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Nach der Randale am Kölner Hauptbahnhof gilt es, besonnen zu reagieren

(iz). „Les extrêmes se touchent“ – die äußersten Gegensätze berühren sich. An dieses Bonmot von Jean de la Bruyere erinnert man sich, angesichts der Randale von Hooligans und Nazis auf […]

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Die IZ-Redaktion bleibt den „Weimarer Gesprächen“ verpflichtet

(iz). Die Muslime in Weimar – ein „Happening“, eine „Provokation“ oder auch eine denkbare Quintessenz ihrer Präsenz in Deutschland? Schon seit Jahren lädt die Islamische Zeitung immer wieder zu Seminaren […]

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Vorab aus der neuen Ausgabe: Im Nahen Osten gärt eine explosive Mischung, mit religiösen und nihilistischen Elementen gleichermaßen. Von Abu Bakr Rieger

„Raj Sourani, Menschenrechtsanwalt und Gründer des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte bringt dabei den dunklen Kern des Anwurfes auf den Punkt: ‘Es ist eine Schande, dass Israel und die internationale Gemeinschaft dies geschehen lassen. Hier geht es ganz einfach um Kriegsverbrechen.’“

(iz). Es sind schockierende Bilder aus dem Gaza-Streifen. Getötete Kinder, leidende Zivilisten und zerbombte Stadtteile rufen nach Mitgefühl und dokumentieren insgesamt die verzweifelte Lage. Nach dem verheerenden Bürgerkrieg in Syrien und dem Aufstieg der ISIS-Brigaden im Irak rückt der ungelöste Jahrhundertkonflikt um das heilige Land wieder in den Fokus. Wie kaum eine andere Auseinandersetzung, löst gerade das Schicksal der Palästinenser weltweite Emotionen aus, in einem Landstrich, in dem sich nicht nur die großen Religionen berühren, sondern auch die Abgründe einer neuen Zeit unsere Zivilisation bedrohen.

Der „asymmetrische“ Krieg der hier abläuft und meist aus der Luft geführt wird, löst die alten Ideen von Recht, Humanität und Völkerrecht im Nichts auf. Der Krieg, bei Clausewitz noch ein Duell mit klaren Regeln, wird zur einseitigen Polizeiaktion, die auf der anderen Seite nur noch Verbrecher erkennt. Die daraus resultierenden juristischen Probleme sind nur schwer zu lösen. Was geschieht zum Beispiel, wenn die selbsternannte „Polizei“ Grenzen überschreitet, dabei brutal und ohne Rücksicht vorgeht?

Die „Verhältnismäßigkeit“ wird zu einem Grundsatz, nach dem im Kampf der ideologischen Kräfte nicht gerade zufällig immer öfter vergeblich gerufen wird. Die Möglichkeiten moderner Technik und der plötzlichen Bestrafung aus dem Himmel erlauben auf der Seite der Macht immer öfter Aktionen, „in denen nur noch der Feind stirbt“. Die philosophischen Implikationen dieser neuen Kampfformen hat Gregoire Chamayou in seiner „Theorie der Drohnen“ beschrieben. Das Zusammenspiel zwischen Big-Data, totaler Überwachung und fulminanter Feuerkraft erinnert an religiös angehauchte Allmachtsphantasien.

Im Nahen Osten unserer Zeit kommt zu den Verführungen überlegener Waffentechnik leider eine weitere Komponente hinzu: Freund und Feind einigt nach den jahrzehntelangen Erfahrungen von Tod und Zerstörung ein typisch moderner Vernichtungswille und der Drang den Raum ganz zu beherrschen, möglichst ohne die Präsenz lästiger Minderheiten. Damit endet die jahrhundertelange Kompetenz einer Weltregion, unterschiedliche Kulturen und Religionen in guter Nachbarschaft zu belassen.

Es gibt nicht wenige Denker, die das Geschehen unter dem Stichwort „Nihilismus“ einordnen und nicht etwa als einen Streit lebendiger Religionen begreifen. Ein Indiz für die These ist das fragwürdige Raumkonzept, dass der Konflikt offenbart. Was ist der Gaza Streifen überhaupt, ein Staat oder ein Gefängnis oder einfach nur ein Lager? Carl Schmitt definierte den Nihilismus als die Trennung von „Ordnung und Ortung“ und tatsächlich, der Gazastreifen ist so ein Ort ohne Ordnung. Hier gilt kein normales Recht, kein Besatzungs- oder Völkerrecht, schon gar kein islamisches Recht, hier herrscht dem Grunde nach der permanente Ausnahmezustand.

Heftig wird gestritten, ob denn der Gaza-Streifen besetztes Gebiet sei und ob das militärische Verhalten der israelischen Regierung demzufolge – neben allgemeingültig moralischen – auch konkreten rechtlichen Regeln zu folgen hat. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie Lisa Hajjar auf der Infoseite „Jadaliyya“ klug aufzeigt, ob der Küstenstreifen noch immer besetztes Gebiet ist und demzufolge das Völkerrecht berücksichtigt werden muss. Die Anwendung, oder besser gesagt Nicht-Anwendung, internationalen Rechts würde dann auch andere Staaten oder übernationale Gerichte zwingen, Flagge zu zeigen. Fakt ist: Bisher schauen die meisten Staaten interessiert zu, wie Israel die „Souveräni­tät“ des Gaza-Streifens gestaltet, de facto untergräbt und gleichzeitig einen unbarmherzigen Wirtschafts- und Blockadekrieg zu Lasten der Bevölkerung führt. Auch das Naheliegende wird versäumt. Von der Öffnung der Grenzstation zu Ägypten in Rafah, die schon einmal, aus humanitären Erwägungen heraus, unter der Kontrolle der EU-Behörden stand – spricht in Brüssel keiner mehr.

Menschenrechtlerin Hajjar kritisiert in aller Schärfe die Logik der Israelischen Führung, die behauptet, der Gaza-Streifen sei nichtbesetztes und fremdes Gebiet. Tatsächlich, Israel sieht in dem eingeschlossenen Streifen Land eine dritte Rechtsform, die einzigartig, das heißt „sui generis““ sei. Nach dem Staatsrechtler Josef Isensee wird eine derartige, naturgemäß vage Terminologie angewendet, wenn die alten Begriffe versagen. Israelische Juristen argumentieren dann auch, dass Gaza eben ein „staatsartiges Gebilde“ sei, dass weder souverän, noch besetzt sei. Diese Logik der Rechtsanwendung dürfte in der Tradition der berühmten Aussage des ehemaligen juristischen Beraters der IDF Reisner stehen. „Wenn Du es lang genug tust, wird es die Welt akzeptieren. Völkerrecht entwickelt sich durch seine Verletzungen“, hatte der Jurist diverse Verletzungen der Genfer Konvention kommentiert.

Hajjar sieht in dem „Sui Generis-Unsinn“ nicht nur einen Theorienstreit, sondern nichts anderes als die Flucht aus jeder bestehenden Rechtsordnung und damit im Ergebnis eine Lizenz zum hemmungslosen Töten. Die offensichtliche Kollektivbestrafung der palästinensischen Bevölkerung, für die die israelische Regierung die Verantwortung trägt, steht nach dieser Ansicht klar im Widerspruch zur Genfer Konvention. Raj Sourani, Menschenrechtsanwalt und Gründer des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte bringt dabei den dunklen Kern des Anwurfes auf den Punkt: „Es ist eine Schande, dass Israel und die internationale Gemeinschaft dies geschehen lassen. Hier geht es ganz einfach um Kriegsverbrechen.“

Mit diesen Einschätzungen trifft sich der Eindruck der absoluten Rechtlosigkeit mit der Kritik an anderen, strategischen Taktiken der modern-rechtlosen Kriegsführung an sich, wie zum Beispiel dem „Drohnenkrieg“ und dem „Krieg gegen den Terror“. Die Krise des Rechts und der offensichtliche Mangel an Rechtsinstrumenten, die den Krieg hegen könnten, machen die typische Dunkelheit dieser neuen Konflikte entscheidend aus. Das Recht wird politisiert und – wenn überhaupt vorhanden – den Opfern der Zugang zu möglichen Rechtswegen verwehrt. Schon lange wird auch der Internationale Strafgerichtshof dafür gerügt, dass er nicht selbst von seinem Recht Gebrauch macht und – obwohl Israel die Römer Verträge nicht ratifiziert hat – bei derart klaren Kriegsverbrechen auch im Nahen Osten endlich zu ermitteln beginnt. Die inzwischen von einem französischen Anwalt, im Auftrag des ­palästinensischen Justizministers Salim al-Saka, eingereichte aktuelle Anzeige, könnte wieder einmal wirkungslos verpuffen.

