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Eine Karte des antimuslimischen Vorurteils in Europa

Ausgabe 275

(iz). Die Herausgeber des dritten Euro­päischen Islamophobie-Berichts zielen nicht nur auf die Dokumentation von Muslimfeindlichkeit ab. Sie wollen auch ­Veränderungen in Europa anstoßen.
„Obwohl Islamophobie objektiv eine ­Bedrohung europäischer Demokratien ­darstellt, leugnen viele europäische Intellektuelle und Politiker (…) die Existenz und Gültigkeit des Konzepts. Ihre Sorgen um Terrorangriffe und Einwanderung hindern sie an der Anerkennung des täglichen Rassismus, vor dem Muslime in Europa stehen.“ (Burhanettin Duran, SETA-­Generalkoordinator)
Laut Angaben der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) fühlen sich mehr als 75 Prozent der befragten Muslime ihren europäischen Heimatländern verbunden. Gleichzeitig hätten 31 Prozent in den letzten fünf Jahren Diskriminierungserfahrungen im Arbeitsleben gemacht. Aber nur 12 Prozent hätten ihre Erfahrungen an offizielle Stellen weitergegeben. Nach Ansicht von Beobachtern sei das ein Hinweis darauf, dass das Ausmaß der realen antimuslimischen Diskriminierung höher sei als die offiziellen Zahlen zur Islamfeindlichkeit und damit verbundenen Hassverbrechen in Europa nahelegten. FRA-Direktor Michael O‘Flaherty betonte, der Bericht seiner Agentur widerspreche dem Narrativ, Muslime seien kein Teil europäischer Gesellschaften. Im Gegenteil, ihr Vertrauen in die demokratischen Einrichtungen sei höher als im europäischen Durchschnitt.
Zu den Projekten, die hier Abhilfe schaffen wollen, gehört der seit drei Jahren erscheinende „European Islamophobia Report“ (EIR). Die Dokumentation des Phänomens auf europäischer Ebene sowie in ausgesuchten europäischen Staaten inner- und außerhalb der Europäischen Union (EU) ist nun für das Jahr 2017 erschienen. In jedem Frühjahr erscheint die Sammlung in elektronischer und gedruckter Form. Sie richtet sich an Interessierte, aber insbesondere an relevante Akteure, Politiker, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und anti-rassististische Aktivisten.
Veröffentlicht wird der EIR von der türkischen Denkfabrik SETA. Herausgegeben wird die Aufstellung von den beiden Politikwissenschaftlern Dr. Enes Bayrakli und Dr. Farid Hafez. Die Länderberichte stammen von relevanten Experten sowie zivilgesellschaftlichen Aktivisten aus ganz Europa. Sie schreiben jeweils über das Land, von dem sie die größte Fachkenntnis haben.
Obwohl der Begriff „Islamophobie“ Einzug in den öffentlichen Diskurs sowie in die akademische Welt fand, bezieht er sich für die Herausgeber nicht notwendigerweise auf die Kritik einzelner Muslime oder ihrer Religion. Für sie stellt sie das Herrschaftsinstrument einer dominanten Gruppe zur Dominanz einer Minderheit und der Kontrolle von Privilegien dar. Islamfeindlichkeit funktioniere, indem das Bild einer statischen „muslimischen“ Identität gezeichnet werde, das man in negativen Begriffen verallgemeinernd allen Muslimen zuschreibe. Gleichzeitig seien islamophobe Bilder wandelbar und veränderten sich je nach Zusammenhang.
„Die Leugnung der eigentlichen Existenz von Islamfeindlichkeit, antimus­limischem Rassismus und antimuslimischer Hassverbrechen in Europa durch viele demonstriert den Bedarf nach ­angemessenen Anstrengungen und dem politischen Willen zum Umgang mit ­diesem normalisierten Rassismus und ­seinen Manifestationen“, heißt es in der Ankündigung zum EIR 2017. Diese fände sich nicht nur bei extremen Rändern der Gesellschaft. Vielmehr hätten sich politisch weit rechts stehende Diskurse in die Mitte der politischen Macht bewegt. Als Folge verließen sich nicht nur Rechte auf antimuslimische Propaganda. Auch Sozialdemokraten, Liberale, Linke und Konservative seien gegen sie nicht immun.
