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Seehofers Paukenschlag: Derzeit überschlagen sich die Ereignisse

Foto: Deutscher Bundestag / Achim Melde

Berlin (dpa). Die CDU sieht nach wie vor Spielraum für einen Verhandlungskompromiss im verfahrenen Asylstreit mit der CSU. „Wir wünschen uns eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen“, heißt es in einer am Montag von der CDU nach einer etwa eineinhalbstündigen Vorstandssitzung in Berlin verbreiteten Erklärung.
Der CDU-Vorstand begrüßt in der Erklärung, dass zwischen CDU und CSU am heutigen Montag Spitzengespräche stattfinden werden. „In der Migrationspolitik verfolgen wir dieselben Ziele. Wir wollen die Zuwanderung nach Deutschland ordnen, steuern und begrenzen“, heißt es weiter. „Wir wünschen uns eine Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen.“ Grundlage der Gespräche mit der Schwesterpartei CSU sei der Beschluss des Bundesvorstandes vom Vortag. „Dieser bietet viel Raum für gemeinsames politisches Handeln.“
CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer hatte am 1. Juli überraschend seinen Rücktritt von beiden Ämtern angekündigt, nach Beratungen der engsten Parteiführung aber später erklärt, seine Entscheidung von einem Einlenken der CDU abhängig zu machen.
Das von ihm verlangte Spitzentreffen der Unionsführung soll nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Parteikreisen um 17.00 Uhr in der CDU-Zentrale in Berlin stattfinden. An den Beratungen werden demnach von CDU-Seite Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel, Fraktionschef Volker Kauder, die fünf Stellvertreter Merkels sowie Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer teilnehmen.
Die CDU hatte am späten Sonntagabend unmittelbar nach der Nachricht von der ursprünglichen Rückzugsankündigung von Seehofer aus allen Ämtern in einem bei einer Enthaltung angenommenen Beschluss die Unterstützung für den europäischen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Asylpolitik betont. CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte bei der Vorstellung des Beschlusses gesagt: „Einseitige Zurückweisungen wären unserer Ansicht nach das falsche Signal an unsere europäischen Gesprächspartner.“ Merkel lehnt die von Seehofer angepeilten Zurückweisungen strikt ab.
In dem CDU-Beschluss heißt es weiter, die von Merkel auf dem EU-Gipfel in Brüssel sowie in bilateralen Verhandlungen getroffenen Beschlüsse, Vereinbarungen und Abkommen böten eine gute Grundlage zur wirksamen Reduktion der Sekundärmigration. Mit „Sekundärmigration“ ist die Weiterreise von bereits registrierten Asylbewerbern in andere EU-Staaten gemeint. Die Verhandlungen müssten zügig fortgesetzt werden, sagte Kramp-Karrenbauer. Es sei Ziel der CDU, die Zuwanderung besser zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen. Darin sei man sich mit der CSU einig, sagte Kramp-Karrenbauer am späten Sonntagabend.
Welche Punkte in Seehofers Plan haben das größte Spaltpotenzial?
Sein Streit mit Merkel dreht sich nur darum, wer an der deutschen Grenze abgewiesen werden darf. Das ist Punkt 27 im 63-Punkte-Plan von Seehofer. Er sieht die Zurückweisung von andernorts in der EU bereits registrierten Schutzsuchenden vor. Die Kanzlerin will nicht, dass Deutschland das ohne Vereinbarungen mit den betroffenen Staaten einfach so durchzieht. Wie viele EU-Mitglieder da mitmachen und wie belastbar die von Merkel mit ihnen bereits getroffenen Verabredungen sind, ist aber noch nicht ganz klar.
Alle anderen Vorschläge von CSU-Chef Seehofer sind zwischen den Unionsparteien unstrittig. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Koalitionspartner SPD bei allem mitgehen würde. Ein Beispiel: Die SPD will die Möglichkeiten der Behörden erweitern, Ausländern auf die Schliche zu kommen, die falsche Angaben zu ihrer Identität machen – etwa weil sie sich so bessere Chancen im Asylverfahren ausrechnen. Seehofer geht aber noch viel weiter. Er will beschleunigte Asylverfahren für jeden, der keine Identitätsdokumente vorlegt. Und das war in den Jahren 2016 und 2017 die Mehrheit der Antragsteller.
Mehr als jeder fünfte Asylsuchende kommt als sogenannter Dublin-Fall. Das heißt, er müsste seinen Antrag auf Schutz nach den Dublin-III-Regeln eigentlich in einem anderen EU-Staat stellen. Die Rücküberstellung dieser Menschen in das Land, das für sie zuständig ist, funktioniert aber sehr schlecht. Das liegt einerseits an der Überlastung der Behörden hierzulande und Verhinderungsstrategien einzelner Asylbewerber, andererseits aber auch an Verzögerungen in Italien und anderen Staaten, in denen diese Asylbewerber zum ersten Mal nach ihrer Einreise in die EU registriert wurden.
