, , ,

Sehnsucht nach Mekka. Die Hadsch in der Literatur

Ausgabe 336

Pilgerfahrt mekka hadsch
Foto: TEA OOR, Adobe Stock

Mekka und Medina haben jahrhundertelang Reisende und Autoren in aller Welt fasziniert. Das schlug sich auch in Büchern nieder.

„Wir rasten durch Mekka in japanischen Taxis. Wir führten internationale Ferngespräche. (…) Zur gleichen Zeit bleiben die wesentlichen Riten unverändert. Wir drehten uns im Tawaf exakt auf die gleiche Art und Weise, wie man dies 1050 gemacht hat. In solchen Augenblicken ähnelten wir modernen Gefäßen, in die zeitlose Emotionen gegossen werden.“ (Michael Wolfe, amerikanischer Autor)

Mekka als Sehnsuchtsort

Jahrhundertelang gab es unerreichbare Orte, die die Fantasie vieler stimulierten – Timbuktu, Karakorum, Peking, Mekka oder Medina. Im Rahmen der Neuzeit wurde einer nach dem anderen „entdeckt“ und seines Geheimnisses beraubt. Eine Ausnahme stellten lange die beiden heiligsten Orte des Islam dar sowie die Erfahrung der Reise.

Das hielt Abenteurer, Forscher und Spione aus dem Westen nicht ab, ihr Glück zu versuchen. Gelangen ihnen die Hinreise und die Heimkehr, erlangten sie durch die Veröffentlichung von Reiseaufzeichnungen Berühmtheit. Zwischen dem 15. und dem frühen 20. Jahrhundert kamen Mutige aus dem Westen nach Mekka; darunter Nichtmuslime und einige Muslime.

Der erste europäische Pilger, der Mekka ohne Verkleidung betrat, war der englische Muslim Herman Bicknell. Er, gekleidet in Hosen und gebügeltem Hemd, dürfte so einige interessante Begegnungen gemacht haben, bis er – wie alle anderen – seinen Ihram anlegte. Bicknell war der Vertreter einer wachsenden Anzahl an Europäern, die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts den Islam annahmen.

Foto: Osama Shukir Muhammed Amin FRCP(Glasg), via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Reisebücher und Beschreibungen aus dem Hidschaz

Beschreibungen der Hadsch und ihrer Wegmarken sind nichts Neues. Von den frühesten Muslimen bis heute finden sich Aufzeichnungen ihrer Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse. Für Gelehrte wie Al-Ghazali, Al-Bukhari, Ibn Al-‘Arabi und vielen andere waren Mekka und Medina nicht nur Wegmarken, an denen sie ihre rituellen Pflichten erfüllten, sondern zusätzlich Stationen auf ihrer Suche nach Wissen. Und wichtige Reisende wie Ibn Battuta, Ibn Khaldun oder Evliya Çelebi besuchten diese Orte, und hielten ihre Eindrücke schriftlich fest.

Im April 1853 reiste der britische Forscher und Orientalist Richard Burton verkleidet in den Hidschaz. Er hinterließ von der Hadsch und den besuchten Städten detaillierte Beschreibungen. Der Niederländer Snouck Hugronje tat es ihm 1884 nach, als er ein halbes Jahr in der Tarnung eines Gelehrten in Mekka weilte. Das Ergebnis war das zweibändige Buch „Mekka“, das weiterhin als Taschenbuch erhältlich ist.

Zu den bedeutendsten und poetischsten Dokumenten von heute auf Deutsch zählt das 2004 erschienene Buch „Zu den heiligen Quellen des Islam“ des Schriftstellers Ilja Trojanow. Der Titel war die Frucht einer Pilgerreise, die der Autor 2003 unternahm. „So groß waren die Unterschiede, man hätte in manchen Momenten meinen können, die Menschen hätten nichts miteinander gemeinsam, außer den zwei weißen Tüchern, in die sie gehüllt waren“, beschrieb er die Pilger in ihrem Gewand. 

Aber auch, dass Mekka Teil der globalen Moderne geworden ist: „McDonalds, Kentucky Fried Chicken und Wimpys haben sich in Mekka ebenso fest etabliert wie Gucci und Cardin, Longines und Swatch.“ Trojanow steht mit diesem Buch in der Tradition großer Hadsch-Berichte.

Ilja Trojanow, Zu den heiligen Quellen des Islam: Als Pilger nach Mekka und Medina, Malik, 2004, 176 Seiten, ISBN 978-3492405690, Preis: EUR 10,95

Foto: Dženita Karić, Twitter

Bosnische Beschreibungen

Die am Berliner Institut für Islamische Theologie lehrende Dr. Dženita Karić hat vor Kurzem eine Übersicht jüngst eine umfangreiche Anthologie bosnischer Hadsch-Literatur aus fünf Jahrhunderten herausgegeben. In der auf Englisch erschienenen Anthologie dokumentiert sie die vielfältigen Wege von Bosniaken auf ihrem Weg nach Mekka und Medina.

