Mubarak 2.0 – mit deutscher Hilfe?

BERLIN/KAIRO (GFP.com). In Ägypten kündigen sich nach ersten Demonstrationen in den letzten Wochen erneute Massenproteste gegen die von Berlin unterstützte Regierung an. Die dramatisch zunehmende Armut sowie die grassierende Korruption hatten am vergangenen Freitag erstmals seit dem Militärputsch vom Juli 2013 jeweils hunderte Menschen in diversen ägyptischen Städten zu Kundgebungen auf die Straße getrieben.

Kairo versucht nun, weitere Proteste mit Gewalt zu unterbinden und leitet dazu erste Massenfestnahmen ein. Ägyptens Repressionsapparate sind für brutale Folter sowie für das Verschwindenlassen missliebiger Personen berüchtigt. Sie werden seit Jahren von Berlin sowie der EU unterstützt – gewöhnlich im Namen der Flüchtlingsabwehr. So trainieren deutsche Polizisten ihre ägyptischen Kollegen und statten sie mit Gerät aller Art aus. Ägyptische Geheimdienste kooperieren eng mit deutschen Stellen. Berliner Regierungsberater warnen seit Monaten, die deutsche Beihilfe für Ägyptens Repression könne dazu beitragen, das Land in den Kollaps zu treiben.

Massenarmut und Korruption
Mit Demonstrationen in mehreren Städten ist es am vergangenen Freitag in Ägypten zum ersten Mal seit dem Militärputsch vom 3. Juli 2013 zu größeren Protesten gekommen. Unter anderem in Alexandria, Suez oder der für Arbeiterproteste bekannten Industriestadt Mahalla el Kubra gingen jeweils einige hundert Menschen auf die Straßen, um den Rücktritt von Präsident Abd al Fattah al Sisi zu fordern. Hintergrund ist zum einen die dramatisch zunehmende Armut. So leben laut offiziellen Angaben der Regierung zur Zeit 33 Prozent der rund 100 Millionen Ägypter unterhalb der Armutsgrenze; 2015 waren es noch 28 Prozent gewesen.

Die Angaben gelten jedoch als zu niedrig; die Weltbank etwa ging im April dieses Jahres davon aus, gut 66 Millionen Ägypter seien arm oder zumindest armutsgefährdet. Die Streichung von Subventionen sowie ein deutlicher Anstieg der Preise für Treibstoff und Grundnahrungsmittel haben den Unmut zuletzt massiv geschürt. Hinzu kommt verbreitete Wut über die grassierende Korruption. Laut Berichten sind bei den Protesten am vergangenen Freitag verarmte junge Männer besonders stark präsent gewesen; Beobachter sprechen von einer möglichen neuen Protestgeneration nach derjenigen aus dem Jahr 2011. Für den morgigen Freitag sind weitere Demonstrationen angekündigt.

Brutale Repression
Bislang hatte die brutale Gewalt, mit der die Regierung unter Präsident Al Sisi seit 2013 jegliche Opposition niederhält, größere Proteste verhindert – trotz wachsenden Unmuts in der Bevölkerung. „Jeder, der Kritik äußert, wird festgenommen“, konstatiert etwa Stephan Roll, Ägypten-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): „Folter und Polizeiwillkür sind an der Tagesordnung. Tatsächlich wurden nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen seit dem Militärputsch im Juli 2013 rund 60.000 Personen aus politischen Gründen inhaftiert; Hunderte sind in politisch motivierten Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt worden.

Allein von Juli 2013 bis August 2018 verschwanden über 1.500 Menschen aus staatlichem Gewahrsam; ihr Schicksal ist unbekannt. Der Tod des 28-jährigen italienischen Journalisten Giulio Regeni, der am 3. Februar 2016 in Kairo ermordet aufgefunden wurde, ist immer noch nicht aufgeklärt; seine Leiche trug Spuren von Folter, wie sie als typisch für die ägyptischen Repressionskräfte gelten. Auch nach dem Aufflackern der Proteste am vergangenen Freitag reagiert die Regierung in Kairo mit Gewalt: Menschenrechtler aus Ägypten berichten von Massenfestnahmen; das Egyptian Centre for Economic and Social Rights hat bereits mehr als 600 Fälle dokumentiert. Viele von ihnen haben demnach mit Anklagen wegen angeblicher Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation zu rechnen.