Auch auf palästinensisch-muslimischer Seite herrscht manchmal, bei aller berechtigten Empörung, Verwirrung, den Konflikt zwischen religiösen, politischen und rechtlichen Kategorien klar einzuordnen. Natürlich ist auch für das islamische Recht ein „asymmetrischer Krieg“ oder die Idee des „Ausnahmezustandes“ im Grunde Neuland. Über Jahrhunderte waren selbstmörderische Aktionen ein Tabu, Terrorismus denkunmöglich und „große“ Kriege überhaupt nur unter ­bestimmten rechtlichen Bedingungen erlaubt. In einigen Köpfen der Gelehrten in der Region, hat sich inzwischen allerdings eine durchaus fragwürdige Konzeption eines „Ausnahmerechts“ durchgesetzt.

Viele, gerade auch junge Muslime in Europa, sehen heute die Palästinenser einfach nur im „Recht“ und glauben, dass im Guerilla-Krieg der Hamas auch jede Form der Notwehr akzeptabel sei. Das Schießen mit den bisher wenig effizienten Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung ist für viele muslimische Beobachter eine lästige Marginalie und seit die „Mauer“ steht, sind auch die alten Selbstmordattentate vergessen. Nur wenige muslimische Stimmen ziehen so – einer der üblen Nebeneffekte der israelischen Kampagne – heute die militärische Taktik der Hamas überhaupt noch in Zweifel. Gründe, gegenüber einer Ideologie, die gegen einen übermächtigen Gegner „bis zum letzten Blutstropfen kämpfen will“, skeptisch zu bleiben gibt es natürlich. Kritik über den zuweilen taktischen Umgang mit dem Leiden der eigenen Zivilbevölkerung gehört hier unbedingt dazu. Mao’s berühmte Doktrin, der Partisane müsse, um erfolgreich zu sein, sich in der Zivilbevölkerung bewegen wie der Fisch im Wasser, lässt sich aber in den Verhältnissen rund um Gaza-Stadt schwer prüfen: Gibt es überhaupt noch eine Mög­lichkeit der Zivilbevölkerung, der Hamas offen zu widersprechen?

Wo liegt die Lösung in dem Konflikt? Ist es tatsächlich ein palästinensischer Kleinstaat, der wohl kaum Aussicht auf echte Souveränität hat, weder politisch noch ökonomisch, wenn auch vor dem Gaza-Streifen größere Gasvorkommen liegen sollen? Oder bleibt dem Palästinenser auf Dauer eben keine Aussicht auf Freiheit und so nur der Gang in die weitere Verrohung, das „nackte Leben“, wie Agamben den verbreiteten Staat- und rechtlosen Menschen der Neuzeit fasst? Kann es überhaupt einen neuen Nomos geben, solange nicht nur Israel, sondern auch Ägypten die Grenzen geschlossen hält?

Fest steht, die Zwei-Staaten-Lösung scheint mit jedem Tag in weite Ferne zu rücken, denn mehr als den Kampf mit der Hamas, dürfte Israel den drohenden Bürgerkrieg mit den eigenen Siedlern fürchten. Gerade der völkerrechtswidrige Ausbau der Siedlungen hat aufgezeigt, dass Israel sich selbst als ein Land „sui generis““ sieht, also als einzigartig und über jedem Recht stehend.

Ohne Gerechtigkeit und ein allgemein gültiges Maß bleibt aber jede akzeptable Friedensordnung eine Utopie. Bange muss man sich auch die Frage stellen, wie es in einem einzigen jüdischen Staat um die Minderheitenrechte steht und die biopolitische Herausforderung der dort lebenden Araber und Muslime gelöst wird. Fakt ist, die vielbesungene politische Lösung in einem militärischen Konflikt, der für keine der beiden Seiten erfolgreich enden kann, steht noch in den Sternen.

„anyone, anytime, anywhere“ oder Grenzen fallen. Werden auch wir zu Überwachern?

„Eine bedenkliche Form der Machtausübung ist heute die verbreitete und vor allem akzeptierte Anwendung diverser Assoziationstechniken – gerade in den sozialen Medien. Der Andersdenkende wird dabei per Assoziationsketten mit dem ‘Bösen’ in Verbindung gebracht.“

(iz). Die NSA lässt bezüglich ihrer Gründlichkeit keine Fragen offen. Die „New York Times“ veröffentlichte inzwischen ein weiteres Snowden-Dokument mit einem „Vierjahresplan“ der gruseligen Sicherheitsbehörde. Grundsätzlich sollen praktisch alle im Netz verfügbaren Daten unabhängig vom Ort erhoben werden und die erhobenen Datenmassen dann mit mathematischer Logik gefiltert werden. Welche Bücher man liest, welche Freunde man hat und in welche Moschee man geht, ergeben dann eine „Erwartungsprognose“ und natürlich auch die Einschätzung der potentiellen Gefährlichkeit des Objektes. Die gute Nachricht lautet: Wer eh unpolitisch ist, die BILD liest, keine erkennbare Religion hat und ab und zu nach Mallorca reist, hat auch weiterhin nichts zu befürchten.

Das Thema nimmt ein altes Motiv der „Islamischen Zeitung“ auf, das zu Beginn des Einsatzes unserer damaligen Wortschöpfung belächelt wurde: der private Verfassungsschutz. Wir hatten mit dem Wort eine Art institutionalisierten „Journalismus“ beschrieben, der sich durch wenig Recherche, zahlreiche Verschwörungstheorien und intimer Nähe zu den Sicherheitsbehörden auszeichnet.

Das alleinige Ziel dieses Treibens und des „Agitieren mit Tatsachen“ (nach DDR-Vorbild) ist: die Diskreditierung des Gegners. Heute ist das Phänomen der „privatisierten Dienste“ praktisch nicht mehr zu ignorieren. Ein Journalismus, der nicht mehr prüft und abwägt, sowie auch einige Berichte der VS-Ämter selbst, setzen dabei schon länger auf die Logik der Suchmaschinen. Das heißt, es geht nicht mehr um nachvollziehbare Inhalte, sondern um die Verknüpfung des „Feindes“ mit möglichst vielen negativen Attributen. Das Prinzip des „guilty by association“ (schuldig durch die Erstellung von Verknüpfungsketten) ist zu einem der wichtigsten, nicht justiziablen Instrumente gegen den Andersdenkenden geworden. Die Gesellschaft spielt mit.

Eine bedenkliche Form der Machtausübung ist heute die verbreitete und vor allem akzeptierte Anwendung diverser Assoziationstechniken. Gerade in den sozialen Medien. Der Andersdenkende wird dabei mit Hilfe von Assoziationsketten mit dem „Bösen“ in Verbindung gebracht – Suchmaschinen, NSA und privater Verfassungsschutz sorgen für Verbreitung und erledigen so den Rest. „Grüne = Pädophile“, „Muslime = Terrorismus”, „AfD = Rechtspopulismus“, „Heidegger = Rektorat“ – jeder kann Assoziationen zu Lasten des Gegners im anderen Lager bilden, anwenden und mit seiner großen oder kleinen Markierungsmacht einen entsprechenden „Verdacht“ streuen. Nur, wer über entsprechenden Medienzugang verfügt, kann sich gegen die Assoziationslogik überhaupt noch wehren. Sonst bleibt nur noch die reaktive Möglichkeit fortlaufender öffentlicher Deassoziation. Sätze wie „ich lese Heidegger, ich bin aber kein Nazi” oder ahnliches müssen dann ins Repertoire.

