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„Das Leben nach dem Tod beschäftigt alle Religionen“

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Sterben in der Krise: Türkische Angehörige eines Covid-19-Opfers nach seiner Bestattung am Grab. (Foto: Shutterstock, H. Aldemir)

Religionswissenschaftler Schmidt-Leukel untersucht Jenseits-Vorstellungen der Weltreligionen – „Alle Traditionen suchen Antwort auf die Menschheitsfrage: Was kommt nach dem Tod?“ – Vorstellungen von Himmel und Hölle auch in Buddhismus und Hinduismus – Folge 3 des Forschungspodcasts „Religion und Politik“ des Exzellenzclusters

Münster (exc). Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod, wie Christen sie Ostern im Auferstehungsglauben feiern, prägen Wissenschaftlern zufolge viele Religionen. „Auch Juden, Muslime, Hindus und Buddhisten haben vielfältige Jenseits-Vorstellungen entwickelt – als Antwort auf die große Menschheitsfrage: Kommt etwas nach dem Tod? Und wenn ja, was?“, sagt der Religionswissenschaftler und Theologe Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster.

Die Theologie müsse solche Fragen heute im Kontext des Glaubens aller Religionen behandeln, also in einer „interreligiösen Theologie“. „Der Glaube an ein Leben nach dem Tod war in den Religionen in der Regel mit dem an eine unvergängliche, absolute Wirklichkeit verknüpft“, so Schmidt-Leukel, der Jenseits-Vorstellungen im Rahmen seines Konzepts der interreligiösen Theologie untersucht.

Im frühen Judentum gab es noch keinen ausgeprägten Jenseitsglauben, sondern nur undeutliche Vorstellungen von einer Art Schattenwelt, in der sich die Verstorbenen befinden, wie der Forscher darlegt. Die Idee einer unsterblichen Seele entsprang der griechischen Antike. Im späteren Judentum, aber auch im Christentum und Islam vermischte sich das Konzept der Unsterblichkeit der Seele mit dem der Auferweckung der Toten.

So nahm man an, dass sich die Seele nach dem Tod in irgendeinem Zwischenzustand befinde, am Ende der Zeit aber mit einem neuen Leib auferweckt werde. „Ostern feiern Christen aller Konfessionen die Auferweckung Jesu, wie sie die das Neue Testament bezeugt. Nach früher Vorstellung erweckte Gott den Menschen Jesus vom Tod auf, um zu bestätigen, er sei zu Unrecht hingerichtet worden. Später schrieb man die Auferstehung der göttlichen Kraft Jesu zu“, so Schmidt-Leukel.

„Höchste Glückseligkeit in der ewigen Anschauung Gottes“

In der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition ist das Leben nach dem Tod verknüpft mit Vorstellungen von höchster Glückseligkeit in der ewigen Anschauung Gottes, sagt der Wissenschaftler. „Tod und Leid gibt es hier nicht mehr.“ Bibel und Koran sprechen vom Jenseits als „ewigem Gastmahl“. Sie wählen Bilder wie das eines erfrischenden Gartens im Koran oder einer „goldenen Stadt“ im Neuen Testament. „Den Menschen der Antike und des Mittelalters war teilweise bewusst“, sagt Schmidt-Leukel, „dass es sich um Bildsprache handelt. Als realistisch sah man zumeist drastische Schilderungen von der Hölle als Ort endloser Bestrafung an.“

An diesem Punkt zeige sich, wie stark Glaubensvorstellungen historischem Wandel unterliegen: Dass die Idee ewiger Folterqualen unvereinbar ist mit der Barmherzigkeit Gottes, war bis ins 20. Jahrhundert im Christentum eine Minderheitenmeinung. Heute stimmen dem viele große Kirchen auch offiziell zu. „In evangelikalen und pentekostalen Gruppen aber spielt die Vorstellung von leibhaften Höllenstrafen bis heute eine zentrale Rolle“, so Schmidt-Leukel. „Die Angst vor der Hölle diente vielfach auch der Abgrenzung von anderen Religionen, denn nicht selten nahm man an, dass alle Menschen mit einem ‚falschen‘ Glauben in die Hölle kommen.“

Über Jenseitsvorstellungen und das Konzept der interreligiösen Theologie berichtet Perry Schmidt-Leukel auch in Folge 3 des Forschungspodcasts „Religion und Politik“ zum aktuellen Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“.

