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Dramödie über Umgang mit Autisten

Foto: Verleih

Dramödie um den jüdischen Leiter einer Hilfseinrichtung für autistische Menschen, der sich unkonventionell über Regeln hinwegsetzt, wenn er seinen Schützlingen mehr Handlungsfreiheit ermöglichen kann. Von Silvia Bahl

Bonn (KNA). Eine junge Frau rennt mit schmerzverzerrtem Gesicht durch die Straßen. Ein Radfahrer bremst und stürzt, ohne dass die Flüchtende davon Notiz nehmen würde. Ihr Lauf endet abrupt in den Armen des Sozialarbeiters Malik, dessen fester Griff sie vor sich selbst zu schützen versucht. Denn wie viele andere Autisten ist Emilie ihren Wahrnehmungen hilflos ausgeliefert. Wo die meisten Menschen eine Vielzahl sinnlicher Eindrücke filtern und ausblenden, sind Autisten Umweltreizen oft extrem stark ausgesetzt. Eine Überforderung, die zu gewalttätigen Reaktionen führen kann. Bereits in „Ziemlich beste Freunde“ (2011) haben sich die Regisseure Eric Toledano und Olivier Nakache für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen starkgemacht, indem sie ihnen mit Humor und ohne falsches Mitleid begegneten. Die Geschichte des vom Hals abwärts gelähmten Philippe und seines Pflegers Driss rührte das Publikum weltweit.

„Alles außer gewöhnlich“ nimmt sich eines ähnlichen Themas an, denn Toledano ist selbst Angehöriger eines Autisten. 1994 lernte der Regisseur eine unkonventionelle Ferienbetreuung für besonders schwere Fälle von Autismus kennen: Er ist Stephane Benhamou, dem Gründer des Vereins „Le Silence de Justes“, bis heute freundschaftlich verbunden. Gemeinsam mit Co-Regisseur Nakache drehte er bereits einen Imagefilm und eine Dokumentation über Benhamous außergewöhnliche Arbeit. Die Entscheidung, einen Spielfilm zu realisieren, entstand aber erst, nachdem dem Verein die Schließung drohte.

Aus Benhamou wird im Film Bruno, der von Vincent Cassel mit erstaunlicher Feinsinnigkeit verkörpert wird. An seiner Seite spielt Reda Kateb den sensiblen Betreuer Malik, der an der Reintegration von Jugendlichen aus Problemvierteln arbeitet. Er bringt sie mit autistischen Menschen aus Brunos Verein zusammen. Die Begegnungen zwischen Autisten und den Jugendlichen entfalten ein erstaunliches Potenzial. Da ist zum Beispiel der autistische Junge Valentin (Marco Locatelli). Er kann nicht sprechen und muss einen Helm tragen, weil er bei Überforderungen seinen Kopf gegen Wände, Gitter oder Scheiben schlägt. Doch als ihn der introvertierte Dylan bei gemeinsamen Ausflügen begleitet, ist Valentin sichtlich berührt. Wie viele andere Jugendliche aus den Banlieues hat Dylan üble Gewalt erfahren. Er spürt die Verwundbarkeit hinter Valentins unkontrollierter Aggression. Durch die Verantwortung, die er für Valentin übernimmt, findet er auch einen Bezug zu den eigenen Verletzungen.

Für den Autisten Joseph ist die Lage nicht leichter, obwohl er sprechen kann und ein offenes Wesen hat. Er hat gelernt, seine Gefühle zu verbalisieren. Die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist allerdings noch immer eine Herausforderung, da ihn auf der Brücke der Zwang überkommt, die Notbremse zu ziehen. Die Bahnbeamten haben kein Verständnis. „Alles außer gewöhnlich“ macht auch deutlich, dass es für die Sozialarbeiter keinen Feierabend gibt und eine Trennung zwischen Beruf und Privatleben fast unmöglich ist. Mit erstaunlicher Beiläufigkeit thematisiert der Film überdies, dass Bruno jüdisch und sein Freund und Kollege Malik Muslim ist. In der Wohngemeinschaft kreuzen sich mit großer Selbstverständlichkeit unterschiedliche kulturelle Hintergründe. Sie treten jedoch vor dem menschlichen Leid zurück, das sie gemeinsam lindern wollen.

Auch für das Verständnis von Autismus leistet der Film einen großen Beitrag. In „Alles außer gewöhnlich“ erkennt der Zuschauer, dass es unterschiedliche Stufen der Schwere der Symptome gibt. Sichtbar wird aber auch, dass ein sensibler Umgang mit den Betroffenen die Symptome veränndern kann. Toledano und Nakache werben dafür, die Arbeit der Sozialarbeiter endlich anzuerkennen und von staatlicher Seite für mehr Sicherheit und Unterstützung zu sorgen. Im Film ermitteln zwei Inspekteure der Gesundheitsbehörde gegen Bruno, um seinem Verein Unprofessionalität nachzuweisen. Erneut gelingt es Toledano und Nakache, mit dezentem Humor eine große Leichtigkeit zu erzeugen. Dazu gehört auch, dass auch Autisten als Schauspieler mitwirken, darunter Benjamin Lesieur. Obwohl seine Eltern der Ansicht waren, dass er die Dreharbeiten kaum bewältigen könne, erlebt man einen Jungen, der jetzt für den Preis des besten französischen Nachwuchsdarstellers vorgeschlagen ist.