IZ vor Ort: Organisieren sich jugendliche Muslime im organisierten Islam, oder fühlen sie sich alleingelassen?

Ausgabe 238

(iz). Noch nie wurde über die muslimischen Verbände so viel geredet wie jetzt, wenn ich das mit meinen jungen Jahren so behaupten darf. Einerseits liegt es gewiss an Aiman Mazyeks geschickter Medienpräsenz und der damit verbundenen Steigerung des Bekanntheitsgrades des Zentralrats der Muslime (ZMD). Aber auch die DITIB scheint mittlerweile erhöhten Wert auf Pressearbeit zu legen und die IGMG organisiert die eine oder andere öffentliche Aktion zusätzlich.

In den letzten Jahren entstanden immer mehr unabhängige Netzwerke und Zusammenschlüsse von jungen Muslimen, die sich außerhalb der vier großen Verbände gefunden haben. Die Entwicklung schien wie ein Weckruf für die mitunter eingerosteten Strukturen. Viele Moscheen entwickelten Konzepte für eine realitätsentsprechende Jugendarbeit. Das Umdenken trägt vielerorts positive Früchte, trotzdem wachsen unabhängige Netzwerke und es entstehen neue.

Es lohnt sich, jungen Muslimen zuzuhören. Wie wirkt die Arbeit der Verbände auf sie? Ich sprach dafür mit sieben Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus verschiedenen Teilen Deutschlands. Die Erfahrungswerte sind erstaunlich unterschiedlich, offenbaren allerdings zumeist die gleichen Wünsche.

Kerem ist ein 18-jähriger Schüler aus Stuttgart und besucht 1-2 Mal die Woche eine DITIB-Moschee in seiner Nähe. Für ihn zähle nicht etwa nur das Angebot, sondern auch die Ästhetik des Gebetsraumes. „In manchen Moscheen fühlt man sich schon fast ein bisschen unwohl, wenn da ein Teppich komisch riecht, oder die Wände schmutzig sind“, erklärt er und sieht die Ursache der Sauberkeit seiner Moschee bei der DITIB. „Die geben sich eben Mühe.“ Eine funktionierende Jugendgruppe habe seine Moschee nicht. In unregelmäßigen Abständen gebe es Veranstaltungen, die ihn aber auch meistens nicht überzeugen würden. Er würde sich gerne einbringen in der Gemeinde, sieht im bestehenden Angebot derzeit aber keine Motivation. Dass es in den letzten Wochen Reibereien zwischen den Verbänden gegeben haben soll, habe er mitbekommen. Nur wisse er nicht ganz genau, wer Aiman Mazyek ist und die Veranstaltungen, wegen denen es offenbar Unstimmigkeiten gab, habe er auch nicht gekannt. „Ich will nicht wissen, was woanders gemacht wird. Hauptsache wir haben hier auch mehr Aktivitäten.“

Hassan aus Düsseldorf sieht das anders. Seine lokale Gemeinde ist in keinem Verband organisiert. Eine „typische marokkanische Moschee in NRW“, nennt er sie. Er würde sich wünschen, dass Verbandsvertreter eine gemeinsame Stimme haben, um die Muslime nach außen besser zu vertreten. Es sei für ihn ein Fortschritt, dass mittlerweile auch die größeren muslimischen Vereine beachtet werden und es nicht nur Randgruppen seien, die polarisieren. Der 25-jährige Inhaber eines Handyshops sieht sehr viel Verbesserungsbedarf in der Vernetzung der muslimischen Eliten. „Ich kenne hier Jungs, die sind rhetorisch fit, oder kommen aus guten Studien und Ausbildungen, aber sie bleiben nur in der Gegend, weil jeder für sich sein will“, sagt er. Dass es den Koordinationsrat der Muslime gäbe, habe er mal gehört, aber er glaube nicht, dass „die irgendwas erreichen.“

Weitaus entspannter ist Leila aus ­Berlin. Die Jura-Studentin ist aktiv in ihrer Gemeinde und mit deren Wirken zufrieden. Was Verbandsfunktionäre planen und tun, interessiere sie nicht. Es gebe genug Arbeit in der eigenen Umgebung, Pressearbeit müsse sekundäre Priorität bleiben. Fernsehen würde sie ohnehin nicht und „wer die Hetzblätter für voll nimmt, sollte eh seinen Verstand hinterfragen“. Überhaupt sehe sie zu wenige Frauen in den Vorständen. „Für mich ist das kein Thema, ich warte da auf keinen von denen“, sagt sie entschlossen. Dass nun über Dritte herauskommt, dass es intern „so eigensinnige Konflikte“ gibt, empfindet Leila als „peinlich“.

