IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger auf den Spuren von Evliya Çelebi: Bei der Olivenernte. Begegnung mit jemandem, der mit Pflanzen lebt.
(iz). Auf der Reise durch Albanien nach Griechenland begleitet uns eine Nutzpflanze, die seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. kultiviert wird. Wir fahren durch ganze Landstriche, die von der Olivenwirtschaft geprägt sind. Bei entsprechender Pflege verwandeln sich die Bäume in Kunstwerke, die reiche Ernte versprechen.
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Unseren Campingplatz in der Nähe von Patras erreichen wir spät in der Nacht. Der griechische Gastgeber mahnt uns, am Morgen seinen Olivenbaum am Strand zu besichtigen, der über tausend Jahre alt sei.
Am nächsten Tag stehen wir andächtig vor der Pflanze, eine Zeile von Homers Ilias im Sinn: „Innerhalb des Gehegs war ein weitumschattender Ölbaum, stark und blühenden Wuchses; der Stamm glich Säulen an Dicke.“ Ganze Kulturen sind vom Umgang mit den Oliven geprägt, die im Koran erwähnt werden: „Und er ist es, der vom Himmel Wasser hat herabkommen lassen. Und wir haben dadurch Pflanzen jeder Art hervorgebracht, […] und die Öl- und Granatapfelbäume […].“ (6:99)
Weiter südlich im Peloponnes wollen wir Freunden bei der Olivenernte helfen, die übermorgen beginnen soll. Nach unserer Ankunft lernen wir schnell, dass die berühmte griechische Gelassenheit das Ergebnis eines flexiblen Umgangs mit Terminen ist. Wir warten einige Tage, da es erst ein wenig regnen, dann die Sonne scheinen muss, um mit der Ernte anzufangen. Das Wetter ist wechselhaft und es ist Geduld gefragt.
Die Wartezeit wird in Cafés verbracht, mit Gesprächen und in froher Erwartung auf das Kommende. Wir lernen einen Experten kennen, der unseren Freunden bei der Olivenwirtschaft hilft und sich mit „Dimitri“ vorstellt.
Dimitri, ein Deutscher, der schon dreißig Jahren hier wohnt, ist eine dynamische Erscheinung, mit langen grauen Haaren und kennt – aus Sicht des Laien – alle Pflanzen der Region. Um es abzukürzen, er lebt mit ihnen. Er wirkt, wie jemand, der in Griechenland angekommen ist. Er erzählt kaum von den überwältigenden Sehenswürdigkeiten des Landes, den Stränden oder den majestätischen Bergen. Vielmehr spiegelt er die Landschaft um ihn herum.
Neben sein Feldern gelegen, bewirtschaftet er eine offene Strandhütte, die von Gästen, Reisenden und Menschen mit unterschiedlichsten Anliegen stets gut besucht ist. Auf den Tischen sind diverse Töpfe, mit Avocados, Zitronen, Datteln, Oliven verteilt – dabei sind Gattungen, die wir nicht einmal mit Namen kennen.
Die Schöpfung, lernen wir von ihm, ist ein Garten, eine Welt der Möglichkeiten. Als wir mit ihm in einem Café sitzen und uns unterhalten, wird er plötzlich unruhig.
Auf der gegenüberliegenden Seite hat er einen Baum entdeckt, der voller Avocados hängt. Er springt auf, spricht mit dem Besitzer des Cafés, dann mit einem Nachbarn und erlangt so die Erlaubnis für die Ernte.
Wir staunen, wie er in Windeseile auf die richtige Höhe klettert, um die Geschenke der Natur entgegenzunehmen. Bei seiner Rückkehr, er schenkt uns einige prächtige Exemplare, wirkt er zufrieden.
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Am Beginn der Ernte ist es keine Überraschung, dass Dimitri die Leitung der Operation übernimmt. Die bunte Schar der Helfer hat zum größten Teil wenig Ahnung von der Technik, die es braucht, um die Oliven zu bergen.
Er verliert die Zeit nicht mit Anweisungen, sondern verteilt die Netze unter den Bäumen, reicht uns wortlos Stäbe und elektronische Erntehelfer, die bald an den Ästen surrend entlang gleiten. Seine Energie ist vorbildlich und schnell mutieren wir von der Ebene des Zuschauens zum aktiven Handeln.
Die Arbeit ist für einen Akademiker anstrengend, ungewohnt. Hin und wieder schaut mir Dimitri zu, pflückt eine einzelne Olive, die ich übersehen habe, kopfschüttelnd von einem Ast ab. Er scheint sich zu ärgern, wenn die Netze nicht genau liegen und ein schmerzlicher Verlust entsteht. So nimmt die Ernte ihren Verlauf.
Am späten Mittag erreicht mich der Zustand, der die schmerzende Arme vergessen lässt: Im Modus des reinen Tuns denkt man nicht mehr. Die Sonne, das Meer und die blitzenden Berggipfel am Horizont bilden eine Arena, in die wir schweigend hineinwirken. Alle Beteiligten werden im Rückblick sagen, dass es ein unvergesslicher Tag war, wo wir eine tiefe Harmonie erfuhren.
Zwei Tage später bringen wir ein paar dutzend Säcke zur Olivenpresse in einem kleinen Ort. Nach dem Erhalt des gepressten Öls in den Kanistern sind wir begeistert. Die Griechen, die hier monatelang hart arbeiten, schauen unserem Erntefest schweigend zu. Die Beute ist ein Anteil von fünf Litern dieses Öls. Muss ich erwähnen, dass wir noch nie so köstliches Olivenöl gekostet haben?