierung auf das Immanente ist nichts rein Modernes, obwohl Foucault in seinem Essay, in dem er Kants „Was ist Aufklärung?“ kritisiert, und darauf hinweist, dass es etwas gesondert Modernes gibt: „Modernität ist kein Phänomen der Empfindlichkeit für den flüchtigen Augenblick. Sie ist der Wille zur ‘Heroisierung’ der Gegenwart.“ Mit anderen Worten, die Erhöhung des Augenblicks auf eine bewusst bedeutendere Rolle, als es in früheren Kulturen der Fall war. Hier mögen die Leute dazu tendiert haben, im „Augenblick zu leben“. Man könnte das als modernen Existenzialismus in einer romantischen Variante verstehen, der auch in der Hyperrealität des modernen Konsumkapitalismus verstanden wird.

Ein Punkt, den Tayob von Grunebaum und Gibb überliefert, besteht darin, dass die heutigen Muslime einer gewissen Nostalgie für den transzendentalen Islam einer einge­bildeten Vergangenheit anhängen, die im Widerspruch „zur immanentistischen Stimmung der Modernität“ steht. Eine interessante Art und Weise, auf der sich das zeigt, ist die Schwierigkeit muslimischer Intellektueller zu verstehen, welche Rolle Islam im Zeitalter des säkularen Nationalstaates spielen soll. Daher hat Wael bin Hallaqs Buch „The Impossible State (Der unmögliche Staat)“ solch einen Eindruck hinterlassen. Islam scheint viel mehr in einer dezentralisierten, gemeinschaftlichen politischen Umgebung daheim zu sein.

Man muss dies nicht als einen Konflikt zwischen Tradition (konservative, nostalgisch) und Moderne (erfinderisch, vorwärtsweisend) konstruieren, in dem man eine Seite entsprechend persönlicher Vorlieben auswählen kann. Während der offenkundige moderne Konsens zunehmend Zeichen des Scheiterns an den Tag legt, wird klar, dass er überhaupt gar keiner war. So wie Ghandi gesagt haben soll, als er nach seiner Meinung über westliche Zivilisation befragt wurde: „Sie wäre eine gute Idee.“

Vielleicht zeigt uns die historische Erfahrung etwas anderes: Muslime haben das Ideal des Islam immer an die jeweiligen Umstände ­angepasst – und dies mit großem Erfolg. ­Inwieweit ist dies ein tragfähiges Projekt in unserer späten Neuzeit? In dieser Hinsicht scheint es drei Möglichkeiten zu geben, wie Muslime auf die Herausforderung der Moderne reagieren: extremistische, konservative und pragmatische Anpassung.