Den Herausgebern des „European Islamophobia Reports 2017“ geht es um die Offenlegung von strukturellem anti-muslimischen Rassismus. Auf jährlicher Basis analysiere man die Trends und Entwicklungen in beinahe allen europäischen Ländern – von Russland bis Portugal und von Malta bis nach Norwegen.
In Europa seien auf Ebene der Nationalstaaten einige Trends zu beobachten. Das rechtsextreme Lager sei vom Rand in die Mitte gerückt und nun ein integraler Bestandteil der politischen Landschaft in Europa. In Ländern wie Österreich, Bulgarien und Finnland säßen sie nicht mehr in der Opposition, sondern in der Regierung. Wie auch immer sich ihr Einfluss gestaltet: Der von ihnen geführte islamfeindliche Diskurs wurde von Parteien der ehemaligen Mitte übernommen. Für die Herausgeber des „European Islamophobia Report 2017“ stellt der Aufstieg dieser Parteien „eine wichtige Bedrohung für die demokratische Ordnung in Europa“ dar.
Ein weiteres Problem sei die Leugnung von Islamfeindlichkeit. Führende Journalisten in Ländern wie Österreich und Norwegen verlagerten ihren Fokus von Islamfeindlichkeit als ein Problem auf Islamophobie als „Kampfbegriff“. Daher gäbe es eine zögerliche Haltung bei der Verwendung des Begriffs.
Zu den beunruhigenden Entwicklungen in Europa gehören für die EIR-Herausgeber terroristische Angriffe gegen Muslime. Obwohl Rassisten, Nationalisten und Separatisten für den größten Teil des Terrors in Europa verantwortlich seien, liege der Fokus auf dem Dschihadismus. Es gebe aber Anzeichen, dass rechtsextreme Terrorgruppen und Einzelgänger ihre Aktivitäten steigerten und Muslime in Europa ins Visier nähmen. In Deutschland beispielsweise stiegen sie bei Häufigkeit und Gewaltgrad an.
Das Ziel liegt aber nicht nur in der ­Dokumentation des Phänomens. Der Bericht zielt auch auf Veränderungen ab. „Er repräsentiert“, so die Webseite des Projekts, „ein nützliches und wertvolles Werkzeug für jeden Aktivisten und ­Politiker, der Islamfeindlichkeit entscheidend angehen will“. Die Autoren der jeweiligen Länderberichte entwickelten spezifische Empfehlungen für das von ihnen behandelte Land.
Der Kampf gegen Islamfeindlichkeit auf nationaler und regionaler Ebene sei wichtig, aber nicht genug. Daher brauche es Anstrengungen auf europäischer Ebene. Das wird durch Bülent Senay unterstrichen. Senay ist OSZE-Kommissar für den Kampf gegen Intoleranz gegen und Diskriminierung von Muslimen. Auf supranationaler Ebene fehle es noch an entsprechenden Mitteln. Zu den von den EIR-Machern gemachten generellen Empfehlungen gehören beispielsweise:
Die entscheidende Anerkennung, dass es einen spezifischen Rassismus gibt, der sich gegen Muslime richtet; oder jene, die als solche gesehen werden.
– EU-Einrichtungen müssen Islamfeindlichkeit als Form des Rassismus anerkennen und politisch behandeln.
– Die rechtliche und politische Wahrnehmung von Islamophobie ist von herausragender Bedeutung. Daher muss auf europäischer Ebene eine Konferenz zum Thema eingerichtet werden, die mit der Unterstützung eines EU-Mitgliedes oder des Europaparlaments organisiert wird.
– EU-Mitgliedsstaaten sollten nationalen Maßnahmen gegen Rassismus beschließen, die Muslimfeindlichkeit als spezifische Form des Rassismus ansprechen.
– Europa braucht mutige Führungspersonen und Aktivisten, die sich antimuslimischen Diskursen und Narrativen im Zeitalter weit rechts stehender Parteien stellen können.
In der Einleitung des mehr als 700-­seitigen Dokuments schreiben die EIR-Herausgeber, dass Projekte wie das ihrige keine täglichen Dokumentationsme­chanismen bieten könne. Es sei die Pflicht der Nationalstaaten, entsprechende Mechanismen zu realisieren und jährliche Daten zu veröffentlichen. Namentlich wurde die Bundesrepublik erwähnt, die im vergangenen Jahr antimuslimische Hassverbrechen als Unterkategorie einführte.