Das Leben der Kryptomuslime

Ausgabe 305

Foto: Cocosse Journal

(iz). Wer glaubt, Mode sei ein zu belangloses Thema, um allzu lange und vor allem allzu gründlich darüber zu sprechen, der irrt offenkundig. Es ist ja kein Zufall, dass wir in den Juridica der Universitäten vermehrt Bootsschuhe und Poloshirts, in den Sozialwissenschaften Strickpullover und Carhartt-Jeans und in der Philosophie schwarze Mäntel und Rollkragenpullover antreffen.

Zugegeben, ich rede in Klischees, aber dass sie einer, wenn auch nicht so drastischen, Empirie entspringen, kann nicht bestritten werden. Als die Temperatur in den letzten Wochen zu sinken begann und mit ihr meine alljährliche Winterangst auflebte, ging es um etwas eigentlich Banales: Ich brauche eine neue Winterjacke: Also stöbere ich hier und da. Schlupfjacken? Zu sehr Abiturzeit und Club-Mate-Flasche in der hinteren Hosentasche. North Face Steppjacke? Zu sehr Zalando Startseite. Und ein Wintermantel? Ganz schön ungewohnt, allerdings: Ich studiere Philosophie und habe philosophische Lektüre des 20. Jahrhunderts auf meinem Nachttisch stehen. Wieso also nicht den ­Tribon überwerfen? Und schon ist der passende Mantel ­bestellt. Er kommt an, ich ziehe ihn über, drehe mich ein paarmal vor dem Spiegel, trage ihn sodann einige Tage lang und: ich schicke ihn frustriert zurück. Was ist passiert?

Ich sah mich wieder mit dem Lederjacken-Problem konfrontiert. Das ist: Als vor etwa 5-6 Jahren Lederjacken ihr Comeback feierten und ich meine Chance witterte, auf den Zug aufspringen zu können, ohne mich peinlich zu machen, da bemerkte ich, dass der Zug nicht für alle offenstand. Kurz: Hast du einen europäischen Teint und helles Haar, kannst du problemlos den Trend mitnehmen. Hast du einen nahöstlichen Phänotyp, solltest du um deiner sozialen Integration willen die ­Finger von Lederjacken lassen.

Einige mögen das belächeln, etwas von ­Einbildung und Übertreibung erzählen. Es ist aber wahr und wer es abstreitet, der ist entweder mit Farbenblindheit oder derart mit Privilegien gesegnet, dass sich solche Probleme nie ergaben. Dennoch gibt es diese Unterschiede: Ein schlichtes, weißes Hemd kann brav und gepflegt wirken, oder auf einen „schmierigen Autoverkäufer“ hindeuten. Den Unterschied macht die Hautfarbe.

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Einer Person mit unvorteilhafter Hautfarbe stehen allerdings noch so einige Türen offen. Sie muss nur in die Köpfe der Menschen ­blicken und die darin alteingesessenen Vorurteile beim Shoppen bedenken. Mit anderen Worten: Sie kann ihre Herkunft durch kluge Kleiderwahl wettmachen. Oder noch einmal anders gesagt: Sie kann sich qua Kleidung ­tarnen, undercover-muslimisch – als Kryptomuslim oder Kryptomuslima sozusagen (Muslima mit Hijab können das nicht, sie sind allen Vorurteilen schutzlos ausgesetzt). Zwar ist nicht jede Person mit nahöstlicher Herkunft und entsprechender Hautfarbe muslimisch, aber das wird ihr samt aller ­Nachteile ohnehin unterstellt.

Kryptomuslim oder Kryptomuslima zu sein ist ein Ganztagsjob. Das wissen Betroffene. Es ist strategisch klug, nicht zu erwähnen, dass man in der Pause beten geht, will man sich in den akademischen Unidebatten die eigene Reputation und wissenschaftliche ­Authentizität wahren. Kryptmuslimisch zu sein heißt auch, (zurecht) paranoid zu sein. Es muss zweimal überlegt werden, ob ein Text veröffentlicht werden sollte, in dem die eigene muslimische Identität bestätigt wird. Potenzielle ArbeitgeberInnen könnten diese ­Informationen in die Finger bekommen (ich weiß, dass Sie das hier lesen!).

Aber was ist nun mit dem schwarzen Mantel? Mäntel haben mindestens drei landläufige Bedeutungsnuancen: Business, konservativ oder intellektuell. Die Business-Nuance muss um jeden Preis eliminiert werden (ich erinnere an das Vorurteil des schmierigen Autoverkäufers). Auch das Image als Intellektueller ist zum Scheitern verurteilt. Wenn eine (gut­meinende) Kommilitonin mich im Mantel sieht und als erstes an einen „Gangster oder einen aus Der Pate“ denkt, dann rücken ­Heidegger- und Sartre-Assoziationen in weite Ferne (auch wenn Vergleiche mit Robert de Niro natürlich schmeichelhaft sind).

Bleibt die Bedeutungsnuance der konser­vativen Herrenmode. Die ist nun eine, die ich aus persönlichen Gründen strikt zu ­vermeiden pflege. Für Muslime und Muslimas ist (oder sollte vernünftigerweise so sein) der Konservatismus so abwegig wie unbrauchbar. Deutscher Konservatismus und eine freie muslimische Identität wider­sprechen sich ­nahezu. Denn: Konservative ergreifen die ­Partei des und der Normalen. Doch was als normal und damit als angebracht gilt, das ­bestimmen sie. Ohne sie bräuchte es womöglich keinen Kryptoislam, der unter dem Radar der Norm zu fliegen hat. Das heißt auch, ohne sie würde ich mir gleich meinen Mantel überwerfen und ­spazieren gehen. Jetzt wird es aber die Jack Wolfskin 3in1 Jacke sein: Bürgerlich, friedliebend (dank der Outdoor- und Naturas­soziation), funktional (das heißt, bodenständig) und natürlich warm.