Die Folgen sind erbärmlich. Die brachiale Einordnung der Gesellschaft in politische Lager geschieht auf Kosten echten Austausches und geht einher mit dem Verlust evolutionärer Denkprozesse. Es herrscht Angst. Denn, wenn ich im „Lager“ der Anderen auftauche – und sei es nur um mich zu informieren oder den Gegner für meine ehrbare Position zu gewinnen –, werde ich ebenso assoziierbar wie der Gegner selbst, also verdächtig. Jeder politische Mensch, der einen Inhalt vertritt, wird mit diesen Assoziationsmöglichkeiten zur gefährlichen Spezies.

Es entstehen gewürfelte Kunstfiguren, die mit der Realität der Persönlichkeiten kaum mehr etwas zu tun haben. Logisch, dass so immer mehr über den „Feind“, aber selten mit ihm geredet wird. Oft überlagern die Assoziationen auch schwer die Wirklichkeit. Es erinnert an das alte Spiel „stille Post“, bei dem man sich auf Kindergeburtstagen ein Wort ins Ohr flüstert und am Ende der Kette etwas ganz anderes herauskommt als zu Beginn.

Auch wir Muslime spielen mit. Es kann ja durchaus auch bequem sein, sich im eigenen Lager einzurichten und sonst alle negativen Attribute noch außen zu projizieren. Das altbekannte Motto dieser Dialektik ist klar: Wir sind so gut, weil sie so böse sind! Nur: Auch wenn wir die Figur „Sarrazin“ als so unglaublich rassistisch definieren, sind wir es schon deswegen dann selbst nicht? Wehen auf unseren Moscheen keine Flaggen? Auch im Falle dieses kleinen Mannes gilt natürlich übrigens der Grundsatz Voltaires, der die Maxime einer freien und beweglichen Gesellschaft ist: „Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst!“

Wir Muslime wissen, dass jede politische Ideologie nicht mit der Lebenspraxis des Islam vereinbar ist. Das Immunsystem funktioniert dabei nicht nur im eigenen Haus. Mit unseren Positionen und Überzeugungen müssen wir uns also weder abschotten, noch vor einer Debatte draußen fürchten. Mit Sarrazin, der AfD, den Grünen diskutieren? Klar, warum auch nicht? Wie sonst, als in der persönlichen Begegnung, sollen wir auch den in allen Parteiungen vorzufindenden „islam-kritischen“ Tendenzen begegnen?

Teil meiner zwei Jahrzehnte langen Erfahrung im Gespräch über den Islam ist, dass grundsätzlich niemand so aus einem Gespräch geht, wie er hineingegangen ist. Das sollte die sportliche Seite – der Anspruch an unseren Intellekt – sein. Es ist kein Zufall, dass Assoziationstechniker aller Couleur die persönliche Begegnung grundsätzlich meiden müssen. Für unseren Fall gilt jedenfalls: Wir interessieren uns für die Gestalt des „Feindes“ und halten – insoweit bin ich Optimist – jederzeit auch seine Wandlung zum Guten für möglich.

Täusche wir uns nicht: Jenseits des Gezänks der Lager, lösen sich Freund-Feind-Verhältnisse und alt gewohnte Identitäten längst auf. Unser Zeitalter und unsere Existenz an sich sind durch ökonomische Transaktionen, nicht durch politische Gespräche bestimmt. Das Verharren der Menschen in alten Blöcken – während der entfesselte Kapitalismus ungestört das Regime führt – gehört dazu. Die Welt der Technik ist eben nicht dialektisch. „In der Überwachungswelt haben sich Öffentliches und Privates, Unternehmertum und staatliche Institutionen vermischt“, heißt es schön auf „telepolis“ über die Integrationskraft des technischen Prozesses. Die Grenzen zwischen Sicherheitsbehörden und Privatwirtschaft werden also nicht zufällig brüchig. Weitere Grenzen könnten bald fallen.

Auch wir werden schnell selbst zu Organen einer unsichtbaren Autorität. Und – mit Verlaub – überwachen wir nicht auch schon in unseren Netzwerken die politische Korrektheit des Anderen? Für wen die Datenmassen schlussendlich erhoben werden – für unsere Sicherheit, die Wall Street, das Gesundheitsamt oder die Steuerbehörden – bleibt im Grunde offen und steht im eigentlichen Zentrum künftiger politischer Debatten.

In Istanbul geht es immer wieder um das Schicksal der Syrer. Ein Tagungsbericht von Abu Bakr Rieger

(iz). Istanbul wird zweifellos immer mehr zu dem Treffpunkt der islamischen Welt. Im November war die Metropole am Bosporus wieder einmal Tagungsort wichtiger internationaler Konferenzen. Auf dem „Bosporus Summit 4“ eröffnete Staatspräsident Abdullah Gül eine Kontaktbörse für islamische Geschäftsleute und Entscheidungsträger. Im Mittelpunkt der Veran­staltung, die konzeptionell an den Wirtschaftsgipfel in Davos erinnert, stand nicht nur die Rolle der Türkei als Regio­nalmacht, sondern auch die Rolle des „Nahen Osten“ in der Weltentwicklung. Hier – so auch Staatspräsident Gül – ­liegen gerade für Europa wichtige Herausforderungen für die nächsten Jahrzehnte. Gül forderte zwar kein Interven­tionsverbot raumfremder Macht, er rief aber die „islamische Welt“ auf, zunächst selbst aktiv für Lösungen und eine tragfähige Friedensordnung in der Region zu ­sorgen.

Im Mittelpunkt der aktuellen Sorgen steht dabei aus Sicht der Regierung in Ankara natürlich der ungelöste Syrienkonflikt. Nach einigen Jahren der ökono­mischen und politischen Kooperation mit dem Nachbarland, hat sich die Regierung Erdogan schlussendlich für eine harte Anti-Assad Haltung entschieden. Statt Neutralität zu wahren ist das Land nun mehr oder weniger klar auf der ­Seite der syrischen Opposition. Darin sehen nicht nur Kritiker in der AK-Partei selbst durchaus ein außenpolitisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Bei aller verständlicher Empörung über die humani­täre Lage, steht auch die Türkei eher ratlos vor der unübersichtlichen Aufsplitte­rung der Opposition in einige Kleingruppen, deren Agenda auf Dauer kaum abzuschätzen ist. Hinzu kommt, dass sich diese Gruppen immer mehr radikalisieren, je länger der Bürgerkrieg andauert.

Das Dilemma der Türkei ist also offen­sichtlich. Es gibt bisher keine schnelle Lösung. Noch vor kurzem schien die dynamische Außenpolitik der aufstrebenden Wirtschaftsmacht mühelos neue Räume zwischen Sarajevo und Kairo zu erschließen, zwischenzeitlich wurde Ankara sogar eine „neo-osmanische“ Außen­politik vorgeworfen. Heute ist die Lage nach den Ereignissen in Kairo und Damaskus verworren und die alte ­Euphorie über die Rolle als Ordnungsmacht in der Region verflogen. Sicher ist nur, vor den Augen der Weltöffentlichkeit spielt sich jeden Tag eine humanitäre Katastrophe ab. Die UN ist durch die Vetorechte einiger Staaten paralysiert, zum Zuschauen verurteilt und dient eigentlich nur noch, wie Ministerpräsident Erdogan neulich bitter anmerkte, „zum Zählen der Toten“.

