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Zwei Streiter für die Krimtataren. Ein Nachruf

Ausgabe 308

Foto: Autor, ICATAT

(iz). Sie, geboren 1936 in Moskau, war Kunsthistorikerin und Grün­derin zahlreicher akademischer Initiativen mit Bezug auf den Islam in ­Ost­europa. Er war Aktivist der krimtatarischen Nationalbewegung, als Autodidakt ein Vollblutpolitiker, geboren 1958 in Yangıyul, Usbekistan, wohin die Krimtataren 1944 von Stalins Sowjet­regime deportiert wurden, der Kollaboration mit den Deutschen bezichtigt. Was Prof. Swietłana Czerwonnaja und Ali Khamzin einte, war das vehemente Streiten für die Rückkehr der Krimtataren in ihre Heimat und ihr strikter Einsatz gegen alte und neue Diktaturen. Im Jahr 2020 sind beide gestorben.

Die erste und wichtigste Liebe von Swietłana hanum galt den Tataren, insbe­sondere denen der Krim. Der Kampf um das Recht der Krimtataren auf Heimkehr in ihre historische Heimat, war ihr ­“Karthago“, die Krimtataren betrachten sie deshalb zurecht als eine der ihren. Sie widmete der Erforschung und Popularisierung der Geschichte und Kultur der Tataren Europas und auf der ganzen Welt immer viel Energie und Aufmerksamkeit, nicht nur mit ihren Büchern, sondern auch mit öffentlichen Aktivitäten, Protesten, Konferenzen und Diskussionen, die junge Wissenschaftler*innen ermutigte, konsequent für Minderheitenrechte und Demokratie einzustehen.

Wissenschaft war für sie nicht Elfenbeinturm, sondern gesellschaftliche Verantwortung. Dank ihrer Bemühungen wurde eine einzigartige Institution gegründet, das Zentrum für das Studium des tatarischen Buches (Center for Kitab Studies) an der Nicolaus Copernicus Universität in Torun (Polen). Sie promovierte an der Moskauer Lomonossow-Universität, habilitierte dort und schloß ihre postgraduierten Studien ab an der ­Akademie der Künste der UdSSR.

Sie hielt Ehrendoktortitel der Ivan ­Javakhishvili-Staats-Universität Tbilisi (Georgien) und der Karatschay-Tscherkessischen Staats-Universität. Sie war Mitglied vieler Akademikervereinigungen wie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient, wo sie den ICATAT-Arbeitskreis „Islam in Post-Communist Eurasia” betreute, sie war Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde und des Inter­national Council for Central and East European Studies.

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Swetlana Michailowna Czervonnaja war Kunstkritikerin, Kulturwissenschaftlerin, Professorin, Verdiente Akademikerin der Republik Tatarstan, eine leidenschaftliche Verfechterin der Tataren auf der ganzen Welt. Ein bedeutender Teil ihres Lebens und ihrer wissenschaftlichen Interessen ist mit Kasan, Tatarstan, den Krimtataren und dem Euro-Islam der Tataren aber auch mit Deutschland, mit Berlin und Magdeburg und dem Kaukasus verbunden. Ihre Bücher „Die Kunst des Sowjetischen Tatariens“ (1978) und „Zeitgenössische islamische Kunst der Völker Russlands“ (2008) waren die ­ersten und blieben lange Zeit einzigartige, umfassende Standardwerke über die Kunst der Tataren und weiterer muslimischer Völker Russlands.

