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Ramadanstimmen: Neuer Gedichtband erschienen

Ausgabe 330

Herz Ramadanstimmen
Foto: Pexels/Thirdman

„Ramadanstimmen“ ist eine poetische Reise in den zeitgenössischen, deutschen Ramadan. Sie richtet sich an Muslime wie an Nichtmuslime.

(iz). Wer sich in die muslimische Kulturgeschichte vertieft, kann die Fülle an Poesie nicht übersehen. Eine Kostprobe dieser reichen Kultur bieten in deutscher Sprache bisher nur Übersetzungen.

So kunstvoll und berührend diese Texte auch sind, sie entstammen anderen Lebensbedingungen und Erfahrungswelten. Leichter fällt es, sich in ein Gedicht hineinzufühlen, wenn sich die Horizonte von Dichter und Leser ähneln und keine kulturelle, historische und sprachliche Fremdheit überwunden werden muss. „Ramadanstimmen“ ist eine poetische Reise in den zeitgenössischen, deutschen Ramadan.

Foto: Royalty-Free | Corbis Library

Ramadanstimmen für Muslime und Nichtmuslime

Sie richtet sich sowohl an Muslime als auch an Nicht-Muslime: Muslime werden Weisheiten, Gefühle, Gedanken und Perspektiven ihrer Geschwister im Glauben finden, während Nicht-Muslime auf (vielleicht zuvor unbekannte) Weisheiten, Gefühle, Gedanken und Perspektiven ihrer Geschwister in der Menschlichkeit stoßen werden. Manch einer wird durch ein Gedicht dazu angeregt, bewusster zu fasten und manch eine erhält einen bisher unbekannten Einblick ins Fasten und kann besser nachvollziehen, weshalb es Jahr für Jahr von Millionen Bürgern in Deutschland geübt und zelebriert wird. 

Die deutsche Kultur kann ebenso auf ein reiches Erbe an Literatur und vor allem Lyrik blicken. Und auch hier schrieben nicht wenige Dichter spirituelle Texte oder Texte, in denen sie ihre religiösen Erfahrungen verarbeiteten. Novalis ist dafür ein prägendes Beispiel. Doch auch Goethe, Hölderlin und andere hatten gemein, dass sie schöne Sprache vermittelt haben und durch ihre Sprache die menschliche Seele angesprochen und berührt haben.

Foto: Sufi Devran

Stark empfundene Spiritualität

Der Ramadan ist eine Zeit besonders stark empfundener und kollektiv zelebrierter Spiritualität. Poesie, die Themen der Spiritualität aufgreift und auf eine kulturvolle und schöne Art darüber spricht, passt ganz besonders gut zu diesem Monat. Lyrik eignet sich auf ganz besondere Weise, um über Spiritualität zu sprechen, da sie durch Rhythmus, Klang und Metaphorik Bedeutungen transportiert, die das Gesagte potenzieren und erweitern.

Die Gedichte widmen sich Gottesdiensten, den Widerständen, die jeder und jede Fastende ausgesetzt ist, aber finden auch in der Betrachtung der Natur eine Quelle für Spiritualität. 

„Ramadanstimmen“ reiht sich sowohl in das poetische Erbe muslimischer als auch deutscher Kultur(en) ein und ist ein Beitrag dazu, beides miteinander zu verbinden. Die Gedichte demonstrieren (statt dies nur zu deklarieren), dass Deutsch ebenso eine Sprache ist (und es zukünftig noch viel mehr werden kann), die ausdrucksstark muslimisch-spirituelle Gefühle in Worte fasst.

Foto: Álvaro Serrano, Unsplash

Für die Verwurzelung der Muslime

Dadurch geschieht ein weiterer Schritt der kulturellen Verwurzelung der Muslime in Deutschland. Gestalterisch setzt der Lyrikband Schwerpunkte, die die muslimischen Sehgewohnheiten eher bricht, als sie fortzusetzen: Die Covergestaltung zeigt eine erzgebirgisch-märchenhaft anmutende Winterlandschaft, deren Dunkelheit nur von erleuchteten Häusern – die die Erleuchtung der Herzen symbolisieren – durchbrochen wird. Die spirituelle Veränderung, die der Ramadan bei den Gläubigen herbeiführen soll, wird gestalterisch von einem schrittweise auf- und verblühenden Löwenzahn begleitet: Eine heimische Pflanze, die für Charakterstärke und Transformation steht. 

Die „Ramadanstimmen“ sind ein Gemeinschaftswerk – entstanden im Ramadan 1443/2022 – der drei AutorInnen Claudia Azizah Seise, Farazi und Layla Kamil Abdulsalam. Ihr Spektrum lyrischen Sprechens ist breit: Es reicht von liedhaften Gedichten über Sonette bis hin zu Akrostichen. In Echos antworten einige Gedichte auf zuvor geäußerte Gedanken, sodass auch innerhalb der Ramadanstimmen ein Dialog geführt wird. Dieser spiegelt sich auch inhaltlich wider, in Gesprächen der Selbstreflexion oder wenn dem personifizierten Ramadan selbst eine (tröstende) Stimme gegeben wird.

Die Anordnung der 33 Gedichte erhält durch die Kapiteleinteilung in Anbeginn, Ausdauer und Ausblick eine Dramaturgie, die den Bedürfnissen der Fastenden entspricht, die sie zum Durchhalten anhält, zum Reflektieren auffordert und schließlich darin unterstützt, die Früchte des Ramadans über den Monat hinaus zu pflegen.

Ramadanstimmen: 33 Gedichte aus dem Monat der Monate; Claudia Azizah Seise, Farazi, Layla Kamil Abdulsalam, Astrolab, 2022, 12,– EUR

Ramadanstimmen

Von Claudia Azizah Seise

Sanftes Dämmerlicht hüllt uns ein.
Wieder ein Tag vergangen,
mit seinem leuchtenden Schein.
Warten auf die letzten Minuten
zu vergehen.
Stille – kein Gebetsruf – nein.
Doch im Draußen
sind Stimmen,
die wissen zu schein’
wann der Tag sein Ende haucht.

Voller Klang mit einem Mal
in die Stille hinein
Gezwitscher, Getriller, Gegurre,
Vogelgesang.
Ein Gebetsruf? – Ja.
Es gibt ihn da –
im Baum in unsrem Hof.

Sodann kehrt wieder Stille ein.
Gebetsruf oder Lobgesang?
Es schwang die Freude mit
für Wasser und für Datteln, rein.

Vielleicht auch Erleichterung.
Das Tageswerk kann schlummern nun,
das Bitten um Vergebung
für die Fastenden ruh’n.
Tagaus – tagein,
auferlegt vom Herrn allen Seins.

Am Morgen dann
Stille – kein Gebetsruf – nein
Doch im Draußen
sind Stimmen,
die wissen zu schein’
wann der Tag seinen Anfang keimt.

Fängt das Hörspiel wieder von vorne an.
Noch vor der Dämmerung im Stillen
Getschilpe, Pfeifen, Getriller,
Vogelgesang.
Gebetsruf? – Ja.
Es gibt ihn da –
im Baum in unsrem Hof. 

Das Tageswerk kann nun beginnen
mit Bitten um Vergebung
für die Fastenden singen. 
Tagaus – tagein,
auferlegt vom Herrn allen Seins.