„Islamische Anleihe“: Hintergrundgespräch mit dem muslimischen Finanzfachmann Tarek El Diwany

Ausgabe 222

(iz). Der Historiker Leopold von Ranke meinte, dass der Untergang des Römi­schen Reiches an den Verfall seiner Währung gebunden war. Und dabei ging es „nur“ um die Verschlechterung des Edelmetallgehaltes der Münzen. Heute operieren wir mit Tausch- und Zahlungsmitteln, die keinen innewoh­nenden Wert besitzen und deren Mengen gleichermaßen regelmäßig exponentiell steigen.

Während sich immer mehr Menschen gerade auch im Westen um die Beschaffenheit unseres Geldsystems sorgen und nach tragfähigen Alternativen rufen, denken viele Muslime weltweit immer noch kontrazyklisch. Sie setzen auf eine Integration muslimischer Modelle in das bestehende Finanzsystem und seiner Instrumente. Es erwies sich spätestens seit Beginn der Krise 2008 als unhaltbar. machte die Ankündigung des britischen Premierministers Cameron auf dem World Islamic Economic Forum von sich Reden, London neben Dubai zum weltweit führenden „islamischen Finanzzentrum“ zu machen. Der erste Schritt dabei soll eine so genannte „islamische Anleihe“ in Höhe von 200 Millionen Pfund auf Immobilien­besitz der britischen Regierung sein. Einige muslimische Verbände in Deutschland begrüßten die Pläne einhellig und forderten ihre Einführung auch in Deutschland.

Die IZ sprach mit dem muslimischen Finanzexperten Tarek El Diwany über diese Anleihen, ihre Struktur und warum eine „Islamisierung“ des Weltfinanzsystems konzeptionell und rechtlich nicht möglich ist.

Islamische Zeitung: Jüngst ­kün­digte die britische Regierung die Schaffung einer „islamischen Anleihe“ an der Londoner Börse an. Nachdem Sie von den Plänen hörten, glauben Sie, dass diese Anleihen zu Recht mit der Bezeichnung „islamisch“ versehen werden können?

Tarek El Diwany: Nein. Wir müssen auf die Ergebnisse der rechtlichen Konstruktion schauen, die wir bei jedem finan­ziellen Instrument nutzen. Einige sind der Ansicht, dass, solange die Regeln korrekt identifiziert und angewandt sind, wir uns dann nicht um die Ergebnisse zu kümmern bräuchten.

Ich denke, dass das eine gefährliche Behauptung ist, denn rechtliche Regeln können strukturell so genutzt werden, dass sie am Ende zu verbotenen Ergebnis­sen führen; selbst wenn die Regeln auf der Oberfläche korrekt erscheinen mögen. Ein Beispiel dafür wäre, wenn ich Ihnen ein zinsloses Darlehen geben würde und Sie mir ein Geschenk versprechen, wenn Sie das Darlehen zurückzahlen. Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass zinslose Darlehen, Geschenke und Versprechen in der Scharia erlaubt sind. Aber wenn man die drei kombiniert, dann hat man offenkundig ein verzinstes Darlehen geschaffen.

Das wird als „Hila“ (Rechtskniff) bezeichnet. Die Gelehrten wissen, dass diese Kniffe existieren und sie beurteilen einen solchen nach seinem Ergebnis. Wenn wir diese „islamische Anleihe“ betrachten, dann ist das Ergebnisse der rechtlichen Komponenten ein Haufen Geldflüsse, der das gleiche ist wie eine verzinste Anleihe.

Daher glaube ich nicht, dass wir diese Technik benutzten sollten. Wir brauchen Techniken, die auf traditionellen Interpretationen des islamischen Rechts beruhen – und kein neues Recht für uns schaffen, nur um Finanzinstrumente zu kreieren, die bei Banken, Regierungen oder bestimmten muslimischen Geschäftsleuten beliebt sind.

Islamische Zeitung: Eine Anleihe – ob konventionell oder „islamisch“ – bedeutet doch, dass ich einer Institution Geld leihe, die eine feste Gewinn­summe verspricht? Ist das nicht das gleiche wie ein verabredeter Zinssatz?

Tarek El Diwany: Ja. Die Art und Weise, wie diese „islamischen Anleihen“ funktionieren – und wie es auch hier ziemlich sicher ablaufen dürfte –, ist, dass die britische Regierung den Investoren in die Anleihe Immobilien mit Hilfe eines Mittelsmannes – entweder einer Firma oder einem Fonds – verkaufen wird. Umgehend wird sie das Gebäude von den Investoren für 10 oder 20 Jahre anmie­ten. Diese Periode wird dann die Laufzeit der Anleihe sein. Am Ende der Frist wird die Regierung dann die Immo­bilie von den Investoren zum gleichen Preis zurückkaufen.

Die Investoren geben eine Summe in Höhe von X Pfund, die sie am Ende zurückerhalten. In der Zwischenzeit nehmen sie Miete(n) ein. Diese wird/werden an den Zinssatz der Bank of England gebunden sein … (lacht) … und jetzt haben wir etwas, das sehr wie eine verzinste Anlage aussieht.

