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Vor der Wahl bleibt die Stimmung zu Flüchtlingen geteilt

Foto: Eweht, Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Bonn (KNA). Im Nachhinein scheint der Spätsommer 2015 nur ein Traum gewesen zu sein: Menschen, die Fremde mit Teddybären an Bahnhöfen begrüßen, Helfer, die mit dem Sortieren gespendeter Kleidung kaum nachkommen, eine Kanzlerin, die optimistisch-zupackend erklärt: „Wir schaffen das.“ Zwei Jahre liegen die Tage der „Willkommenskultur“ jetzt zurück.
Der Satz, den Angela Merkel (CDU) am 31. August 2015 sagte, ist längst einer für die Geschichtsbücher. „Wir schaffen das“ ist Symbol geworden – und Referenzgröße: Wer irgendetwas rund um das Thema Flüchtlinge, Integration, Islam kritisch sieht, der widerspricht der Parole. Wer sich zuversichtlich geben möchte, sagt dagegen, manches sei schwierig, aber: „Wir schaffen das.“
Ernüchterung folgte spätestens nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015/2016. Wenige Tage danach wurde „Gutmensch“ zum Unwort des Jahres 2015 gekürt. Toleranz und Hilfsbereitschaft würden damit pauschal als naiv, dumm und weltfremd oder als Helfersyndrom diffamiert, erklärten die Sprachkritiker. Rechtspopulisten schreckt das nicht ab – sie nutzen den Begriff weiterhin, ebenso das Unwort des Folgejahres, „Volksverräter“.
Nach den Gewalttaten in der Domstadt und anderen deutschen Städten hätten sich die Vorurteile verschlimmert, sagten Flüchtlingshelfer schon wenige Wochen später. Immer wieder wurde eine offene Debatte gefordert, zum Beispiel über die Frage, ob die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Migrationshintergrund der Verdächtigen beziehungsweise der Täter stehen. Tatsächlich war sie zumeist von Ressentiments durchsetzt.
Kaum jemand sehe in den Flüchtlingen noch Menschen, schrieb die Syrien-Expertin Kristin Helberg bereits vor einem Jahr in ihrem Buch „Verzerrte Sichtweisen“. Nach dem blutigen Sommer 2016 mit Anschlägen in Nizza und Rouen, Würzburg und Ansbach schien die Stimmung endgültig zu kippen. Politiker und Kirchenvertreter berichteten von zunehmenden Anfeindungen.
Inzwischen belegen Studien, dass die Stimmung im Land geteilt ist. Laut einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) aus dem Frühjahr überwiegt im Osten die Skepsis, während es im Westen eine Tendenz zur positiven Sicht gibt. Allerdings verschiebe sich das Bild bei differenzierenden Nachfragen, so die Sozialforscher: So sagten 38,8 Prozent der Befragten, abgelehnte Asylbewerber sollten „in jedem Fall“ abgeschoben werden. Sie stimmten jedoch bestimmten Einschränkungen zu: etwa Abschiebungen nach Straftaten (89,7 Prozent) oder nur dann, wenn den Betroffenen im Heimatland keine Lebensgefahr oder Verfolgung drohe (63,2 Prozent).
Ein Stimmungsbarometer auf Basis von Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab, dass weiterhin ein großer Teil der Bevölkerung bereit ist zu helfen. Im Verlauf des Jahres 2016 sei die Hilfsbereitschaft leicht gesunken. Unterdessen kommen weiterhin jeden Monat mehrere Tausend Menschen nach Deutschland. Im Wahlkampf kommt das Thema vor allem im Zusammenhang mit innerer Sicherheit oder dem Grenzschutz vor. In Bayern wird über das Kirchenasyl gestritten, Seenotretter gelten kaum noch als Vorbilder wie der im Mai 2016 gestorbene Rupert Neudeck.
In der Berichterstattung lässt sich der Stimmungsumschwung nachvollziehen: Vor zwei Jahren hätten Journalisten vielfach die Losungen der politischen Elite übernommen, sagte kürzlich der Leiter einer Studie der Otto Brenner Stiftung, Michael Haller. Dies habe zu einer „Frontenbildung“ im Land beigetragen. Nach Köln seien Ängste und Sorgen der Bevölkerung stärker thematisiert worden.
Der Medienwissenschaftler Thomas Hestermann warnte in diesem Zusammenhang jedoch vor einer Verstärkung von Vorurteilen. Laut seiner vor kurzem vorgestellten Studie hat sich nach den Silvester-Vorfällen ein Muster mit negativem Fokus verfestigt. Die Perspektive der Flüchtlinge bleibe meist außen vor. In einer emotionalisierten Diskussion sei offenbar vor allem das Grelle gefragt, sagte Hestermann der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Vermittelnde Positionen, etwa die der Kirchen, fielen „schnell durch den Rost“.
Der Historiker Tillmann Bendikowski betont, dass viele Freiwillige weiterhin „lautlos“ im Einsatz seien. „Beispielsweise mit Flüchtlingskindern zu spielen, wofür man als Qualifikation vor allem guten Willen mitbringen muss – das machen immer noch viele Menschen“, sagte der Autor des Buchs „Helfen. Warum wir für andere da sind“ der KNA. Diese Menschen leisteten pragmatische, bodenständige Hilfe, die oftmals nicht politisch motiviert sei: „Die Kulturtechnik des Helfens taucht vielleicht etwas unter dem Getöse des Wahlkampfs ab – funktioniert aber weiter.“