Aber, das syrische Problem ist natürlich komplex und die NATO-Staaten angesichts der Rolle des Iran und Russlands mit einigen Gründen nur verhalten aktiv. Der außenpolitische Coup Russlands, nach dem schrecklichen Giftgas-Angriff auf die Zivilbevölkerung, einen bevorstehenden Angriff der USA mit einer Abrüstungsinitiative zu kontern, hat die Kriegsdynamik vorerst beendet. Die Lösung passt auch zur Tendenz in den USA zur „Eisenhower-Doktrin“ zurückzukehren, sich also weniger als Weltpolizist aufzuführen und die eigenen Interessen pragmatischer zu verwalten. Der diplomatische Vorstoß Russlands in Sachen Syrien kam insoweit nicht ganz zur falschen Zeit. Im Moment muss Russland Ergebnisse bei der Abrüstung der Chemiewaffen liefern, Washington spielt dagegen auf Zeit. In Russland und den USA gibt es zudem Stimmen, die dafür plädieren, den Bürgerkrieg einfach sich selbst zu überlassen, denn auf beiden Seiten kämpfen schließlich „bad guys“ gegeneinander. Natürlich wäre ein Zerfall des syrischen Staates, unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges, das Ende der Idee „multiethnischer und multikon­fessioneller“ Staaten. Einher ginge diese Entwicklung mit dem fatalen Eingeständnis der Muslime in der Region, kein Garant mehr für das Wohlbefinden und die Sicherheit von Minderheiten zu sein.

Man könnte nach diesen Lektionen der Realpolitik zur Tagesordnung überge­hen, wäre da nicht nach wie vor das unerträgliche Leid der Zivilbevölkerung. Nicht weit von dem „Bosporus Summit“ befasste sich eine andere Konferenz mit der unerträglichen Lage der Syrer. Die „Lawyers International ­Islamic Organization“, ein Ableger der saudischen Muslim World League, befasste sich mit dem Konflikt und seinen Implikationen für das internationale Recht. Im Kern gingen über 120 anwesende Juristen schlicht der Frage nach, ob das Regime Assad vor dem internationalen Gerichtshof zur Verantwortung gezogen werden könne. Viele Muslime, aus ­deren Sicht Asad schlicht ein Kriegsverbrecher ist, verstehen nicht, warum die Taten des Diktators keine Rechtsfolgen oder Anklagen auslösen.

Zur „Einstimmung“ auf die Konferenz wur­de dann auch ein Video über schlimmste Kriegsgreuel gezeigt. Der Rechtsberater der syrischen Opposition, Haitham al Maleh, wies dann auch in seiner Rede jeden Ansatz mit dem – aus seiner Sicht – „Mörder“ Asad zu verhandeln schroff zurück. Zahlen, die der Oppositionelle bitter präsentierte, verstören tatsächlich noch immer. Über 120.000 Tote, davon etwa 15.000 Kinder, unzählige Verletzte und Millionen Flüchtlinge sind die traurige Bilanz des Schreckens. Al Maleh, der unter dem Vater des aktuellen Präsidenten 7 Jahre in einem syrischen Gefängnis verbrachte, berichtete von hunderten Kilogramm Akten, welche die Kriegsverbrechen des Regimes eindeutig belegen könnten. Der Sprecher der UNIW, einem Dachverband islamischer NGOs, Ali Kurt, sprach ebenfalls von tausenden Dokumenten die seiner Organisation vorliegen. Zwar ist dieses Material bisher nicht ins Englische übersetzt und kann deswegen juristisch nicht von unabhängiger Seite bewertet werden, allerdings liegt es natürlich nahe, diesen Vorwürfen auch rechtlich nachzugehen.

Seit Jahren beklagen Muslime, dass der internationale Gerichtshof in diesen Angelegenheiten scheinbar nur sehr schwerfällig vorgeht. Es ist jedoch nicht unmög­lich, dass der Gerichtshof, der politische Bevormundung stets abstreitet, agiert. Die bosnische Juristin Vasvija Vidovic hat nicht nur jahrelang Beweismaterial gegen die Regierung Milosevic gesammelt, sondern stand auch langjährig unter Todesdrohungen serbischer Extremisten. Vor Jahren habe ich die coura­gierte Frau in Sarajevo besucht, die lange Zeit im Alleingang die Beweise für ­einen der spektakulärsten Strafprozesse Europas zusammengetragen hat. Sie weiß also aus leidvoller und langwieriger Erfahrung, wovon sie spricht. Auf der Konferenz verteidigte sie trotz mancher Unzulänglichkeit das System des internationalen Strafgerichtshofes. Doch, so Vidovic, Erfolg ist möglich, vor allem müsse dagegen fortlaufend auch eine interessierte Öffentlichkeit hinter diesen Verfahren stehen.

Eine Beobachtung, die viele Juristen, die Erfahrung mit den Verfahren in Den Haag haben, teilen. Der Autor dieses Berichtes, selbst Rechtsanwalt, hat ebenfalls eine Eingabe an den Staatsanwalt in Den Haag bezüglich der jüngsten Übergriffe gegen die Rohingya in Birma eingereicht. Nach der Erteilung einer Regis­trierungsnummer ist es aber oft schwer, ohne entsprechenden Druck der Öffentlichkeit, mit dem Staatsanwalt weiter in Kontakt zu treten oder zu kommu­nizieren. Ob und wie die Den Haager Staatsanwaltschaft ermittelt, bleibt so in einigen Fällen eher unklar. Hier spielt das öffentliche Interesse, bis hin zu Medienberichten und Konferenzen, eine wichtige Rolle.

Fakt ist, so zumindest die Meinung vieler Teilnehmer der Konferenz, dass der Internationale Strafgerichtshof im Falle Syriens bisher nicht losgelöst von politischen Vorgaben agiert. Dies liegt auch an der Konstruktion der Römer Verträge, die der Gerichtshof 1998 kons­tituierte, die aber von vielen Staaten nicht ratifiziert wurden. In Staaten wie den USA, Israel und natürlich auch Syrien, welche die Römer Verträge nicht gezeichnet haben, hat der Staatsanwalt zunächst keine „automatischen“ ­Befugnisse.

De facto muss der Staatsanwalt nur ermitteln, wenn ihn der UN-Sicherheitsrat dazu auffordert, er kann jedoch auch selbständig und in jedem Land ­ermitteln, wenn Eingaben und Vorwürfe das Vorliegen eines Genozids oder schwerer Kriegsverbrechen nahelegen. Im Falle Syri­ens hat der Sicherheitsrat, wegen des Vetos von China und Russland keine Schritte unternommen. Es macht dennoch Sinn, eindeutiges Beweismaterial gegen das Regime Asad oder sonstiger Akteure der Den Haager Staatsanwaltschaft zuzuführen, auch wenn die Staatsanwaltschaft immer wieder unter einigem politischen Druck steht und auch weder über Personal noch Mittel verfügt, allen Vorwürfen sofort nachzugehen.

Auf der Konferenz wurde teilweise kontrovers diskutiert, inwieweit der Bürgerkrieg erfolgsversprechend auch mit juristischen Mitteln begleitet werden kann. Dabei gab es durchaus Stimmen, die in dem Engagement internationaler Gerichte nur eine lästige Einmischung in das Kriegsgeschehen sehen. Einige ­Juristen wollen sich schon lieber mit einer Rechtsordnung für die „befreiten“ Gebie­te in dem auseinander fallenden Land befassen. In der Schlusserklärung ­wurde dann auch nicht ausdrücklich die Anklage gegen Asad eingefordert, eine Gruppe von spezialisierten Rechtsanwälten soll aber derartige Klagen und ­Begründungen vorbereiten.

Fazit: Es ist sehr wichtig, dass internationale Gruppen von Juristen die Geschehnisse in Syrien genau beobachten. Mittelfristig könnte der Internationale Gerichtshof die Verbrechen in der Regi­on nach dem Vorbild Bosniens ­durchaus aufarbeiten. Dabei dürfen sich gerade muslimische Juristen nicht politisch instrumentalisieren lassen. Leider wurden auf der Konferenz etwaige Kriegsverbrechen der Oppositionellen oder Übergriffe gegen Minderheiten nicht ausdrücklich verurteilt oder angesprochen. Für die Glaubwürdigkeit der Konferenz, gerade aus islamischer Sicht, wäre es meines Erachtens jedoch wichtig gewesen, diese Vorkommnisse nicht einfach nur als „Notwehr“ abzuhaken.

