Die Widerborstigen: Katalonien will Unabhängigkeit

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Barcelona (KNA). „Unabhängigkeit“ – in Spanien fiel dieser Begriff in früheren Jahren meist in Zusammenhang mit dem Baskenland. Vor allem die ETA säte Angst und Schrecken, wollte mit Anschlägen die Loslösung von Madrid herbeibomben. Ausgerechnet am Ende eines Jahres, in dem die Terrororganisation ankündigte, endgültig die Waffen zu strecken, setzte eine andere spanische Region ein Ausrufezeichen: Katalonien. Bei den Regionalwahlen am 21. Dezember konnte sich das Lager der Separatisten, wenn auch nur knapp, durchsetzen.
Der Machtkampf zwischen Zentral- und Regionalregierung geht damit in die nächste Runde. Rohe Gewalt ist in Katalonien – im Gegensatz zu den Basken – nicht im Spiel. Aber beide Regionen blicken auf eine stolze Geschichte zurück. Und die wiederum hält einige Antworten auf die Frage bereit, wie es zu den aktuellen Verwerfungen kommen konnte.
Am Anfang steht, wie es sich gehört, eine Legende. Als Wilfred I. von Barcelona merkte, dass es mit ihm zu Ende ging, benetzte er vier Finger mit seinem eigenen Blut und fuhr damit über den gelben Grund seines Schildes. Auf diese Weise sollen im Jahre des Herrn 897 die katalonischen Landesfarben entstanden sein.
Wilfred, genannt „der Haarige“ – angeblich in Gegensatz zu seinem fränkischen Lehnsherrn Karl dem Kahlen – begründete die Grafschaft von Barcelona. Diese wiederum gilt als „Keimzelle“, das von Wilfred errichtete Kloster Santa Maria de Ripoll als „Wiege“ Kataloniens. Welch lange Schatten Wilfred und seine Nachfolger warfen, zeigte sich an der Tatsache, dass unter der Diktatur von Francisco Franco (1936-1975) der spätere König Juan Carlos mit dem Titel eines Grafen von Barcelona in der Öffentlichkeit auftrat.
Doch zurück ins Mittelalter, wo die Grafen einerseits ihr Territorium Richtung Frankreich ausdehnten, andererseits im Süden die muslimischen Mauren zurückdrängten. Bei ersterem tat sich Ramon Berenguer III. hervor, bei letzterem sein Sohn, Ramon Berenguer IV. Dessen Hochzeit 1137 mit Petronella von Aragonien sicherte den Grafen die Krone Aragons. Beide Reiche blieben nebeneinander bestehen; die katalanischen Interessen genossen im Zweifel den Vorzug.
Das änderte sich erst mit Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon. Unter der Regentschaft der “Reyes Catolicos” (Katholischen Könige) endete 1492 die „Reconquista“ (Rückeroberung). Der letzte verbliebene maurische Staat verschwand von der Iberischen Halbinsel. Im selben Jahr landete Kolumbus in Amerika. Kastilien war am Drücker – und Katalonien? „Wenn man auf eine Stadt oder ein Dorf trifft, findet sich in der Umgebung ein wenig Ackerfläche; dann aber kann man wieder meilenweit durch Ödland gehen“, heißt es in einem Reisebericht von 1512.
Zu einem Mittel der weiteren Einigung „Hispaniens“ wollten die Monarchen das ihnen unterstehende Tribunal der Heiligen Inquisition machen – ursprünglich ins Leben gerufen mit dem Ziel, Jagd auf konvertierte Juden zu machen, denen man Abfall vom Glauben vorwarf. Die katalanischen Stände forderten eine Unterordnung des Gerichts unter die eigenen Gesetze. Der Magistrat von Barcelona vermied es sogar grundsätzlich, den Verhandlungen beizuwohnen, wie der Historiker Carlos Collado Seidel schreibt. Mehrfach kam es zu „handfesten Auseinandersetzungen“, Gerichtsverfahren und Haftstrafen.
Das Streben nach staatlicher Einheit kollidierte immer wieder mit dem katalanischen Behauptungswillen. Dann die dunkelste Stunde: der Fall Barcelonas am 11. September 1714. Für den Sieger, König Philipp V., war der Weg frei, Katalonien zu einer simplen Verwaltungsprovinz herabzustufen. Der Tag ist heute Nationalfeiertag in Katalonien – und im Stadion des FC Barcelona hallt seit einigen Jahren exakt bei Spielminute 17 und 14 Sekunden der Ruf „Independencia“ (“Unabhängigkeit”) durch das Rund.
Der Club galt vor allem unter Franco als Hort des „Katalanismus“. Dass viele Separatisten heute immer noch mit dem Argument punkten können, Madrid unterdrücke Katalonien, dokumentiert nach Ansicht mancher Beobachter die Versäumnisse bei der Aufarbeitung der Ära Franco. Die Situation ist verfahren. Vielleicht, so hoffen einige, kann die EU vermitteln.