Fukushima stellte das technologische Projekt in Frage

Ausgabe 190

Foto: IAEA Imagebank, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 2.0

(iz). Sollte die nukleare Katastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima behoben sein – und Menschen weltweit hoffen, dass dies bald der Fall sein wird -, dann stehen wir fraglos vor der dritten Zäsur dieses noch jungen Jahrhunderts. Und zwar nicht nur wegen des titanischen Ausmaßes dieser vermeintlichen „Naturkatastrophe“, sondern wegen ihrer Bedeutungen.

Das erste Jahrzehnt unseres 21. Jahrhunderts wurde zu Anfang durch die ­Anschläge von New York und Washington und zum Ende hin durch den Ausbruch einer alles verändernden ­Finanzkrise erschüttert. Wie bei den ­beiden vorherigen Ereignissen, die weit über den bloßen „Event“ hinausgehen, wird dem modernen Menschen durch globale Phänomene (hier der „Terrorist“ und dort der „gierige Manager“) die ­Verletzlichkeit seiner Welt vor Augen ­geführt.

Bei dem Ereignis in Japan betritt nun der „skrupellose Wissenschaftler“, und mit ihm der „politische Schauspieler“, der das Ganze ermöglicht, die Bühne. Es zählt zu den ironischen Fußnoten dieser Katastrophe, dass es im dicht besiedelten Japan im Gegensatz zu beinahe allen anderen Industrienationen keine nennenswerte Umweltbewegung gibt. Die tatsächliche fatalistische Ergebenheit gegenüber dem technologischen Projekt und seinen Folgen sind bei Weitem erschreckender, als es wilde Panik der Bevölkerung wäre.

In der dominanten Weltsicht von Ursache und Wirkung „führten“ Erdbeben und der resultierende Tsunami zur nuklearen Katastrophe – deren Ausmaß alles anderes als absehbar ist. In Folge dieses Denkens wird der Super-GAU nur noch in Hinblick auf einzelunternehmerische Verantwortung, politische Katastrophenhilfe und technische Lösungen behandelt, anstatt das Gesamtbild zu sehen. Seine Bedeutung geht verloren. Erdbeben und resultierende Tsunamis zählen zu den Naturphänomenen, mit denen Küstenbewohner in Erdbebengebieten seit jeher konfrontiert sind. Es ist die Vorstellung der Beherrschbarkeit von Schöpfung, die zur Besiedlung volatiler Küstenstreifen führt und zur irrealen Idee, Kernkraftwerke (in Japan sind es mehr als 50) auf dem tektonischen Unruheherd zu errichten.

Die Welle des nuklearen Tsunamis hat unsere Ufer erreicht. Sie löste – in unerwartet kurzer Zeit – ein Erdbeben unserer politischen Landschaft aus. Binnen weniger Tage wurden die Laufzeitverlängerungen deutscher Atomkraftwerke zu den Akten gelegt und Schwabens Grüne konnten in Stuttgart punkten.

Bisher waren dazu keine muslimischen Stimmen zu hören. Diese brenzlige Lage mit Sinn anzureichern wäre aber die eigentliche Aufgabe jeder Religion.