In Berlin und Magdeburg veröffentlichte sie ebenfalls Texte und Bücher, ­initiierte Konferenzen und Treffen, zum Beispiel im Deutschen Bundestag, Deutschen Auswärtigen Amt und dem ­Sekretariat für Minderheitenfragen. Sie war Taufpatin des  Institutes für Caucasica-, Tatarica- und Turkestan-Studien (ICATAT) in Deutschland und bis zuletzt aktiv im Beirat des Instituts. „Wir hatten noch viele Pläne, doch wir müssen schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass die Zeit für jede/n von uns endlich ist“, so die polnische Magdeburgerin Monika Górka, eine der letzten Studentinnen von Czerwonnaja an der Kopernikus-Uni­versität in Torun. Górka und ihr Mann ­Dominik Napiwodski – ebenfalls Schüler Czerwonnajas – leben heute in Mag­deburg, beide kannten auch Ali Khamzin und werden sich mit weiteren Kolleg*­innen am ICATAT um das Vermächtnis von Swietłana Czerwonnaja und Ali Khamzin ­kümmern.

Ali Khamzin war bis zur Annexion der Krim durch die Russländische Föderation der Außenbevollmächtigte des Nationalrates der Krimtataren „Milliy Medschlis“. Sowohl in dieser politischen Funktion aber auch als Publizist und Historiker war er oft zusammen mit Siewtłana Czerwonnaja gemeinsam auf Konferenzen in Krakow, Warschau, Berlin, Leipzig, Freiburg und Magdeburg. Khamzin warnte schon früh – in den Jahren 2010 und 2011 – vor einer drohenden Annexion der Krim durch Russland.

Gemeinsam mit Czerwonnaja und auf Einladung der Gesellschaft für bedrohte Völker versuchten beide, diesen Standpunkt bei Treffen in Deutschland deutlich zu machen. Bei den Bundestagsfraktionen der Grünen und der Christdemokraten, in der Europäischen Akademie, im Auswärtigen Amt, bei der Böll-­Stiftung. Allein, die Rufer wurden nur gehört, doch nicht verstanden.

Großes Vertrauen hatte Ali Khamzin in die neue demokratische Regierung in Kiew nicht, befürwortete eher eine engere internationale Allianz zur Wahrung der krimtatarischen Rechte, vor allem mit Ländern der EU. In der „Islamischen Zeitung“ vom Februar 2014 schrieb er: „Wir kämpfen seit unserer Rückkehr auf die Krim vor über zwanzig Jahren für unsere Rechte. Jede Schule, jedes Stück Land, jedes Buch der Krimtataren sind mühsam erarbeitet. Und ehrlich gesagt misstraue ich tief im Inneren auch ein wenig den politischen Gewinnern des Euromaidan. Wir Krimtataren haben eine andere Kultur und eine andere Religion. Wir sind Muslime und ich habe die Befürchtung, dass uns der Euromaidan und die neue Regierung wieder genauso nachlässig ­behandelt, wie es die Präsidenten Juschschenko und Janukowitsch vor ihnen ­getan haben.“

Swietłana hanum und Ali ağa werden allen in Erinnerung bleiben, die beide als talentierte und begeisterte Aktivisti*innen kannten, Swietłana als Wissenschaftlerin mit unnachgiebigem Willen, als kompromisslose Kämpferin, getreu ihres wissenschaftlichen und bürgerlichen Credos, als unglaublich energische und kluge, ­reaktionsschnelle Person und Ali als ­lebensklugen europäischen Muslim mit kategorischem Demokratie-Willen.

Die Pandemie-Zeit und die Annexion haben in letzter Zeit ein Wiedersehen unmöglich gemacht, gemeinsame Buchprojekte bleiben unvollendet und ­geplante Summer-Schools in Marseille, auf Hiddensee und in Rethimnon auf Kreta werden nun ohne sie auskommen müssen. Zusammen mit den Kolleg*innen von der Krim, aus Tatarstan, Polen, Litauen, Österreich und Deutschland trauern wir um streitbare, lebensfrohe, menschenzugewandte Menschen, die ­vielen von uns Wegweiser*innen waren, „Orchideen-Forscher” ermutigt hat, „kleinen Völkern“ Zuversicht und Hochachtung gab und Despotismus, Diktatur und Islam-Feindschaft resolut entgegentraten. Mögen sie in Frieden ruhen.