Empfang in Berlin
Berlin unterstützt die Regierung von Präsident Al Sisi systematisch – und dies schon seit Jahren. Kanzlerin Angela Merkel empfing den ägyptischen Machthaber zum ersten Mal Anfang Juni 2015 in der deutschen Hauptstadt; der von Protesten begleitete Besuch half Al Sisi, nach dem Kairoer Militärputsch vom 3. Juli 2013 sowie den anschließenden Massakern, bei denen mutmaßlich mehr als 3.000 Zivilisten umgebracht wurden, das aufs Schwerste beschädigte Ansehen der ägyptischen Staatsführung international aufzupolieren. Bereits damals war die Bundesregierung zudem dabei, ihre Zusammenarbeit mit Ägyptens Repressionsapparaten auszubauen; dabei ging es insbesondere um die bilaterale Polizeikooperation.

Hintergrund war vor allem die Absicht Berlins, Kairo in die Flüchtlingsabwehr der EU einzuspannen. Zeitgleich wurde der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen angeschoben. So unterzeichnete Siemens-Chef Joe Kaeser am 3. Juni 2015 in Anwesenheit Al Sisis und des damaligen Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel eine Vereinbarung zum Ausbau der maroden ägyptischen Energieversorgung. Dies galt nicht nur als Beitrag zur Konsolidierung der Kairoer Regierung; mit einem Volumen von gut acht Milliarden Euro handelte es sich um das größte Kraftwerksgeschäft in der Geschichte des Siemens-Konzerns.

Mit deutscher Hilfe
Insbesondere die Zusammenarbeit in puncto Repression hat Berlin seitdem kontinuierlich gestärkt. Dabei geht es weiterhin auch darum, die ägyptische Grenzpolizei bei der Flüchtlingsabwehr zu unterstützen. So hat die Bundesregierung einen „grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten“ an der deutschen Botschaft in Kairo etabliert und Lehrgänge für ägyptische Grenzpolizisten organisiert. Darüber hinaus hat die Bundespolizei Ägypten offiziell Ausstattungshilfe geleistet; zuletzt wurden der ägyptischen Grenzpolizei im März 2019 Satellitentelefone und GPS-Geräte überlassen.

Außer den deutschen Behörden arbeitet – auf EU-Ebene – auch die Flüchtlingsabwehragentur Frontex mit Kairo zusammen; offizieller Rahmen dafür ist der sogenannte Migrationsdialog, den die EU und Ägypten am 16. Dezember 2017 aufnahmen und der am 25. Juni 2019 in seine zweite Runde ging. Die Repressionszusammenarbeit geht allerdings klar über die gemeinsame Flüchtlingsabwehr hinaus. So hat die Bundesregierung bestätigt, dass es eine enge Zusammenarbeit mit Ägyptens Geheimdienst GIS (General Intelligence Service) gibt, der sogar offiziell eine Verbindungsbeamtin in die deutsche Hauptstadt entsandt hat. Nicht zuletzt gehörte Ägypten in den Jahren 2016 und 2017 zu den größten Kunden der deutschen Rüstungsindustrie.

Kollaps nicht ausgeschlossen
Beobachter warnen schon lange, die Berliner Unterstützung für die ägyptische Repression könne sich rächen. Al Sisis autoritäre Herrschaft ähnele derjenigen des 2011 gestürzten Präsidenten Husni Mubarak, sei allerdings deutlich brutaler. Wolle er sein Regime aufrechterhalten, dann benötige er erhebliche finanzielle Unterstützung; bereits heute sei Deutschland „mit 7,1 Milliarden US-Dollar größter Gläubiger“ Kairos „hinter internationalen Organisationen (28,4 Mrd. US-Dollar) und den Golfmonarchien (23,1 Mrd. US-Dollar)“, konstatierte im März die SWP, die das repressive Herrschaftsszenario lakonisch als „Mubarak 2.0“ umschrieb. Zudem laufe Al Sisi Gefahr, sich größere Teile der ägyptischen Eliten zu entfremden.

In der Tat zählen zu denen, die Al Sisis Regierung ins Gefängnis hat werfen lassen, einstige Inhaber führender Staatsämter, darunter einstige hochrangige Militärs. Längst wird spekuliert, ob Mohamed Ali, ein Ex-Geschäftspartner der ägyptischen Streitkräfte, der vom spanischen Exil aus die aktuellen Proteste angestoßen hat, im Auftrag rivalisierender Kreise des ägyptischen Establishments handelt. Wegen der „dramatische[n] Verschlechterung der Lebensbedingungen eines Großteils der Bevölkerung“ könnten Proteste „deutlich eruptiver“ verlaufen als 2011, warnt die SWP; selbst „der Kollaps staatlicher Strukturen“ sei nicht auszuschließen. Die brutale, von Berlin geförderte Repression droht dabei etwaige Protesteruptionen, kommen sie zustande, noch zu verstärken.