Das Buch zeigt beispielsweise, wie die Hadsch oft vor dem Hintergrund eines sich verändernden politischen Umfelds stattfand: von der kommunistischen Ära, als die Pilgerfahrt vom ehemaligen Jugoslawien genutzt wurde, um Soft-Power-Beziehungen zu muslimischen Ländern aufzubauen, bis zu den Kriegsjahren der 1990er, als sie dem entstehenden bosnischen Staat half, sich und seine Sache der Welt zu präsentieren.

Insbesondere in den letzten hundert Jahren hätten einfache Bosniaken über ihre Hadsch-Erfahrungen geschrieben und sie in Reisetagebüchern festgehalten. Nach der Heimkehr hätten viele Kopien gemacht und sie im Freundeskreis verteilt. In einem durchschnittlichen Haushalt fänden sich laut Karić mindestens zwei oder drei solcher Texte. Diese Literatur sei eine reichhaltige Informationsquelle darüber, wie normale Menschen mit ihrem Glauben verbunden sind und welche Kontexte sie beeinflussen.

„Ich begann mit der Sammlung meiner Familie und ihren Netzwerken. Das führte mich zu den Bibliotheken. Als die Leute herausfanden, dass ich über Hadsch-Literatur schreibe, nahmen sie Kontakt zu mir auf und sagten: ‘Das hat mein Großvater geschrieben. Willst du es dir ansehen?’  Ich studierte in den Manuskriptbibliotheken in Sarajevo und Istanbul. Und ich habe auch Handschriften in Kairo konsultiert. Sie können auch viele moderne Reiseberichte und Schriften über den Hadsch im Internet finden“, beschrieb die Autorin ihre Recherchen in einem Interview.

Denita Karić, Bosnian Hajj Literature: Multiple Paths to the Holy (engl. Ausgabe), Edinburgh University Press, 2022, gebunden, 243 Seiten, ISBN 978-1474494106, Preis: EUR 76,34

Foto: CBN Polona, via Wikimedia Commons | Lizenz: Public Domain

Die Hadsch als Sujet

Es gibt nicht viele Beispiele westlicher Belletristik, in welche die Pilgerfahrt nach Mekka überhaupt Einzug fand. Eine der Ausnahmen dazu stellt der 1900 erschienene Roman „Lord Jim“ des britisch-polnischen Schriftstellers Joseph Conrad (Autor des wegweisenden „Herz der Finsternis“). Verwoben in den Text, den der deutsche Nobelpreisträger Thomas Mann sehr lobte, finden sich faszinierende Fakten über die muslimischen Reisenden und ihre Pilgerfahrt. „Lord Jim“ erzählt eine Geschichte von Pilgern und ihrem einfachen Leben.

Darin beschreibt Conrad sie als „unbewusste Pilger eines anspruchsvollen Glaubens“. Man kann sagen, dass „unbewusste Pilger“ eine genaue Beschreibung der Hadsch-Pilger ist, insbesondere derjenigen, die vor Jahren mit unsicheren Einrichtungen reisten.

In dem Roman findet sich ein Porträt dieser Muslime. „Dort hatten sich achthundert Männer und Frauen mit Glauben und Hoffnungen, mit Zuneigung und Erinnerungen versammelt, die aus dem Norden und Süden und aus den Außenbezirken des Ostens gekommen waren, nachdem sie die Pfade des Dschungels beschritten, die Flüsse hinabgestiegen waren, in Praus über die Untiefen geschippert waren, in kleinen Kanus von Insel zu Insel gekreuzt waren, Leiden durchlebt hatten, seltsamen Anblicken begegneten, von seltsamen Ängsten geplagt waren und von einem einzigen Wunsch getragen wurden. (…) Sie kamen staubbedeckt, schweißbedeckt, schmutzbedeckt, in Lumpen gehüllt – die starken Männer an der Spitze von Familienverbänden, die hageren alten Männer, die ohne Hoffnung auf Rückkehr vorwärts drängten; junge Knaben mit furchtlosen, neugierig blickenden Augen, schüchterne kleine Mädchen mit zerzausten langen Haaren; die ängstlichen Frauen, eingemummelt und an die Brust gedrückt, eingewickelt in lose Enden verschmutzter Kopftücher, ihre schlafenden Babys, die unbewussten Pilger eines anspruchsvollen Glaubens“, lässt Conrad seinen Erzähler berichten.

Bei der Untersuchung von Conrads Werk können wir sehen, wie er an die Unterscheidung von Touristen und Hadschis appelliert. Der Autor unterstreicht dies in der folgenden Darstellung der Pilger: „Sie strömten herein, getrieben vom Glauben und der Hoffnung auf das Paradies.“ Der Glaube ist also der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Gruppen. Nach diesen Beschreibungen können wir davon ausgehen, dass das Ziel der Pilger größer war als das der Touristen.

Inspiriert wurde „Lord Jim“ von einem tatsächlichen Skandal um die Hadsch aus dem Jahre 1880. Die zentrale Episode des Zurücklassens der Bilder auf einem Schiff im Roten Meer bezieht sich auf Conrads eigene Erfahrungen als Seemann in 1882 sowie seiner Kenntnis des Skandals.

Joseph Conrad, Lord Jim: Ein Bericht, insel Taschenbuch (2007), 473 Seiten, ISBN 978-3458349952, Preis: EUR 7,-