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Wahl in der Türkei – Entscheidung fällt in Stichwahl

Türkei Wahl Erdoğan
Foto: Metin Ülker, Shutterstock

Türkei: Das Rennen um das Präsidentenamt zwischen Amtsinhaber Erdoğan und seinem Herausforderer Kılıçdaroğlu war knapp – und geht wohl in eine zweite Runde. Von Mirjam Schmitt, Anne Pollmann und Linda Say

Istanbul (dpa/iz/KNA). Nach 20 Jahren an der Macht muss sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan voraussichtlich erstmals einer Stichwahl stellen. Beim Stand von 99 Prozent der ausgezählten Wahlurnen im Inland und rund 84 Prozent im Ausland liege er bei 49,40 Prozent der Stimmen, sagte der Chef Wahlbehörde, Ahmet Yener, in Ankara am Montag laut der staatlichaen Nachrichtenagentur Anadolu.

Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu kam demnach auf 44,96 Prozent. Beide verfehlten damit die absolute Mehrheit von 50 Prozent, weswegen eine Stichwahl am 28. Mai das wahrscheinlichste Szenario ist. Insgesamt waren rund 64 Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen, davon rund 3,4 Millionen im Ausland.

Der seit 20 Jahren als Ministerpräsident und Präsident regierende Erdoğan hat damit besser abgeschnitten, als von vielen Beobachtern erwartet, müsste aber zum ersten Mal in eine Stichwahl. Noch in der Nacht gab er sich siegessicher. Auch Kılıçdaroğlu zeigte sich optimistisch. Sein Oppositionsbündnis werde am Ende gewinnen und der Türkei die Demokratie zurückgeben, sagte er. Die Opposition warf dem  Erdoğan-Lager zudem Manipulationsversuche während der Wahl vor.

Stichwahl Türkei: Wechselwähler und Oğan-Anhänger sind entscheiden

Entscheidend in der Stichwahl könnte sein, wie sich die Wählerschaft des Drittplatzierten Sinan Oğan (Ata-Allianz) verhält. Bislang ist offen, ob er eine Wahlempfehlung abgibt, wie diese ausfallen würde und ob seine gespaltene Anhängerschaft ihr folgen würde. Es ist nicht ausgemacht, dass Erdoğan profitieren würde.

Die Endergebnisse wurden bis Montagvormittag noch nicht verkündet. Es war unklar, wann damit zu rechnen ist. Wähler mit türkischem Pass in Deutschland und anderen Ländern würden im Fall einer Stichwahl zwischen dem 20. und 24. Mai ihre Stimme abgeben können.

Angesichts des Wahl-Krimis zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu wertete der Drittplatzierte sein schwaches Abschneiden (rund 5,2 Prozent) als Erfolg. Mit seinem Lager wollte er nun über das weitere Vorgehen beraten. „Wir werden niemals zulassen, dass die Türkei in eine Krise gerät“, sagte Oğan in der Nacht zu Montag.

Foto: Abdülhamid Hoşbaş, Anadolu Ajansi

Deutschland: Mehrheit der türkischen Wähler hier für Erdoğan

Die Mehrheit der Türken in Deutschland hat nach Einschätzung des Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in der Bundesrepublik für Präsident Recep Tayyip Erdogan gestimmt. Der Vorsprung werde aber nicht mehr so groß sein wie bei der Präsidentschaftswahl 2018, sagte Gökay Sofuoğlu in einem vorab veröffentlichten Interview des Deutschlandfunks.

Die vergleichsweise hohe Zustimmung zu Erdogan unter den TürkInnen in Deutschland liege daran, dass sich der Präsident ihnen gegenüber als Kümmerer gezeigt habe, erklärte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde. Der Bau neuer Flughäfen in der Türkei habe Reisen in die Heimat erleichtert und das Gesundheitssystem sei für Auslandstürken attraktiver geworden.

Er machte die deutsche Politik mitverantwortlich für das Image Erdoğans hierzulande. Es sei nicht genug dafür getan worden, eingewanderten Menschen zu zeigen, wie wertvoll sie für Deutschland seien. Vieles wecke bei ihnen das Gefühl, nicht zugehörig zu sein. Sofuoğlu begrüßte die Pläne der Bundesregierung, TürkInnen die doppelte Staatsangehörigkeit zu ermöglichen. 

Regierungsallianz liegt bei Parlamentswahl vorn

Die Wahlbehörde gab das Ergebnis der Parlamentswahl zunächst nicht bekannt. Es zeichnete sich jedoch ab, dass Erdoğans Regierungsallianz ihre Mehrheit verteidigen konnte. Der Präsident hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 weitreichende Befugnisse, das Parlament mit seinen 600 Abgeordneten ist dagegen geschwächt.

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Foto: andriano_cz, Adobe Stock

Opposition gibt sich kämpferisch

Auch wenn Erdoğan in zwei Wochen noch immer gewinnen kann – für den 69-Jährigen ist das Ergebnis ein Rückschlag. Seit er 2003 zunächst zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hat er jede landesweite Wahl gewonnen. Seit 2014 ist er Staatspräsident. Die Aura des Unbesiegbaren geht ihm durch die Stichwahl verloren. Erdoğan zeigte sich in der Nacht zu Montag dennoch gut gelaunt vor jubelnden Anhängern in Ankara und stimmte ein Lied an.

Der 74-jährige Kılıçdaroğlu trat in der Nacht gemeinsam mit den Parteichefs seines Sechser-Bündnisses vor die Presse. „Erdoğan hat trotz seiner Diffamierungen und Beleidigungen nicht das Ergebnis erreicht, das er sich erwartet hatte“, sagte er.

Alle Seiten sehen sich nun mit einer vollkommen neuen Situation konfrontiert – eine Stichwahl gab es noch nie. Der Präsident wird erst seit 2014 direkt vom Volk gewählt.

Parlament könnte ausschlaggebend sein

Alle Augen schauen nun auf die Große Nationalversammlung in Ankara. Erdoğans AKP und ihr Partner MHP werden dort ihre absolute Mehrheit voraussichtlich halten können. Sollte Kılıçdaroğlu bei einer Stichwahl gewinnen, könnten sich Parlament und Präsident theoretisch blockieren, was zu einer Regierungskrise führen könnte

Zwar kann der Präsident ohne Zustimmung des Parlaments ein Dekret erlassen, verabschiedet das Parlament aber ein Gesetz zum selben Thema, würde das Dekret ungültig. Es kommen in jedem Fall schwierige zwei Wochen auf die Türkei zu. Die Landeswährung Lira könnte durch die unsichere Situation weiter an Wert verlieren.

Ein Kommentar zu “Wahl in der Türkei – Entscheidung fällt in Stichwahl

  1. Heute sah ich im heute journal aus Ankara, Deutschtürken, die zwar nur in Deutschland leben wollen doch Erdogan wählen und Türken, die am liebsten auswandern würden, vor allem Frauen.

    Ich schlage vor, die leicht “abgehobenen” jungen Deutschtürk:innen gehen in die Türkei und erdulden dort ihre Wahl.

    Dafür nehmen wir alle Fluchtwilligen auf.

    Das passt dann für beide Staaten besser.

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