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Der Weg von der Kunst zur Transzendenz

Ausgabe 315

Foto: Unsplash, Muslim R. Dejvkam

(iz). Von Turda (Rumänien) bis Tirana, von Kairo bis Kalkutta, von Dar as-Salaam (Tansania) bis Jakarta, umfasste der Islam in seiner Geschichte Kontinente, Länder, Menschen und Kulturen. Logische Folge dieser Entwicklung war, dass die Muslime auf der Ebene der Weltanschauung eine Zivilisation bildeten, die in der Kunst eigenständige Formen entwickelte.

Ich will mich nicht auf eine Kunstform wie die Architektur, Literatur, Kalligrafie oder die dekorative Kunst beschränken, sondern stellvertretend für alle ihre Formen die Hauptmerkmale der Kunst andeuten. Kunst und Kultur erleichtern uns die Botschaft, Grundzüge und Absichten der islamischen Philosophie und Tradition kennen zu lernen.

Hier will ich mich einer anderen Betrachtungsweise islamischer Kunst widmen, um die intellektuell-ästhetische Welt des Betrachters und Schöpfers verstehen zu lernen. Weiterhin soll dieser Ansatz die ethische und moralische Lehre der islamischen Kunst vermitteln helfen. Kunst umfasst alle menschlichen Handlungen und Erscheinungen, die in ästhetische Formen überführt werden und emotionale und intellektuelle Reaktionen auslöst.

Islam verweist, wie jede monotheistische Religion, auf das Jenseits und demzufolge fördert der Islam keine Kunst, die als bloßer Selbstzweck geschaffen wird beziehungsweise die in sich einen verehrungswürdigen Charakter erhalten soll. Dies ist keine genuin muslimische Haltung, denn bereits bei Platon lassen sich Diskussionen über den Wahrheitsgehalt in der Kunst finden.

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Diese ablehnende Haltung bedeutet aber nicht, dass der Islam kunstfeindlich ist, da der Qur’an in unterschiedlichen Stellen und Kontexten Schönheit bestätigt. Sogar manche Hadithe beziehen sich auf diese Inhalte. Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, hat gesagt: „Allah ist schön und liebt die Schönheit.“ (Muslim)

Folgende qur’anische Offenbarungen finden sich in der Sure al-Haschr, 24: „Er ist Allah, der Schöpfer, der Bildner, der Gestalter. Ihm stehen die Schönsten Namen zu“ oder auch in der Sura al-A‘râf, 54: „Und (Er erschuf) die Sonne und den Mond und die Sterne, Seinem Befehl dienstbar. Wahrlich, Sein ist die Schöpfung und der Befehl! Segensreich ist Allah, der Herr der Welten.“

Diese Verse können wir als Interpretationen dessen deuten, was wir als schöpferische Gestaltung im künstlerischen Sinne verstehen. Das Siegel von Allahs Schöpfung ist der Mensch, wie man in der Sura As-Sadschda, 7: „Der alles gut gemacht hat, was Er erschuf. Und Er begann die Schöpfung des Menschen aus Ton“ und in der Sure At-Tin, 4: „Wahrlich, Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen“ erkennen kann.

Folgende Grundgedanken könnten die Antwort darauf liefern, worin denn nun genauer dieser Unterschied besteht. Die Kunst im Islam stammt nicht aus einem Volk. Sie ist unpersönlich, unindividuell, sie leitet sich aus einer spezifischen religiösen Sicht her, was an jedem Kunstwerk unverwechselbar zu erkennen ist (Geometrie, Wiederholung, Proportion, Balance, Rhythmik).

Die abstrakte Dekoration, sei es an einem Objekt, in der Kalligrafie oder an den Wänden der Moschee, sollen gerade das Gefühl der Ästhetischen und des Schönen auslösen, allerdings ohne jegliche Aufregung. Deshalb finden sich in der islamischen Architektur keine kämpferischen Tendenzen oder verkrampften Konstruktionen, sondern philosophische Stille und Ruhe ohne zusätzliche Details, die negative Assoziation hervorrufen könnten. Es gibt eine Harmonie und Balance als Zeichen des göttlichen Ursprungs, eine Schönheit, die nur mit dem „Firaset“ zu sehen ist. (Firaset – das geistige Auge der Gläubigen, weil es mit dem göttlichen Licht sieht)

Es ist unvermeidlich in diesem Kontext, die 99 schönsten Namen Allahs in Betracht zu ziehen, von denen, vier den Sinn des Ästhetischen in sich einbeziehen. Das sind: Al-Musawwiru (Der Gestalter), Al-‘Alijju (Der Höchste), Al-Badiu (Der Erneuerer) und Al-Dschalilu (Der Majestätische).

Diese angedeuteten Ansatzpunkte bestimmen die Funktionalität islamischer Kunst, aber nicht, weil sie einer Ideologie unterlegen ist, sondern sie reflektieren die Harmonie menschlichen Lebens und der Natur, um das Leben zu kultivieren. Je mehr in der körperlichen Welt der darin verborgene Geist zum Ausdruck kommt, je inniger sich das Sinnliche als vom Geistigen durchdrungen zeigt, desto schöner, so Hegel, sei sie.

Um die hervorgehobenen ethischen Prinzipien islamischer Kunst klarer zu definieren, sollten wir ihre Doktrin mit der europäischen Kunstästhetik vergleichen. Ihre Inspiration kommt aus einem metaphysischen Prinzip. Die Göttliche Schöpfung ist unerschöpflich, weil Allah Herrscher aller Welten und der Geheimnisse ist. Die Absichten der islamischen Kunst vermitteln diese Grundwerte beziehungsweise implizieren sie unmittelbar auf die ästhetischen Attribute in der belebten und unbelebten Natur.

Die europäischen Ästhetiker befürworten weniger solche Gedanken, da das Kunstverständnis dieser Kunst sich im Laufe der Zeit grundlegend verändert hat und es unterlag unterschiedlichen theoretischen Auffassungen der Kunst sowie deren Deutung.

Die Kunstwerke in der islamischen Kunst sollen uns in erster Linie den Sinn der Schöpfung und damit den Sinn von Schönheit und Harmonie als universelle Attribute der Kunst vermitteln. Die dominierende Idee ist gleichzeitig Hinweis auf Allah, den Kosmos und das Leben, dessen grundlegende Botschaft die Wahrheit des Göttlichen ist.

Diese Aspekte kennzeichnen bleibende Merkmale muslimischer Einstellungen gegenüber der Kunst, die einen geistig-intellektuellen Hintergrund schaffen.

Sie gehorchen einer Vorstellungswelt, die hin zur Abstraktion und Transzendenz ausgerichtet ist. Der Charakter aller Dinge dieser Welt, nämlich Vergänglichkeit, muss auch an Kunstwerken erkennbar sein oder bleiben, denn „li-Llah al-baqi’“ (was bleibt, ist Allahs) – nur Allah kann einem Ding Beständigkeit verleihen.

Über die schöpferischen Aktivitäten der Menschen, ästhetischen Prämissen und Erscheinungen des Schönen in der Natur und außerhalb, läßt sich natürlich noch viel sagen, aber nach islamischen Quellen, ist die Ästhetik und Schönheit als Gabe von Allah (Ni’met) zu betrachten. Schönheit ist nicht nur in menschlicher Umgebung vorhanden, sondern sie findet sich auch in der eschatologischen Welt, das heißt, im Paradies wieder.