Auch ihr Stadtgenosse Burak blickt skeptisch nach oben. Der gebürtige Berliner sei, seit er denken kann, in seiner vertrauten Milli Görüs-Moschee dabei. Angefangen beim Qur’anunterricht für Kinder, bis hin zur Jugendarbeit. Vertreten fühle er sich von niemandem. Die IGMG bekäme allgemein auch keine Aufmerksamkeit, oder Zugang zu Diskussionen, prangert er an. Seine Türkischkenntnisse sind gut. Die Frage, ob sie gut genug seien, um Literatur wie Said Nursi im Original zu lesen, wird bescheiden verneint. Burak wünscht sich auch von der IGMG mehr Bezug zur deutschen Sprache. „Aber in dem Bereich machen wir ja jetzt auch immer mehr und das ist erst der Anfang“, ermutigt er sich selbst.

Sarah ist Schülerin in Hamburg. Dieses Jahr macht sie ihr Abitur und möchte danach auf Lehramt studieren. Sie ist seit vier Jahren Muslima und entschied sich für die Bedeckung ihrer Haare. Das neue Urteil, wonach ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen nicht vereinbar mit dem Grundgesetz sei, begrüßt sie begeistert. „Aber das ist nicht der Erfolg der Verbände gewesen, das muss klar sein“, beginnt sie. Da haben muslimische Frauen mit geringen Mitteln allein gekämpft, obwohl die Verbände sie hätten unterstützen können. Dennoch freut sie sich über die neugewonnene Motivation der Verbände, verstärkt Öffentlichkeitsarbeit zu leisten. „Lieber sehe ich da Herrn Mazyek sprechen als Pierre Vogel oder Lamya Kaddor“, erklärt sie. Ihr fehle aber klar die Präsenz deutschstämmiger Muslime in der Öffentlichkeit. „Wir werden nirgendwo richtig eingegliedert. Immer nur bewundert, aber nie wirklich aufgenommen.“ Für sie sei jedoch ein positiver Wandel erkennbar.

„Aiman Mazyek schafft das, was Muslime in den letzten 30 Jahren hätten schaffen müssen und deshalb entsteht viel Neid. Klar, man kann ihm vorwerfen, in Eigeninteresse zu handeln, aber das ist immer noch mehr, als andere tun. Er knüpft wertvolle Kontakte und ist omnipräsent. Das bringt Muslimen eine differenzierte Aufmerksamkeit und dann wiederum kann ja jeder nach eigenem Ermessen etwas daraus machen.“ Die Worte Alis aus München sind klar. Der Student steht kurz vor seinem Bachelor-Abschluss in Maschinenbau. In einer Gemeinde ist er nicht aktiv. Er verfolge täglich das Geschehen rund um die Fragen der muslimischen Öffentlichkeit. „Bei uns will immer jeder den anderen sabotieren, wenn er zu viel Erfolg hat“, meint er. Der Vorsitzender des ZMD leiste Pionierarbeit und habe Vorbildcharakter. „Ja, vieles kommt gar nicht von ihm selbst. Ich habe das schon meistens davor genau so in der ‘Islamischen Zeitung’ gelesen, oder von Predigern gehört. Aber das zeigt doch, wie schlau er ist, wenn er sich das Klügste raussucht.“ Die kleinen Konflikte sieht er nur als kurzlebiges ­Hindernis.

Das muslimische Verbandsleben beginnt und endet meistens in Köln oder Berlin. Wieder in der Hauptstadt erreicht uns auch die letzte Stimme. Jakob ist seit 12 Jahren Muslim. Mit 13 Jahren habe er mit seiner Schulklasse eine Moschee besucht und sich dann entschieden, den Islam anzunehmen. Er beobachtet die Entwicklungen interessiert, steigert sich aber nicht zu sehr rein. „Es hat nicht viel Einfluss auf mich als Muslim, eigentlich gar keinen. Politik kann getrost Politik bleiben, das muss auch jemand machen.“

Die Jugend denkt verschieden. Und die Verbände handeln verschieden. Einig sind sich alle darin, dass es positive Entwicklungen gibt. Außerdem zeigt sich durchgängig der Wunsch nach Dezentralisierung. Allen ist bewusst, dass die Arbeit vor Ort beginnt.

Abschließende Worte von Sarah: „Ich wünsche den Verbänden viel Erfolg, wir können nur davon profitieren und man darf nie vergessen, was sie geleistet haben. Sie werden es schon schaffen, die Streitigkeiten hinter sich zu lassen. Sie müssen es – wir verlassen uns darauf.“