„Auch Religionen wie der Buddhismus und Hinduismus, die nicht an einen persönlichen Schöpfergott glauben, erwarten ein Weiterleben nach dem Tod und zwar in Form der Wiedergeburt“, führt der Wissenschaftler aus. Allerdings gebe es Überlappungen. Bestimmte Formen des Wiedergeburtsglaubens fänden sich auch in Judentum, Christentum und Islam.

Und im Buddhismus und Hinduismus gebe es die Idee der Wiedergeburt in Himmelswelten und zahleichen Höllen. Allerdings bleibe man dort nicht ewig. „Zur Reinkarnation gehört, dass man als Tier oder Gespenst, aber auch als Höllen- oder Himmelsbewohner wiedergeboren wird. Diese Daseinsformen sind nicht endgültig: Ziel ist, den Kreislauf der Reinkarnation letztlich zu überwinden und in das zeitlose Nirvana einzugehen.“

Patchwork-Religiosität und interreligiöse Theologie

„Große religiöse Traditionen haben immer schon zahlreiche Einflüsse aus anderen Religionen in sich aufgenommen“, sagt der Religionswissenschaftler. Dieser Prozess der Religionsvermischung verstärke sich in der Gegenwart. „Nicht wenige Menschen pflegen heute eine Patchwork-Religiosität. Sie kombinieren in ihrem persönlichen Glauben Elemente verschiedener Religionstraditionen. „Verschiedene Studien haben gezeigt, dass heute etwa ein Fünftel der Christen an Reinkarnation glauben. Doch das ist nur ein Beispiel. Die individuelle Religiosität speist sich aus unterschiedlichsten religiösen Quellen – durch Lektüre, Reisen und persönliche Bekanntschaften.“

Zwar hätten Gläubige schon immer nur Teile ihrer religiösen Tradition gekannt und einzelne Aspekte individuell mit Bedeutung aufgeladen. Insofern sei Religiosität beim Individuum immer „Patchwork“. Doch in westlichen Ländern stammten diese Patches häufig – wenn auch keineswegs immer – eher aus einer Tradition. „Heute haben Menschen Zugang zu so vielen verschiedenen Vorstellungswelten wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Thomas von Aquin dürfte nicht einmal den Koran gelesen haben; wir aber können in jeder Buchhandlung Literatur aus sehr vielen religiösen Traditionen erhalten.“

„Das Thema ‚Leben nach dem Tod‘ ist eines der klassischen Themen der Theologie, es muss heute interreligiös betrachtet werden und nicht länger nur aufgrund der je eigenen Überlieferungen.“ Es sei nicht mehr zeitgemäß, „wenn Theologien nur die heiligen Schriften der eigenen Religion studieren und die breite religiöse Überlieferung der Menschheit in zentralen religiösen Fragen nicht einbeziehen.“ Keine andere Wissenschaft könne es sich leisten, relevantes Datenmaterial zu ignorieren.

Eine interreligiöse Theologie, die innere Verbindungslinien zwischen den Religionen aufzeige, sei unumgänglich. Sie zieht nicht nur christliche Quellen, sondern auch die Texte und Traditionen anderer Religionen heran. Das gelte auch mit Blick auf die wachsende globale Vernetzung. „Interreligiöse Theologie darf jedoch nicht als Theologie einer weltweiten ‚Einheitsreligion‘ missverstanden werden. Es handelt sich um eine neuere Form, Theologie zu betreiben: Lernen durch beständigen Austausch zwischen verschiedenen konfessionellen und religiösen Perspektiven.“(sca/vvm)

Der Forschungspodcast „Religion und Politik“ aus dem gleichnamigen Exzellenzcluster der Uni Münster ist abrufbar unter Spotify, Deezer und Apple Podcasts sowie auf der Website des Forschungsverbundes. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten in ihren Podcastfolgen persönlich, aktuell und anschaulich aus ihrer Arbeit in der interdisziplinären Religionsforschung. Der Podcast begleitet auch das laufende Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“ des Exzellenzclusters.