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UN-Bericht zur Menschenrechtslage in Xinjiang kommt „reichlich spät“

Uiguren
Foto: Adobe Stock

Was die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte nur Minuten vor ihrem Amtsende veröffentlicht, hat es in sich: Ihr Büro wirft China massive Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang vor.

Genf (dpa). In der chinesischen Region Xinjiang sind nach Einschätzung des UN-Menschenrechtsbüro womöglich Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden. Zu diesem Schluss kommt die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, in ihrem seit Monaten mit Spannung erwarteten Bericht. Sie veröffentlichte ihn am Mittwochabend um kurz vor Mitternacht – zehn Minuten vor dem Ende ihrer Amtszeit. Die Beschreibungen von Menschen, die in so genannten Berufsbildungseinrichtungen festgehalten wurden, hätten Muster von Folter oder anderen Formen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung aufgezeigt, heißt es darin.

„Das Ausmaß der willkürlichen und diskriminierenden Inhaftierung von Angehörigen der Uiguren und anderen überwiegend muslimischen Gruppen (…) könnte internationale Verbrechen, insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, darstellen“, heißt es in dem Bericht. Den Menschen seien von 2017 bis 2019 und möglicherweise darüber hinaus fundamentale Rechte vorenthalten worden.

China hatte sämtliche ähnlich lautende Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen bereits als Lügen zurückgewiesen.

In den von China als Berufsbildungseinrichtungen bezeichneten Anstalten sei es „zu willkürlichen Inhaftierungen in großem Umfang“ gekommen, heißt es in dem Bericht. Die Einweisung sei „eine Form des Freiheitsentzugs“ gewesen. Es habe glaubhafte Berichte über Vergewaltigungen gegeben, aber das Ausmaß sei nicht festzustellen gewesen. „Das pauschale Leugnen aller Anschuldigungen durch die Regierung sowie (…) Angriffe auf diejenigen, die über ihre Erfahrungen berichtet haben, haben die Demütigung und das Leid der Überlebenden noch verstärkt“, heißt es in dem Bericht.

Die genaue Zahl der Betroffenen sei nicht zu ermitteln gewesen. Das Büro zitiert Quellen, die von bis zu einer Million Inhaftierten sprechen. Die Menschen, mit denen das Büro sprach, hätten berichtet, dass sie von Bewaffneten bewacht wurden und sie die Einrichtungen entgegen chinesischer Darstellung nicht nach freiem Willen verlassen konnten. Sie hätten keinen oder kaum Kontakt zu ihrer Familie gehabt und seien vor Gesprächen gezwungen worden, sich positiv zu äußern.

Die Behörden hätten weitgehende Macht über die Inhaftierten gehabt, und es habe keine Garantien für einen Schutz vor Missbrauch gegeben. Die chinesischen Definitionen von Terrorismus und Extremismus, mit denen Peking seine Vorgehensweise in der Region gerechtfertigt habe, seien vage, moniert das UN-Menschenrechtsbüro.

Der Bericht sollte schon im vergangenen Jahr veröffentlicht werden. Bachelet zögerte aber, weil sie mit China monatelang darüber verhandelte, ins Land reisen zu können. Sie habe immer auf Dialog gesetzt, teilte sie am Mittwochabend mit. „Dialog (…) bedeutet nicht, dass ich etwas dulde, übersehe oder die Augen verschließe“, sagte Bachelet. „Und es schließt nicht aus, seine Meinung zu sagen.“ Bachelet stand unter immensem Druck, wie sie vergangene Woche berichtete. Während viele Regierungsvertreter mit wachsender Ungeduld auf die Veröffentlichung gepocht hätten, habe sie auch einen Brief von rund 40 Regierungen erhalten, die sie drängten, von der Veröffentlichung abzusehen. Einzelne Länder nannte sie nicht.

Menschenrechtler begrüßen UN-Bericht

Menschenrechtsorganisationen haben den veröffentlichten Bericht des UN-Menschenrechtsbüros gelobt. „Die Opfer und ihre Familien, die von der chinesischen Regierung lange verunglimpft wurden, sehen endlich, dass ihre Verfolgung anerkannt wird“, sagte John Fisher von der Organisation Human Rights Watch (HRW) in Genf.

Betroffene könnten sich nun an die UN und deren Mitgliedsstaaten wenden, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sagte Fisher zu dem Report. HRW forderte den UN-Menschenrechtsrat auf, eine unabhängige Untersuchungskommission einzurichten. Der Rat tagt ab dem 12. September in Genf. Unter den 47 Mitgliedern sind zur Zeit Deutschland und auch China. „Noch nie war es für das UN-System so wichtig, Peking die Stirn zu bieten und den Opfern beizustehen“, sagte Fisher.

Auch die Menschenrechtsorganisation International Service for Human Rights (ISHR) forderte Konsequenzen. „Dieser Bericht ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Rechenschaft über Rechtsverletzungen an Uiguren und türkischen Muslimen in China“, teilte Exekutivdirektor Phil Lynch mit. Das Verhalten Chinas dürfe nicht weiter geduldet werden, meinte ISHR-Programmdirektorin Sarah Brooks.

GfbV fordert Konsequenzen in Deutschland

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüßt den UN-Bericht über Menschenrechtsverletzungen in der chinesischen Provinz Xinjiang / Ostturkestan und fordert Konsequenzen auch in Deutschland. „Dieser UN-Bericht bestätigt endlich die längst bekannten Vorwürfe gegen chinesische Behörden. Deutsche Unternehmen in der Region haben nun keine Ausrede mehr: Sie müssen sich aus Xinjiang zurückziehen“, erklärt Hanno Schedler, GfbV-Referent für Genozid-Prävention und Schutzverantwortung. „Auch die Bundesregierung muss jetzt deutliche Töne anschlagen, die Verbrechen bei der kommenden Sitzung des UN-Menschrechtsrates ganz oben auf die Agenda setzen und die weitere Aufklärung vorantreiben.“

Der Bericht der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte komme reichlich spät. „Zahlreiche Opfer und ehemalige Lagerbeschäftigte haben die Verbrechen bezeugt. Die Vielzahl der schrecklichen Maßnahmen der chinesischen Regierung hätte schon vor mehreren Jahren eine eindeutige Antwort der Vereinten Nationen und ihrer Mitgliedsstaaten gebraucht“, so Schedler.

Mit der Zerstörung von Moscheen und Friedhöfen, der massenhaften Inhaftierung von Uiguren und Kasachen in Umerziehungslagern, absurd langen Gefängnisstrafen, Folter, Trennung von Familien und Indoktrination von Kindern in staatlichen Waisenhäusern sowie der Zwangssterilisierung von uigurischen und kasachischen Frauen wolle die chinesische Regierung die muslimischen Nationalitäten der Region langfristig dezimieren. Übrigbleiben sollten nur auf Linie der Kommunistischen Partei gebrachte Menschen, die nichts mehr über ihre ursprüngliche Kultur und Sprache wissen.