Die „Dublin-Rücküberstellungen“ aus Deutschland gelingen derzeit nur in etwa 15 Prozent der Fälle. Das bedeutet: Die Menschen bleiben dauerhaft hier. Denn wenn die Fristen überschritten werden, fällt die Zuständigkeit für das Asylverfahren automatisch an Deutschland.
Steht eine mehr als 40-jährige Karriere vor dem Aus?
Drohungen und Ultimaten gehören schon lange zu Seehofers politischem Besteck: So lange drohen, bis er vermeintlich einen Erfolg erzielt. So war das beim Streit über das Betreuungsgeld, über die Euro-Rettung oder andere Themen. Konflikten mit der Kanzlerin ging der frühere bayerische Ministerpräsident nie aus dem Weg. Meist gab es aber einen Komromiss – oft um den Preis, dass Seehofer sich am Ende mangelnde Glaubwürdigkeit vorwerfen lassen musste. Seine Partei musste stets mitziehen und so manche Kehrtwende mitmachen. Parteifreunde warfen Seehofer oft einen bisweilen autokratischen Führungsstil vor.
Und nun ist in Erfüllung gegangen, womit bei Seehofers Eintritt in Merkels Kabinett eigentlich zu rechnen war: dass der Dauer-Machtkampf zwischen den beiden irgendwann eskalieren muss. Seit Beginn der Flüchtlingskrise hatte es zwischen den beiden immer wieder gekracht. Das ging so weit, dass Seehofer Merkel einmal eine „Herrschaft des Unrechts“ vorwarf, ihr eine Verfassungsklage in Karlsruhe androhte. Nur mühsam ließen sich die Gräben wieder zuschütten. Mit der jetzigen Notbremse hat Seehofer aber nun wohl sein Karriereende besiegelt.
Nach dem CSU-Debakel bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 stand Seehofer schon einmal vor dem politischen Aus. Quasi täglich wuchs der Druck auf ihn, eines seiner Spitzenämter – Ministerpräsident oder CSU-Chef – zu räumen. Das Ende ist bekannt: Seehofer stimmte einer Ämtertrennung mit seinem ewigen Dauer-Rivalen Markus Söder zu, der im März zum bayerischen Regierungschef gewählt wurde. So holte Seehofer sich am Ende die Zustimmung für zwei weitere Jahre CSU-Vorsitz. Und dann ging er tatsächlich auch den nächsten Schritt, von dem er zuvor gesagt hatte, er sei nicht Teil seiner Lebensplanung: Er wechselte noch einmal nach Berlin, als Minister für Innen, Bau und Heimat.
Tatsächlich hatte sich Seehofer damit ein Ministerium der besonderen Art zurechtgezimmert: zuständig für alles von der Inneren Sicherheit bis hin zum ländlichen Raum. Den Fokus legte Seehofer aber vor allem auf die Flüchtlingspolitik. Sein Ziel: als zuständiger Ressortchef, so gut es geht, darüber wachen, dass die Flüchtlingszahlen unter Kontrolle bleiben – auch wenn der schwarz-rote Koalitionsvertrag das CSU-Lieblingswort „Obergrenze“ an keiner einzigen Stelle enthält.
Innenministerium arbeitet weiter am „Masterplan Migration“
Der „Masterplan“ zur Migrationspolitik, den CSU-Chef Horst Seehofer der CSU vorgelegt hat, ist möglicherweise nicht die Endfassung. Die Fassung, die Seehofer am Sonntag präsentierte, habe er „als CSU-Vorsitzender und eben nicht als Bundesminister des Inneren“ vorgelegt, erklärte eine Sprecherin seines Ministeriums am Montag in Berlin. Das Bundesministerium des Inneren (BMI) arbeite noch an dem Papier. „Es wird ein Masterplan erarbeitet und auch laufend fortgeschrieben und weiter abgestimmt (…) und der wird vorgestellt durch das BMI, wenn er vorgestellt wird.“
Nachdem dies von Journalisten zunächst so verstanden worden war, dass es mehrere Konzepte gibt, präzisierte sie später ihre Ausführungen und erläuterte: „Es gibt nur einen Masterplan. Herr Seehofer hat gestern eine Fassung des Masterplans als CSU-Vorsitzender vorab vorgelegt. Eine Veröffentlichung durch das BMI ist noch nicht erfolgt. Gegebenenfalls kommt es vor Veröffentlichung durch das BMI noch zu geringfügigen Anpassungen, die aber den Kern des Masterplans nicht grundsätzlich betreffen werden.“
Seehofers „Masterplan Migration“ war bis zuletzt nur einem engen Personenkreis bekannt. Am Sonntagnachmittag präsentierte der Innenminister ihn dem CSU-Vorstand in München. Demnach will er die Gangart gegenüber Schutzsuchenden deutlich verschärfen.
Unter anderem mit Beiträgen von Anne-Beatrice Clasmann, Christoph Trost, Marco Hadem, Jörg Blank und Nico Pointner.