Weltweit wurde dem Schrecken des Terrors und seiner Opfer vom 7.10.2024 gedacht. Vermittelnde Stimmen erinnerten darüber hinaus an alle Leidtragenden des Krieges.
(iz, KNA, dpa). Die Titelseite der britischen Zeitung „The Independent“ vom Montag wirkt gerade wegen ihrer Nüchternheit bedrückend und schrecklich. „365 Tages des Schreckens seit dem 7. Oktober“, titelten die Londoner Journalisten.
Beginnend mit den 1.205 Opfern, die bei dem Terror der Hamas am gestrigen Tag vor einem Jahr ermordet wurden, über die Menge der Bomben, die über dem Gazastreifen abgeworfen wurden, und den Prozentsatz der zerstörten Gebäude bis schließlich zu den über 41.800 getöteten Palästinensern (zzgl. der mehr als 700 toten Palästinenser in der Westbank) – die Zeitung zog eine grauenhafte Bilanz.
Den Schrecken deuten: Vermittelnde Stimmen melden sich zu Wort
Während die Mehrheit des medialen Diskurses in der Bundesrepublik auf polarisierende Darstellungen setzt, darf nicht übersehen werden, dass es auch leisere, vermittelnde Stimmen gibt.
So betonte der ehemalige Diplomat und heutige Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Berlin, Andreas Reinicke, am Montag im Deutschlandfunk, dass es „Narrative auf beiden Seiten“ gebe – Israelis und Palästinenser hätten historische Traumata. Sie seien zwar gegensätzlich, aber existierten gleichermaßen. Es habe keinen Sinn, eines davon stärker zu betonen. Vielmehr müssten sie auf dem Weg zu einer Friedenslösung anerkannt werden. Das jeweilige Opfernarrativ des Anderen dürfe nicht delegitimiert werden.
Gestern Nachmittag wandte sich das Interreligiöse Forum Hamburg zum „Jahrestag des 7. Oktober“ an die Öffentlichkeit. Der Text wurde auch von der Jüdischen Gemeinde Hamburg und der dortigen SCHURA unterzeichnet. „Am Jahrestag des 7. Oktober blicken wir zurück auf ein Jahr voller Schmerz und Trauer, in dem uns nahezu täglich neue Schreckensnachrichten aus Israel und Palästina erreicht haben, die sich nun auch auf den Libanon und Nord-Israel ausgeweitet haben.“
„Ein Jahr nach den Angriffen, die uns alle zutiefst erschütterten, stehen wir weiterhin fest zu unserer Verurteilung von Terror und Gewalt gegen Unschuldige. Unser tiefes Mitgefühl gilt allen Opfern dieses Konflikts – unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Glauben.“ Es sei legitim, über die Gewalt in der Region unterschiedlicher Meinung zu sein. Die Diskussion müsse aber gewaltfrei geführt und ausgehalten werden. Deshalb rufe man zur Besonnenheit und zum friedlichen Miteinander in der Hansestadt auf.
Foto: B. Idriz
Der Penzberger Imam Benjamin Idriz konnte nicht an der zentralen Gedenkveranstaltung in der bayrischen Hauptstadt teilnehmen, wie er am Montag auf Facebook schrieb. Dass Thema sei aber so wichtig, dass er sich in einem offenen Brief an ihren Veranstalter, Prof. Guy Katz, gewandt habe.
„Aus tiefster Überzeugung und aufgrund meines islamischen Verständnisses hätte ich mich gerne beteiligt – insbesondere mit einem kurzen Redebeitrag. Denn in dieser angespannten Situation ist die Stimme der Muslime von großer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Ein Beitrag der muslimischen Gemeinschaft hätte unsere Position gegen Judenhass nochmals klar bekräftigen und unsere Verbundenheit mit unseren jüdischen Geschwistern zum Ausdruck bringen können.“ Der Schutz jüdischen Lebens in Deutschland sei auch für Muslime von zentraler Bedeutung, denn nur durch den Einsatz füreinander könne man den eigenen Schutz sichern. „Wir stehen für ein respektvolles Miteinander und lehnen jegliche Form von Hass und Intoleranz ab.“
Der KRM erinnert an „ein Jahr Krieg“
In seiner Presseerklärung zu den „grausamen Angriffen der Hamas“ vom 7. Oktober 2023 drückte der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) deren Opfer sein bleibendes „tiefes Mitgefühl“ aus. Gleichzeitig gelte sein Mitgefühl auf den mehr als 42.000 Leidtragenden im Gazastreifen sowie allen, „die schutzlos in diesen Strudel der Gewalt gerissen wurden“.
„Die Solidarität mit dem jüdischen Volk darf nicht dazu führen, dass Kriegsverbrechen an Palästinensern ignoriert oder gerechtfertigt werden.“ Die historische deutsche Verantwortung beinhalte ebenso die Pflicht, „jede Form von Vertreibung, Kollektivbestrafung und Völkermord, egal gegen wen sie sich richtet, konsequent abzulehnen“.
Foto: president.gov.ua, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 4.0
Offizielle Veranstaltungen in Deutschland
Gestern fanden zahlreiche Gedenkveranstaltungen beispielsweise in jüdischen Gemeinden statt. Bei einem Gedenkakt in Berlin trat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf.
Er sprach auf einer interreligiösen Veranstaltung in der Berliner Gedächtniskirche. „Trauer, Wut, Ohnmacht, Angst um Angehörige und Freunde auf beiden Seiten, solche Gefühle treiben auch in unserem Land viele Menschen um“, sagte er. „Aber so aufgewühlt wir auch sein mögen, wir dürfen darüber nicht unseren Kompass verlieren.“
Steinmeier betonte, es gehöre zur deutschen Verantwortung, an der Seite Israels zu stehen, wenn es angegriffen werde. Doch sagte er auch: „Dieser Krieg hat schon jetzt zu viele Menschen getötet, zu viel Leid gebracht: für Israelis und für Palästinenser, und jetzt auch für die Menschen im Libanon.“ Ebenso erlebten die Menschen in Gaza seit einem Jahr unermessliches Leid, Flucht, Hunger und Krankheiten.
Geteiltes Gedenken in Israel
Um das Gedenken an die Opfer des Hamas-Terrorangriffs zum Jahrestag am 7. Oktober entstand in Israel eine heftige Debatte. Unter Ägide der israelischen Verkehrsministerin Miri Regev (Likud) gab es eine staatliche Gedenkfeier in der südisraelischen Stadt Ofakim, die live und ohne Publikum übertragen wurde.
Mehrere Kibbuze, die vom Hamas-Angriff hart getroffen wurden, sagten die Teilnahme ab und kündigten eigene Veranstaltungen an. Ferner untersagten Angehörige von Opfern und Geiseln der Ministerin die Nutzung der Namen und Bilder ihrer Verwandten im Rahmen der staatlichen Feier. Sie werfen der Regierung vor, politischen Eigennutz über das Leben der Verschleppten zu stellen.
Zu den alternativen Veranstaltungen zählte eine Andacht in einem Park in Tel Aviv, zu dem nach Veranstalterangaben rund 40.000 Einlasskarten verteilt wurden. Eine weitere Gedenkfeier war auf dem Gelände des Supernova-Musik-Festivals im südisraelischen Kibbutz Re’im geplant, wo am 7. Oktober mindestens 360 Menschen getötet wurden.