Am Ende scheint ein Waffenstillstand die Bedingung zu sein, um die Anarchie und Rechtlosigkeit in Syrien schnell zu überwinden. In der Zeitschrift „Internationale Politik“ hat es die Politikwissenschaftlerin Bassma Kodmani, wie ich finde, ganz gut auf den Punkt gebracht: „Im Prinzip ist ein Waffenstillstand am gefährlichsten für das Regime“.

Sind auch „Islamische Banken“ haram?

(iz). Es gehört wohl zu den Ergebnissen der Säkularisierung, dass ­viele Menschen sich längst ein Leben ohne Gott vorstellen können, allerdings kaum mehr ein Leben ohne Banken. Die Einrichtung der „Zettelbanken“ im 18. Jahrhundert haben eine ganze Epoche verändert, ihre neuen Finanzierungstechniken den Lauf der Poli­tik ganzer Jahrhunderte mitbestimmt und nicht zuletzt auch die islamische Welt entscheidend geprägt. Der Zusam­menbruch muslimischer Souveränität und die Erscheinung der Banken fällt dabei zusammen.

Heute erscheint das „moderne Banking“ nicht nur alternativlos, es wird auch als institutionelle Garantie für Wohlstand und Zivilisation gepriesen. Nur, ist das wirklich so? Im Westen hat längst eine breite Debatte über Sinn und Wirkung des Bankensystems begonnen. Zahl­reiche Veröffentlichungen, Bücher und Beiträge beschreiben das Unwesen der Banken, deren Kernkompetenz nach wie vor die Schaffung von Geld aus dem Nichts ist. Aber, es scheint kaum alternative Wirtschaftsmodelle zu geben, die ohne Banken auskommen können und die in diesem Falle nicht sofort unter den Verdacht der naiven Träumerei oder einer abgründigen Rückwärtsgewandtheit stehen. Mehr noch, uns wird heute glauben gemacht, dass ein Leben mit moder­ner Technologie, aber ohne Banken ein absoluter Widerspruch sei. Wer will aber schon zurück zur Steinzeit? Gibt es also wirklich kein ökonomisches Modell, das die Banken ersetzt und die Errungenschaften der Moderne nicht radikal in Frage stellt?

Es lohnt sich hier gerade als Muslime kurz innezuhalten und sich auch nach alternativen Denkansätzen in der eigenen Lebenspraxis umzuschauen. Natürlich, auch in der islamischen Welt ist der Siegeszug der Banken, genauer, der islamischen Banken nicht zu übersehen. Insbesondere der Modernismus der arabischen Welt sah in der Kopie dieser Finanztechnik den Weg zur bitter ­nötigen ökonomischen Machtsteigerung, dem Grunde nach der einzige Weg, das ­eigene Machtdefizit gegenüber der expansiven, westlichen Welt auszugleichen. Heute hat sich aber der Blickwinkel abermals geändert. Das Bankensystem erscheint inmitten der größten Finanzkrise der Menschheitsgeschichte nicht mehr nur als Methode zur Machtsteigerung, sondern vielmehr als Ballast von Gesellschaften, die keinen Ausweg mehr aus der erdrückenden Schuldenlast und dem drohenden Kollaps genau dieser Banken sehen.

In der islamischen Welt wird daher das Phänomen der „islamischen Bank“, also einer Bank die moralischer sein will als „normale“ Banken, spürbar kritischer gesehen. Diese Emanzipation gegenüber den gängigen Modellen zeigt gerade ein ungewöhnlicher Rechtsfall in Pakistan.

Pakistan als der Standort einer intelligenten Debatte über ökonomische Alternativen mag dabei zunächst überraschen. Das Land wird ja mit vielen poli­tischen und ökonomischen Problemen in Verbindung gebracht, dabei gibt in dem geschundenen Land in prekärer Lage weiß Gott auch viele offensichtlich untaugliche oder radikale Lösungsansät­ze. Es gibt aber auch eine Elite, die ganz neue Fragen stellt.

Eine graduelle Abschaffung des gegen­wärtigen Banksystems in Pakistan, ­wegen ihres – aus islamischer Sicht – ­verbotenen rechtlichen Charakters wurde nun im so genannten Riba-Verfahren [arab. für ­ungerechtfertigte Kapitalvermehrung] gefordert. Der langjährige Prozess um das grundsätzliche Verhältnis der pakis­tani­schen Verfassung zur modernen Ökono­mie ist vor dem Bundesstaatlichen Scharia-Gericht (FSC) anhängig. Nachdem in dem Verfahren zwischenzeitlich zehn Jahren untätig vergangen sind, kommt nun neuer Schwung in die Verhandlungen. Eine Partei in diesem vielbeachteten Verfahren zum Thema Riba, stellte inzwischen sogar die Gültigkeit des ganzen pakistanischen Bankwesens – also inklusive Zentralbank und der „Islamischen Banken“ – im Licht der islamischen Lehre in Frage. Dieser kritische Ansatz ­sorgte für einige Aufregung.

Wichtiger Kopf in der wachsenden Fraktion der Bankkritiker, die aus allen gesellschaftlichen Schichten kommen, ist eine mutige Frau. Die ehemalige Abgeordnete des Bundesstaates Punjab, Dr. Humaira Shahid, die eine der Klägerinnen in diesem Fall ist, bemüht sich bei jeder ihrer Wortmeldung darum Alterna­tiven zu dem gegenwärtigen System aufzuzeigen. Das eigentliche islamische Finanzsystem definiert sie dabei durch die Regeln der Muamalat. Die couragierte Geschäftsfrau nimmt bei ihren Ausführungen auch auf das islamische Establishment im Land wenig Rücksicht. Zum Schrecken von Millionen Pakistanern, die ihre Ersparnisse in den letzten ­Jahren bei den „Islamischen Banken“ unterbrachten, eben um Riba zu vermeiden, hat die Antragstellerin in ihrem schriftlichen, dem FSC vorgelegten Dokument, ausdrücklich auch die „Islamischen Banken“ als „haram“ bezeichnet.

„Wir fechten die Idee einer Islamisie­rung von kapitalistischen Einrichtungen und Instrumenten als Täuschung an, die statt zu einer Abschaffung von Riba dazu führte, dass ‘Riba halal’ gemacht wurde“, heißt es in dem Dokument zur Klage. Außerdem seien „Islamische Banken“ und die Nutzung von Papiergeld, so liest man dort, nichts anders als eine Täuschung.

Damit noch nicht genug geht sie auch weiter in die Offensive. „Der ­Murabaha-Vertrag“ so Humaira Shahid ­“wurde zu einem der wichtigsten Instrumente der Islamischen Banken gemacht, um Riba hinter der Fassade des islamischen Vertragsrechts zu verstecken.“ Murabaha ist aus Sicht der Ökonomin ein Verkaufs-Vertrag und gerade keine Vereinbarung zur Finanzierung. Der Preisaufschlag im Murabaha sei nur ein Weg zur Feststellung des Preises von verkauften Güter. Er könne keine Bedingung für eine vorherige Vereinbarung sein, wie es im verbotenen Fall der ‘zwei Verkäufe in ­einem’ geschehe.“

Sie betonte gleichzeitig, dass sich jeder Versuch der Abschaffung von Riba auch darauf konzentrieren müsse, was die Alternative dazu sei. „Dies liegt daran, weil wir nicht etwas abschaffen können, das verboten ist, ohne eine Alterna­tive von dem anzubieten, das erlaubt ist“ erklärt Humaira Shahid.

Bezüglich einer solchen Alternative argumentiert sie nun, dass ein Modell dessen, was halal sei, bereits existiere, und es so auch innerhalb des des Rahmens des islamischen Rechts und der pakistani­schen Verfassung umgesetzt werden könne. Dieses Modell seien, so das Dokument, die Muamalat, das sozio-ökonomischen Modell aller islamischen Gesell­schaften vom Anfang des Islam bis zum Fall des Kalifats.

