Visionär und scharfsinniger Analyst – 150 Jahre Max Weber

München (dpa) – Max Weber (1864-1920) erlebte, wie der Erste Weltkrieg seine Welt erschütterte, war erst überzeugter Nationalist, später Mitgründer der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Heute wird er vor allem als Begründer der deutschen Soziologie gefeiert. Generationen von Politikstudenten lernten seine Definitionen von Macht und Herrschaft auswendig – und noch heute werden seine Theorien immer wieder herangezogen, um das aktuelle Zeitgeschehen zu erläutern, es verstehbar zu machen.

Zu seinem 150. Geburtstag in diesem Jahr (21. April) sind neue Bücher erschienen, Jürgen Kaube und Dirk Kaesler haben neue Biografien geschrieben – und in München arbeitet die Bayerische Akademie der Wissenschaften seit 1976 an der Max-Weber-Gesamtausgabe. Aktuell ist er noch immer.

«Er war halt einfach ein Kluger», sagt Kaesler, der gerade das Buch «Max Weber – Preuße, Denker, Muttersohn» auf den Markt gebracht hat. Ein Kluger, dessen Ideen die Grundlage für viele weitere Theorien lieferten – in der Soziologie, in Rechts-, Wirtschafts- und Religionswissenschaft. «Max Weber ist heute der unbestrittene Großklassiker einer ganzen Batterie von Disziplinen», sagt Kaesler.

«Er leidet an der zeittypischen “Nervenkrankheit”, arbeitet wie besessen und vollendet dennoch kaum ein Buch», schreibt Kaube in seiner Biografie «Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen». «Am Ende seines Lebens war von der Welt, in die er hineingeboren wurde, nichts mehr übrig, und er hinterließ ein riesiges Werk – vor allem in Fragmenten.»

Vieles von dem, was Weber vor mehr als einhundert Jahren unter anderem in «Die protestantische Ethik und der “Geist” des Kapitalismus» oder in seinem posthum erschienenen Hauptwerk «Wirtschaft und Gesellschaft» zu Papier brachte, ist ungebrochen aktuell. Er war «der vielversprechendste Gelehrte seiner Generation, ein Exponent der protestantischen, preußischen, großbürgerlichen Elite», schreibt Kaube.

Seine bis heute ungebrochene Bedeutung liegt vor allem an seinen zwei großen Themen: dem Kapitalismus und der Bürokratie. Wie viele seiner Zeitgenossen befasste auch Weber sich mit dem Phänomen des Kapitalismus, dem modernen, rationalen Betriebskapitalismus, dessen Allmacht und Alternativlosigkeit er früh betonte.

«Sich zu seiner Zeit mit dem Kapitalismus zu befassen, war nicht gerade originell», sagt Autor Kaesler zwar. Aber: «Weber hat bereits zu Lebzeiten erkannt, dass die Bürokratisierung sämtlicher Lebensbereiche eine Schicksalsmacht ist, eine solche Macht über die Menschheit, dass der private Lebensbereich Gefahr läuft, in ihren Herrschaftsbereich zu geraten.»

Dies alles habe Weber, den Kaube in seinem Buch als «Bürger zweier Welten» beschreibt, herausgearbeitet. «Wer leugnen möchte, dass diese beiden Mächte zunehmend alle Gesellschaften beherrschen, der lebt nicht in dieser Welt», sagt Kaesler.

Eine hoffnungsvolle Zukunft ist es allerdings nicht, die Weber entwirft. «Nein, da ist Weber keine Quelle des Optimismus und der Freude – eher der düsteren, schrecklichen, apokalyptischen Weltsicht», sagt Kaesler. «Die individuelle Freiheit wird bedroht, wenn nicht gar vernichtet.»

Auch wenn die Bedeutung Webers für die deutsche Geistesgeschichte jahrzehntelang unbestritten war und auch heute wieder unbestritten ist – es gab auch eine schwere Zeit für den großbürgerlichen Klassiker. «In den 1960er und 70er Jahren war Max Weber die Inkarnation der schlechten Soziologie, der bürgerlichen Soziologie», sagt Kaesler über die Zeit, in der die Frankfurter Schule die Hoheit über die deutsche Soziologie innehatte.

Zu Hilfe kam dem Klassiker damals ausgerechnet Jürgen Habermas. «Er hat Weber gegen die Vorwürfe in Schutz genommen», sagt Kaesler. «Ab Mitte der 1970er Jahre war das Verdikt über Weber hinfällig. Heute ist er ohne jede Frage der Klassiker – nicht nur für die Soziologie, auch für die Geschichtswissenschaft, die Politikwissenschaft und die Juristen.»

Eines aber kann dieser Klassiker nicht: Zwar kommentierte Weber das Zeitgeschehen während des Ersten Weltkrieges, für das Zeitgeschehen von heute aber können seine Überlegungen nur begrenzt herangezogen werden. «Max Weber kann nichts zur großen Koalition oder zur Krim-Krise sagen», betont Kaesler.

«Er ist ein Mann, der 1864 geboren wurde und 1920 gestorben ist. Damit ist er keiner der Unseren, kein Zeitgenosse. Jemand, der 1920 gestorben ist, hat so viele historische Brüche nicht mitbekommen, dass er das Weltgeschehen von heute nicht in Einzelheiten kommentieren kann.» Und doch: «Jemand, der die Bedeutung von Kapitalismus und Bürokratie so klarsichtig erkannt hat, verdient auch, dass er 150 Jahre nach seiner Geburt gewürdigt wird.»