
Welchen Ausgang der Streit um Kopftuch und Neutralitätsgesetz in Berlin nimmt, hängt von einer künftigen Koalition ab.
(iz). Am 12. Februar wurde in Berlin – dieses Mal mit weniger Fehlern – die gerichtlich beschlossene Nachwahl zum Senat vollzogen. Für die mit grünen und linken bestimmende SPD unter der Regierenden Bürgermeisterin Katharina Giffey war es ein Donnerschlag. Nicht nur verlor sie drei Prozent aller Wählerstimmen. Die bisherige Regierungspartei konnte kein einziges Direktmandat erlangen und musste erleben, wie die CDU unter Kai Wegner mit einem Zugewinn von 10,2 weitaus stärkste Partei der Hauptstadt wurde.
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Koalition bestimmt weiteres Vorgehen
Vollkommen offen ist, wer das häufig chaotisch erscheinende Berlin zukünftig regieren sollte. Für eine Fortsetzung von Rot-Grün-Rot (RGR) reicht es. Ebenso möglich sind Schwarzgrün, das mehr Wählerlegitimation hat, sowie eine Große Koalition. Klar ist: Auch dieses Mal wird nur ein Parteienbündnis im Stadtstaat die Amtsgeschäfte leiten. Welches das nach Ende von Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen sein wird, hat mit großer Sicherheit direkte Auswirkungen auf die dortigen Muslime.
Einer der zwischen Politik und Muslimen sowie den Parteien selbst umstrittenen Punkte sind die durch das Berliner Neutralitätsgesetz begründeten Verbote von Kopftüchern bei Bildung, Polizei und Justiz. Anfang des Jahres hatte der Senat ein Verfahren zur Aufrechterhaltung der Regelung vorm Bundesverfassungsgericht verloren. Demnach dürfe muslimischen Lehrerinnen in Berlin nicht pauschal die Kopfbedeckung verboten werden. Die Verfassungsbeschwerde war Folge eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 27. August 2020. Es hatte unter Berufung auf die Religionsfreiheit eine allgemeine Restriktion für Pädagoginnen als grundgesetzwidrig bezeichnet.
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Union und Teile der SPD wollen am Verbot des Kopftuchs festhalten
Nach Unterzeichnung der letzten Koalitionsvereinbarung der drei Parteien im Spätherbst 2021 kündigten die Partner eine Gesetzesänderung an, sollte das Karlsruher Gericht bei seiner Entscheidung zum Kopftuch von Lehrerinnen bleiben. Das seit 2005 geltende Neutralitätsgesetz ist die in Deutschland weitestgehende Regelung.
Unter Verweis auf die Neutralität des Staates untersagt sie einem Teil der staatlichen Beschäftigten im Dienst auffällige religiöse und weltanschauliche Symbole und Kleidung. Ob und im Rahmen welcher politischen Verhältnisse das Gesetz geändert werden kann oder abgeschafft werden muss, ergibt sich erst nach einem erfolgreichen Abschluss von Koalitionsverhandlungen.
Die kirchenpolitische Sprecherin der CDU im Abgeordnetenhaus, Cornelia Seibeld, wertete das Karlsruher Urteil „als klaren Auftrag, dieses Gesetz so fortzuentwickeln, dass es rechtssicher wird“. Sie betonte zugleich, dass die CDU hier weiter zum Ziel der bestehenden Regelung stehe. „Es kann nicht geduldet werden, wenn religiöse Symbole wie das Kopftuch in staatlichen Einrichtungen demonstrativ zur Schau gestellt werden. Das würde den Frieden und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährden“, so die CDU-Sprecherin Seibeld.
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Kristin Brinker forderte, wie es zu erwarten ist, eine rechtlich einwandfreie Möglichkeit, „das Neutralitätsgesetz zu erhalten und Schüler vor religiöser Indoktrination zu bewahren“.
Grüne und Linke wollen Ende
Der religionspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Orkan Özdemir, verwies auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag mit Grünen und Linkspartei, das Gesetz in Abhängigkeit von der Rechtsprechung in Karlsruhe anzupassen. Und die Sprecherin für Antidiskriminierung der Grünen-Fraktion, Tuba Bozkurt, erklärte, nach dem Entschluss des Bundesverfassungsgerichts gebe es „eine große Erleichterung in religiösen Communitys“. Sie rief dazu auf, die rechtlichen Konsequenzen so schnell wie möglich zu ziehen.
Christine Buchholz hat in ihrer Zeit als ehemalige religionspolitische Sprecherin der Bundeslinken vehement gegen Einschränkungen wie Kopftuchverbote für religiöse Minderheiten eingestanden. „Berlin darf muslimischen Lehrerinnen das Kopftuch nicht pauschal verbieten! Das diskriminierende Neutralitätsgesetz muss geändert werden. Ein wichtiger Erfolg. Es wird Zeit, jegliche staatliche Diskriminierung endlich abzuschaffen!“, kommentierte sie das Urteil nach seinem Bekanntwerden.
Die linke Sprecherin für Antidiskriminierung Eralp verlangte, die Vorschriften des Neutralitätsgesetzes für das Lehrpersonal sofort abzuschaffen. Die Schulen müssten ihre weltanschaulich-religiöse Neutralität durch „pädagogische Maßnahmen jenseits von Bekleidungsvorschriften sicherstellen“.
Eigentlich sollten Rechtslage sowie frühere Entschlussbildung ausreichen, um in eine Abschaffung der alles anderen als neutralen Regelung zu münden. Ob und wie das gelingt, hängt davon ab, welche Regierung Berlin in Zukunft führen wird.