„Dieses Modell war überraschenderweise mehr oder weniger allen vor-kapitalistischen Gesellschaften (darunter einigen nichtmuslimischen) zu eigen und war zur Zeit von Madina Al-Munawwara vollkommen“, fügte die Klägerin hier hinzu.

Natürlich schließt sie dabei nicht die Nutzung moderner Technologien, wie besipielsweise internetbasierte Zahlungs­systeme auf der Grundlage von Gold oder Silber aus. Humaira Shahid weiß natürlich, dass keinen Weg zurück gibt. „Moderne“ ökonomische Modelle, die dennoch in Harmonie mit dem islamischen Wirtschafstrecht stehen, seien bereits in einigen muslimischen Ländern, wie Malaysia und Indonesien eingeführt worden, betonte Dr. Humaira.

Allerdings glaubt sie nicht an die Möglichkeit der Reform von bestehenden Banken. Im Verfahren fügte sie dann auch hinzu, dass die gegenwärtigen Banken und Finanzinstitutionen dem Gericht bereits selbst mitgeteilt hätten, dass ihre Institutionen nicht ohne Riba operieren könnten.

Über das Modell der Muamalat erfährt man nun vor dem Gericht, dass dazu nicht nur vertragliche Aspekte gehörten, sondern auch Einrichtungen und Ins­trumente, die unterstützen und fördern, was halal sei. Dazu gehörten Golddinare, Silberdirhams, Wadias (Einrichtungen zur sicheren Aufbewahrung), Suqs (offene Märkte), Karawanen (offene Ins­titutionen des fairen Handels), Gilden (offene Produktionseinrichtungen), Waqf/Auqaf (Institutionen der Wohlfahrtspflege), Bai Salam (ein landwirtschaftliches Handelssystem), Bait ul Mal etc. Im Zusammenspiel der Einrichtungen geht es um die Etablierung fairen, globalen Handels und die Bekämpfung von Monopolen.

„Das Problem ist“ so Humaira Shahid „dass viele Muslime diese Modelle und damit ihre Aktualität in der ­momentanen Lage der Finanzmärkte einfach nicht mehr kennen“. In dem von ihr vorgeleg­ten Konzept wird erläutert, dass insbesondere die Einführung von Golddinaren und Silberdirhams, die auch in der Region als Scharia-Währung bekannt sind, wesentlich für die Einführung der Muamalat und damit letztlich für die Abschaffung von Riba seien. Kurzum, das bestehende, inflationäre Papiergeld­system ist für die Klägerin in sich das Problem.

Bezüglich der Praktikabilität solcher Systeme gibt es auch schon praktische Erfahrungen auf die sie verwiesen kann. Dr. Humaira Shahid zeigte in ihren Pressekonferenzen auf, dass 2008 die Regierung des malaysischen Bundesstaates Kelantan sich für die Einführung von Dinar und Dirham als Zahlungsmittel im ihrem Gebiet entschied und allen Staatsangestellten anbot, bis zu 25 Prozent ihres Gehalts in Dinar und Dirham auszuzahlen. „Es geht auch im 21. Jahrhundert ohne Banken“ davon ist die Akademikerin inzwischen völlig überzeugt.

Islam in Südeuropa: Ende September begegneten sich europäische Muslime in Nordzypern

(iz). Willkommen auf der Insel des Islam“ waren die Begrüßungsworte eines Gastredners zur aktuellen Jahreskonferenz der European Muslim Union (EMU) in der Türkischen Republik Nordzypern. Muslimische Vertreter und die ­Organisatoren vor Ort empfingen die ­hochkarätigen, angereisten Muslime aus ganz Europa umso dankbarer, da es seit der Teilung der Insel kaum zu einem Austausch mit anderen Muslimen außerhalb der Türkei kommt.

Aufgrund ungelöster politischer ­Fragen werde es laut der Darstellung eines Vertreters des zypriotischen Muftis den Muslimen der Insel verweigert, ihren Stiftungsbesitz von rund einhundert Moscheen und ähnlichen Gebäuden zu nutzen und autonom zu verwalten. Ein besonders wichtiges Beispiel dafür ist die Hala Sultan-Tekke in der Nähe Lanarkas. Die dort bestattete Tante des Prophe­ten Muhammad, Allahs Segen und Frieden auf ihm, macht den Ort zur wichtigs­ten religiösen Stätte auf Zypern für die dort lebenden Muslime. Aber auch die Ömer Türbesi im nordzyprioti­schen Girne, wo sieben Prophetengefährten bestat­tet sind, zählt zu den frühesten Zeugnissen des Islam auf der Insel.

//2// Muslimische Repräsentanten aus mehr als 20 europäischen Ländern zu Gast in Nordzypern.

Vor dem Hintergrund Zypern (zu Recht wurde gefragt, warum das verschuldete Zypern Teil der EU sein dür­fe, die wirtschaftlich erfolgreiche Türkei aber nicht) tauschten sich die Gäste inner- und außerhalb des Tagungsprogramms über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Islam in Südeuropa aus. Während zeitgenössische „Konservative“, so IZ-Herausgeber und EMU-Präsident Abu Bakr Rieger, oft nur noch die Abgrenzung zu Muslimen als eigene Definition ihrer Identität hätten, sei die historische und kulturelle Anwesenheit des Islam am Nordufer des Mittelmeeres nicht zu leugnen. Insbesondere der renommierte bosniakische Philosoph und Autor Prof. Dr. Ferid Muhic erinnerte daran, dass das heutige Konstrukt eines jüdisch-christlichen Abendlandes – unter Ausschluss der muslimischen Beiträge – an der Wirklichkeit unseres Kontinents vorbeigehe. Von den Balearen, über Sizilien bis Kreta und Zypern ­hätten diese eine prägende Rolle gespielt.

Beileibe nicht nur die Vergangenheit stand im Fokus. Einigkeit bestand bei den Teilnehmern gleichermaßen, dass die europäischen Muslime in der Pflicht stünden, für die schwierigen Probleme der Gegenwart ebenfalls Angebote und Antworten aus dem Islam heraus zu formulieren. Im Angesicht der größten Finanzkrise der Menschheit, so EMU-Präsident Rieger, sei die Zakat eine wichtige Botschaft der Solidarität.

NSU-Prozess & Bertelsmann-Studie: Presseerklärung der European Muslim Union (EMU) zu wichtigen Themen für die Muslime in Westeuropa

(EMU). Der angekündigte Prozess gegen Beate Zschäpe, dem einzigen überlebenden Mitglied des rechtsextremen Terrornetzwerk NSU, vor einem Münchener Gericht sowie die jüngste Veröffentlichung der Bertelsmann Stiftung (einer führenden und einflussreichen Denkfabrik) über anti-religiöse, insbesondere anti-muslimische Einstellungen in Deutschland hat die Europäische Muslimische Union (European Muslim Union EMU) dazu veranlasst, diese beiden wichtigen und zusammenhängenden Fragen zu beleuchten.

Laut Angaben des jüngsten „Religionsmonitors“ der Bertelsmann Stiftung über Einstellungen zu religiösen Fragen in der deutschen Gesellschaft (die sich im weiteren Rahmen auch auf vergleichbare europäische Gesellschaften übertragen lassen) zeichnen aufgrund der Angaben von 14.000 Befragten (lt. dpa-Meldung) ein ambivalentes Bild. Auf der einen Seite begrüßt die Mehrheit aller Personen „religiöse Vielfalt“ in ihrem Land. Auf der anderen betrachten 51 Prozent der Befragten in Westdeutschland (und 57 Prozent im Osten) den Islam als „Bedrohung“ für ihre Gesellschaft. Nach Ansicht der Autoren stehen die Zahlen im Zusammenhang mit Einstellungen in anderen europäischen Ländern und den USA.