Ich glaube, dass wir als Muslime mehr anzubieten haben als das. Wir sollten den Menschen zeigen, wie man ohne Schulden leben kann. Diese haben weltweit in den letzten hunderten Jahren zu vielen Problemen geführt. Wir haben den Zugang, der es den Menschen ermöglicht, schuldenfrei zu leben. Wir sollten die rechtlichen Komponenten wie echte Part­nerschaften (Muscharaka) und wirkliches Leasing (Idschara) benutzen, die entweder gar keine oder kaum Schulden beinhalten. Dann würden die Menschen auf unser Rechts- und Finanzsystem schauen und wesentlich mehr Respekt dafür haben.

Islamische Zeitung: Ist es nicht riskant, Menschen zur Investition in ein Land zu animieren, das so hoch verschuldet ist wie Großbritannien?

Tarek El Diwany: Nun gut, auf eine Weise stimmt das wegen der Möglichkeit der Inflation schon. Die Regierung ist so sehr verschuldet, dass ihr ­langfristig keine Alternative zur Inflation bleiben wird. Dies wird den wirklichen Wert der Schuld reduzieren.

Was die Höhe der Anleihe betrifft, so kann die Regierung diese Summe zu einem späteren Zeitpunkt schaffen, indem sie neues Geld druckt und damit die Schulden bezahlt. Ich glaube nicht, dass es dabei ein Risiko für ein Scheitern geben wird, die Summe der Anleihe nach zehn Jahren zurückzuzahlen.

Die spannende Frage wird aber sein, wie viel diese 200 Millionen Pfund nach zehn Jahren noch wert sein werden. Bei einer hohen Inflation wird diese Summe nicht mehr den gleichen Wert haben wie heute.

Islamische Zeitung: Gelegentlich wundert man sich, warum muslimische Organisationen in Europa so sehr auf dieses Pferd setzen. Es ist doch offenkundig auf die kapitalreichen Länder am Golf oder in Südostasien ausgerichtet. Ist solch ein Angebot überhaupt interessant für Muslime in Europa?

Tarek El Diwany: Wenn Muslime in Europa das Spiel der verzinsten Kreditaufnahme spielen wollen, um dann zu investieren, so kann ich sagen: Viele Menschen im Westen wurden dadurch sehr reich. Wenn ich Geld zu einem halben Prozent leihen kann – was für viele Banken gilt – und es dann den Kunden – beispielsweise auf einer Kreditkarte oder bei einem Dispokredit – zu zehn Prozent weiter verleihe, dann kann ich sehr schnell sehr reich werden. Angesichts dessen kann ich nachvollziehen, warum einige Muslime Banken gründen wollen. Und ich kann sehen, warum einige Muslime zu geringen Zinssätzen Geld leihen wollen, um damit Immobilien zu kaufen, deren Preise derzeit in die Höhe schießen. In London sind das beispielsweise zwanzig Prozent über ein Jahr.

Es gibt viele betriebswirtschaftliche Gründe, warum Geschäftsleute ein System haben wollen, dass dem ­Zinssystem vergleichbar wäre. Sie werden die musli­mischen Gelehrten dazu veranlassen, es in Begriffen der Scharia zu ermöglichen. Wenn aber ihre Entscheidung auf dem islamischen Recht basieren, und nicht auf dem eigenen Profitinteresse, dann wäre nichts davon möglich.

Eigentlich kann es so etwas wie eine „Islamische Bank“ gar nicht geben. Banken schaffen im Wesentlichen Geld aus dem Nichts und verleihen es dann ­gegen Zinsen. Beide Dinge sind im islamischen Recht vollkommen untersagt. Es ist absolut unmöglich, dies „islamisch“ zu machen – gleiches kann man ja auch nicht mit Roulette oder Glücksspiel tun.

Wenn wir bei unseren traditionellen Ideen bleiben würden, können wir ande­re Vorgehensweisen hervorbringen. Wir könnten beispielsweise ein Elektrizitätswerk bauen und die Investoren hätten die Hälfte des Stroms und könnten die andere aufgrund einer Gewinnbeteiligung verkaufen. Sinken die ­Strompreise, bekommen wir nicht so viel. Wenn sie steigen, bekommen wir viel. Wir könnten Straßen bauen, für diese eine Maut erheben und den Gewinn teilen. Diese Art der Risikoteilung ohne Schulden wäre für viele Leute und Regierungen sehr attraktiv.

Wir haben ihnen dieses aber niemals angeboten. Keine islamische Bank oder Finanzorganisation hat dieses Modell wirklich vorangetrieben – weder in der muslimischen, noch in der nichtmuslimischen Welt. Wir müssen anfangen, richtig nach zu denken über das, was wir tun wollen.

Ich befürchte, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben werden.

Islamische Zeitung: Lieber Tarek El Diwany, vielen Dank für das Gespräch.

Webseite von Tarel El Diwany: islamic-finance.com