Parallel zur Veröffentlichung der Bertelsmann-Erhebung bereitet sich Deutschland auf den lang erwarteten Prozess gegen das einzig überlebende Mitglied des rechtsextremen Terrornetzwerkes vor. Diese Untergrundgruppe soll während ihres Bestands mehrheitlich türkisch-muslimische Opfer ermordet haben. Jenseits der Aufregung um den Umgang des Gerichts mit der Sitzplatzverteilung für Medien sind das Verfahren, aber auch die anhaltenden Untersuchungen zum Hintergrund dieses einheimischen Terrorismus von vorrangiger Bedeutung für die muslimische Gemeinschaft in Deutschland.

//2// Duisburg: Begegnung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in einer der größten Moscheen Deutschlands. (Foto: Mercator Stiftung)

Nach Ansicht der EMU müssen „ein ernsthaftes Verfahren sowie eine gründliche Untersuchung herausfinden, wie und in welchem Ausmaß Elemente der internen Sicherheitsorgane Deutschlands über die Schaffung eines Terrornetzwerkes informiert und gegebenenfalls daran beteiligt waren, das gezielt muslimische Einwohner Deutschlands zu Opfern machte“.

„Weiterhin – und ebenso wichtig – sollten zivilgesellschaftliche und muslimische Vertreter in Deutschland die Frage stellen, auf welche Weise die gleichen Regierungsorgane verdeckte Ermittler – aber auch Agents Provocateurs – innerhalb von radikalen Gruppierungen der muslimischen Gemeinschaft platzierten. Nachweisbare Fälle und Gerichtsverfahren innerhalb und außerhalb Deutschlands sind Grund genug, dass dominante Narrativ einer ‘homegrown‘ Bedrohung durch die muslimischen Gemeinschaften Europas in Frage zu stellen.“

„Trotz dieser Sorge muss festgehalten werden, dass die europäischen Muslime im Allgemeinen natürlich Hand in Hand mit ihren jeweiligen Regierungen gegen jede Form von Terrorismus zusammenarbeiten wollen.“

„Trotz existierender anti-muslimischer Vorurteile ist die beste Antwort darauf ein aktives und positives Engagement innerhalb der europäischen Gemeinschaften“, so das Statement. „Dies beinhaltet offene und attraktive Moscheen und lokale muslimische Gemeinschaften, eine professionelle Medien und PR-Arbeit, aber auch die Entwicklung von sozio-ökonomischen Projekten. Diese belegen die historische Wahrheit, dass aktive muslimische Gemeinschaften immer ein positiver Bestandteil in Europas Geschichte waren.“

„Um dieses Ziel zu erreichen“, so die EMU-Erklärung, „wird es notwendig sein, eine ethnische Re-Orientierung und Selbstisolation von migrantischen muslimischen Gemeinschaften in Westeuropa zu vermeiden. Der erfolgreiche Weg zur Begegnung von negativen Wahrnehmungen ist eine dynamische soziale Realität in Westeuropa und eine Geisteshaltung, die auf die kommende muslimische Identität in Westeuropa fokussiert ist. Diese ist stärker als die überholten ethnischen und politischen Loyalitäten gegenüber den Herkunftsländern ihrer Eltern.“ (Übersetzung: mö)

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Mit seinem Buch „Neo-Moslems“ beschreibt Eren Güvercin das Bild einer neuen Generation. Von Sulaiman Wilms

(iz). Selten schalten sich Deutschlands Muslime hörbar in die Debatte um den Islam ein. Zu sehr sind unsere Repräsentanten durch reaktive, manchmal schwachbrüstige Rhetorik gekennzeichnet. Den wenigen relevanten Stimmen, die es gibt, wird – im Gegensatz zu Randfiguren – nur selten Gehör im Mehrheitsdiskurs geschenkt. Umso höher muss das in den ­nächsten Wochen erscheinende erste Buch des Journalisten Eren Güvercin, „Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation“, bewertet werden. Es ist mit Sicherheit, zumindest von muslimischer Warte, der wichtigste Titel dieser Saison. In drei Kapiteln widmet sich junge Autor der Generation der „Neo-Moslem“, denkt darüber nach, wer bisher was über den Islam in Deutschland zu sagen hatte (und was das zu bedeuten hat) und führt in die Welt der „Neo-Moslems“ ein. Es ist gut, dass der ­Autor den renommierten Herder-Verlag und einen mutigen ­Lektor fand, der sich dieses wichtigen Textes über die Zukunfts­generation der deutschen Muslime angenommen hat.
Um aufgeregte Reflexe und Kurzschlüsse zu vermeiden, sei erklärt, dass der Autor – wie er im Gespräch mit der IZ mitteilte – mit seinen „Neo-Moslems“ keine neue religiöse Kategorie in die Debatte einführen will. Es geht ihm mit Sicherheit auch nicht um die Wiederbe­lebung des verstorbenen „Euro-Islams“. Seine „Neo-Moslems“ haben mit dem Rest der muslimischen Gemeinschaft die gleichen religiösen Grundlagen gemein. Man könnte auch meinen, dass sie ­näher an der Quelle sind als so mancher, der meint, im Namen des Islam sprechen zu müssen.
Auf 190, recht flotten Seiten beschreibt Güvercin eine Welt jenseits einer multimedialen Arena des professionellen Gewäschs oder der dumpfen Hinterhofwelt. Er begegnet muslimischen und nichtmuslimischen Köpfen, die etwas zu sagen haben. Dabei handelt es sich weder um ethnische Ghetto-Größen, die unver­dient „Respekt“ einfordern, noch um die berühmt-berüchtigten Prediger; die beide nichts zu den anstehenden Problemen unserer Zeit beizutragen haben. Die „Neo-Moslems“ sind – anders als der Titel manchen „Liberalen“ hoffen lässt – in einer nachvollziehbaren, aber spirituell vitalen Glaubenswelt verwurzelt.
Wer sind diese „Neo-Moslems“? Sie sind „die junge Generation der Muslime, die (…) sich eben nicht in die Ethnoecke drängen lassen“, beschreibt der Autor das Objekt seiner Reflexion. „Sie sehen sich in erster Linie als Deutsche, machen aber keinen Hehl daraus, Muslime zu sein.“ Vor allem aber seien sie keine „VIP-Migranten und Berufsmuslime“, die in der Islamdebatte mit einer rechtfertigenden Haltung aufträten.
Eren Güvercin beschreibt die neuen, deutschen Muslime – geborene Muslime und solche Menschen, die sich für den Islam entschieden haben – als Gegenent­wurf zur reaktiven Repräsentanz. Diese Muslime der neuen Generation „reagieren nicht, sondern agieren. (…) Sie sind einfach ein Bestandteil der deutschen ­Gesellschaft. (…) Sie provozieren in beide Richtungen“. Kurz gesagt, eine „Herausforderung“, wie der junge Autor sie beschreibt. Was unterscheidet sie von den üblichen Verdächtigen und trennt ihr Denken vom, immer wiedergekäuten Diskurs? „Sie diskutieren nicht über die Integration und den Islam in Deutschland, sondern machen sich Gedanken über die wirklich relevanten Fragen unserer Zeit, sei es die immer weiter fortschreitende Sozialerosion oder auch ganz aktuell die Auswirkungen der Finanzkrise auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie wenden sich gegen die politisch-korrekten Weichzeichner in den Mainstream-Medien. Die willkürliche Verwendung politischer Labels wie ‘liberal’ oder ‘konservativ’ wird nach ihnen der gesellschaftlichen Realität nicht gerecht.“
Man kann diese „Neo-Moslems“ aber nicht verstehen – zumindest in der Sicht ihres Biografen -, wenn man das Schicksal der „goldenen Generation“ außer Acht lässt. „Man kann sich gar nicht vorstellen, was es für ein Abenteuer für meinen Vater gewesen sein muss, als er in den 60er-Jahren aus seinem Dorf bei Gümüshane aus dem Nordosten der Türkei mit dem überfüllten Zug nach einer anstrengenden Reise in Deutschland ankam“, beschreibt Eren Güvercin diesen Schritt seines Vaters.
Diese „Aufbruchstimmung der ersten Generation“ spüre man immer noch, „wenn sie von dieser Zeit erzählen, von ihren ersten Erfahrungen in Deutschland“. Diese jungen Frauen und Männer ­waren sich nicht zu schade, auch die schwerste Arbeit zu verrichten. „Mein Vater erzählt mit glänzenden Augen von seinen ersten Jahren in Deutschland. Mit einigen Verwandten aus seinem Heimatdorf hat er oft 15 Stunden am Tag hart gearbeitet und in Containern oder Arbeiter­wohnheimen gelebt. Trotzdem erzählen alle mit Nostalgie über die harte, aber glückliche Zeit.“ Besonders die Mütter, „die immer noch oft als unmündige, uniforme Masse von Frauen dargestellt werden“, hätten eine immense Rolle mit ihrem großen Sprachschatz und ihrem hellwachen Geist gespielt.
Der Autor der Generation der „Neo-Moslems“ verweist im ersten Teil des Buches zurecht auf die Bedeutung der deutschen Muslime. Damit meint er aber ausdrücklich nicht „skurrile Konvertiten wie Pierre Vogel“, die durch ihre öffentlichen Aufritte das Bild vom muslimischen Deutschen prägen würden und der seine deutsche Identität abgelegt habe „und eine so genannte ‘islamische Identität’“ angenommen habe.
Für Güvercin spielen sie eine wichtige Rolle für die „Neo-Moslems“, deren Eltern aus der Türkei oder arabischen Welt als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Sie würden von den Erfahrungen der deutschen Muslimen (denen der Autor das Kapitel „Deutsch-Deutsche Muslime widmet) profitieren, die sich im Laufe ihres Lebens für den Islam entschieden hätten. Oftmals seien sie eher in der Lage, kritisch über bestimmte unheilvolle Entwicklungen in der islamischen Welt zu reflektieren. Es ist für die muslimische Gemeinschaft in Deutschland sicherlich von Nutzen, würden diese – wie Eren Güvercin beschreibt – als Inspiration und Bereicherung wahrgenommen. Bisher sind sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht nennenswert in den Rängen des organisierten Islam vertreten.
„Deutsche Muslime revoltieren nicht etwa gegen unser deutsches Erbe, im Guten wie im Schlechten, sie ziehen einfach nur eine andere Quintessenz daraus“, zitiert der Auto den IZ-Herausgeber Abu Bakr Rieger. „Für deutsche Groß-Intellektuelle, die sich gerne gegen ‘Kopftuchmädchen’ und ‘Extremfälle aus dem Milieu’ positionieren, sind wir deutschen Muslime ernst zu nehmende Sparringspartner.“ Vielleicht sei das eben auch der Grund, spekuliert Eren Güvercin, „wieso Freidenker wie Rieger aus der öffentlichen Islamdebatte ausgeschlossen“ ­werden.
Neben dieser Gruppe bezieht sich der junge Autor auf eine „neue kulturelle Avantgarde“ als wichtige Inspira­tionsquelle für die „Neo-Moslems“. Obwohl Migranten lange Zeit ausschließlich als „Gastarbeiter“ angese­hen worden, „gibt es bereits seit drei Generationen Kulturschaffende unter ihnen“. Für den Autor ist dies – neben Künstlern wie Fatih Akin, Neco Celik oder Renan Demirkan – der ­Schriftsteller Feridun Zaimoglu. Zaimoglu, der sich seit Jahren mit relevanten (und deutlichen) Beiträgen an der Islamdebatte beteiligt, gebe vielen „durch seine Texte und Auftritte Selbstbewusstsein“.
Die „Neo-Moslems“ lassen den Leser bis zum Schluss nicht los. Am Ende entwickelt Güvercin die positiven Begriffe der „Gemeinschaft“ und der „Tugend“, die er (in Gesprächen und durch seine Reflexion) im Gegensatz zur (oft virtuellen) „Community“ beziehungsweise zu den „Werten“ sieht. „Die wirkliche, die lebendige Communio [die Gemeinschaft der Gläubigen] – in der Moschee etwas – werden von den diversen Communities unter Druck gesetzt, die ein sehr partielles Heil versprechen und jedem garantiert nicht böse sind, sobald er auf dem Markt der Möglichkeiten sich anders orientiert.“
Die Tugend ihrerseits werde „von den westlichen Wertegemeinschaftlern“ verdächtigt, weil sie immer mit der ­Religion zusammenhänge. „Und vor der haben die ratlosen Europäer eine Angst – deswegen ihre Flucht in die Werte (…).“
Eren Güvercin, Neo-Moslems: Porträt einer deutschen Generation, Herder Verlag, erscheint am 24. April, 200 Seiten, Taschenbuch, ISBN: 978-3451304712, Preis: 14,00 Euro

Kleine Zeitungen haben es schwer. Gut, dass es sie noch gibt. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Was wäre unsere Medienlandschaft ohne all die ­kleinen Zeitungen, ungewöhnlichen Magazine und abseitigen Nischenprodukte? Was wäre die Meinungs­freiheit wert, wenn Minderheiten nicht mehr die Möglichkeiten hätten, sich selbst öffentlich und möglichst professionell darzustellen? Na klar, dann ­würde nicht nur das Salz in der Suppe fehlen, sondern wir hätten bald auch einen ziemlich faden Einheitsbrei. So sehen es zumindest die kleinen Verlage selbst. Es muss also auch weiter kleine Zeitungen geben! Wer hätte sonst so klar formuliert, dass der Islam auch ökonomische Lösun­gen anbietet, die Lehre nichts mit Selbstmordattentätern zu tun haben will und dass es auch deutsche Muslime gibt?

Bei über drei Millionen Muslimen im Lande sollte auch ein islamisches Medium seine Daseinsberechtigung haben. Aber man mache sich andererseits ­keine Illusionen: Für die Kleinen ist das Überleben heute noch schwieriger geworden. Man kann sich als Nischenprodukt betriebswirtschaftlich aufstellen, wie man will, der Berg der Rechnungen wird immer nur größer. Leider. Aber auch der Vertrieb kann Kummer machen. Im Internet gibt es die „billige“ Konkurrenz hunderter Nachrichtenseiten von ­Profis und Amateuren und eine Abo-Zeitung benötigt eben Abonnenten und davon gibt es immer zu wenige. Also ein guter Moment, zunächst den Abonnenten zu danken, die uns auch mit kleinen Geldbeuteln die Treue halten. Ohne sie, unsere AbonnentInnen gäbe es keine 200. Ausgabe und ohne einige mehr, unter uns gesagt, wird es auch die 300. Ausgabe, bei allem Gottvertrauen, wohl eher nicht geben.

Aber das sind die Sorgen von morgen. Heute freuen wir uns, dass es die Islamische Zeitung als ein unabhängiges Sprachrohr der Muslime in Deutschland überhaupt gibt. Wir bemühen uns jedenfalls, trotz einiger dunklen Wolken am Horizont der „kleinen“ Zeitungsmacher, weiter ein Qualitätsprodukt auszuliefern. Also eine Zeitung, die lieber differenziert als polemisiert, auf Grundlagen Wert legt, den Unterschied zwischen Ideologie und Lebenspraxis begreift und so nicht über jedes Stöckchen zwischen den Polen der Moderne und der Tradition springt. Eine Zeitung eben, mit der all diejenigen gut leben ­können, die die Offenbarung fasziniert, unser Prophet begeistert und mit der Vielfalt der Muslime ganz gut leben können. Gerne ärgern wir auch die Kritiker weiter, die sich ein dumpfes Bild der Muslime wünschen. Kurzum, die Islamische Zeitung ist längst Teil der deutschen Kulturlandschaft – gerade auch dank der vielen AbonnentInnen, die gar keine Muslime sind. Hier ist die Ausgabe 200, viel Spaß beim Lesen!